Im Anti-Trust-Verfahren gegen Microsoft ging es sowohl um die bestehende
als auch um die zukünftige Marktmacht des Unternehmens und
die Frage, ob der Softwaregigant sein Monopol im Betriebssoftware-Markt
auch auf das Internetgeschäft übertragen kann. Hinter
der Diskussion verbirgt sich die Frage, ob technologischer Wettbewerb
durch staatliche Eingriffe korrigiert werden muß und welche
Instrumente dafür zur Verfügung stehen.
Ein Interview mit Horst Nölkensmeier (Bundeskartellamt)


Horst Nölkensmeier

Horst Nölkensmeier

Im Anti-Trust-Verfahren gegen Microsoft ging es sowohl um die bestehende als auch um die zukünftige Marktmacht des
Unternehmens und die Frage, ob der Softwaregigant sein Monopol im Betriebssoftware-Markt auch auf das Internetgeschäft
übertragen kann. Hinter der Diskussion verbirgt sich die Frage, ob technologischer Wettbewerb durch staatliche Eingriffe
korrigiert werden muß und welche Instrumente dafür zur Verfügung stehen. Der Jurist Horst Nölkensmeier ist seit 1968 im
Bundeskartellamt tätig, zunächst in der Rechtsabteilung, später in verschiedenen anderen Bereichen. Seit August 1996 ist
er Vorsitzender der 6. Beschlussabteilung, zuständig für Medien. Er schildert das Verfahren aus der Perspektive der
Regulierungspraxis und unterscheidet dabei die reaktive Philosophie des deutschen Kartellrechts gegenüber dem präventiven
Charakter des US-amerikanischen.

Gudrun Mildner:
Herr Nölkensmeier – Ich möchte Sie zunächst bitten, die gesetzlichen Grundlagen für das Kartellverfahren gegen Microsoft
in den USA darzustellen und diese gegenüber der deutschen Perspektive abzugrenzen.

Horst Nölkensmeier: Es gibt zwei Vorwürfe gegen Microsoft, besser gesagt, zwei Gruppen von Vorwürfen. Die einen
betreffen den Vorwurf, daß Microsoft sich angeblich mit Netscape getroffen haben soll, um den Markt für den Vertrieb von
Internet-Browsern aufzuteilen, was nach den Zeugenaussagen am Widerstand von Netscape gescheitert ist. Das wäre ein Kartell
gewesen, welches nicht nur nach amerikanischem Anti-Trust- Recht, sondern auch nach deutschem Kartellrecht, Paragraph 1 des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), mit einem Verbot belegt ist. So einem Verdacht würde das Bundeskartellamt
von sich aus nachgehen. Warum wir das jetzt nicht machen, dazu kommen wir sicher später noch. In dem Paragraph 1 des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen steht, daß es verboten ist, durch Absprachen unter Wettbewerbern
Wettbewerbsbeschränkungen herbeizuführen. Microsoft wollte eine Aufteilung des Marktes nach dem Motto: Ein bestimmter Teil
der Kundschaft wird von euch bedient und der andere von uns. Dieses ist der eine Teil der Vorwürfe.
Der zweite Teil der Vorwürfe betrifft Praktiken, die im amerikanischen Anti-Trust-Recht in Section 2 Sherman Act als
monopolizing bezeichnet werden. Das heißt, ein Unternehmen, das schon eine beherrschende Position im Markt besitzt,
versucht durch bestimmte wettbewerbsbeschränkende Praktiken, und zwar jetzt allein und nicht im Verbund eines Kartells, den
Markt noch fester in die Hand zu bekommen und durch etwas unfaire Methoden den Wettbewerbern das Leben schwer zu machen.
Dieses ist jetzt genau die strittige Frage. Diesen zweiten Bereich von Vorwürfen würde man im deutschen Kartellrecht als
Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bezeichnen. Da ist die sedes materiae nach dem neuen Kartellgesetz (gültig
seit dem 01. Januar 1999, Anm. G.M.) der Paragraph 20 GWB. Dann gibt es noch den Teil, der unter Paragraph 16 GWB fällt
und Ausschließlichkeitsbindungen behandelt, was die Amerikaner tying clauses nennen. Dieses kann eine Form von monopolizing
sein.
Insgesamt ist das deutsche Kartellrecht bezüglich dieser Vorwürfe dem amerikanischen Kartellrecht recht ähnlich, nur die
Möglichkeiten einzugreifen sind etwas schwieriger. Das deutsche Kartellrecht ist präziser und läßt den Kartellbehörden
nicht so viel Beurteilungsspielraum.

Gudrun Mildner:
Die diskutierten Praktiken von Microsoft, wie z.B. Exklusiv- und Koppelungsverträge oder technische Hindernisse und
kostenlose Abgabe, sollten ja dazu dienen, vor allem Netscape aus dem Markt für Browser zu drängen. Sind solche Fälle
explizit auch im deutschen Kartellrecht geregelt, oder gibt es dort nur einen Oberbegriff, unter dem solche Beispiele
subsumiert werden?

Horst Nölkensmeier: Es gibt hier nur den Oberbegriff des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, für den das
Beispiele wären, abgesehen von dem Fall der Exklusivverträge. Dieses sind Verträge, die bei uns ausdrücklich im Gesetz
erwähnt sind und untersagt werden können, wenn sie von marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert werden. Der zweite Fall,
daß also irgendwelche technischen Hindernisse eingebaut werden, und es schwierig ist, die vorinstallierte Software
irgendwie zu beseitigen, um statt dessen Wettbewerbsprodukte zu installieren, kann im Einzelfall auch ein Mißbrauch einer
marktbeherrschenden Stellung sein, wenn dies von einem marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert wird. Daß Microsoft
beim Betriebssystem auf dem Markt für PCs eine marktbeherrschende Stellung hat, daran besteht kein Zweifel. Es müßte jedoch
im einzelnen genauer betrachtet und verifiziert werden, inwieweit der Verbraucher getäuscht wird und es ihm wirklich
erschwert wird, eine andere Software an der Stelle zu installieren. Ich habe große Zweifel, ob die Vorwürfe, die im Bezug
auf diese technischen Hindernisse erhoben werden, wirklich berechtigt sind. Der dritte ist ein Vorwurf, der nach Aussage
der Kollegen, die sich bei uns schon einmal damit beschäftigt haben, wahrscheinlich nach deutschem Recht kaum richtig in
den Griff zu kriegen ist. Es geht um die kostenlose Abgabe des Internet-Browsers, wenn man das Betriebssystem kauft.
Natürlich ist es richtig, daß das den Marktzutritt für einen Hersteller, der nur solche Browser herstellt, erheblich
erschwert. Die kostenlose Abgabe von Waren ist im allgemeinen gar nicht so schwer als Mißbrauch zu deklarieren. Das ist
bereits nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten. Man könnte es als eine Form des extremen
Niedrigpreiswettbewerbs bezeichnen. Das gilt jedoch nicht für Dinge, die einen Teil eines Produktes darstellen und mit
einem anderen zusammenhängen, welches gegen Entgelt abgegeben wird.

Gudrun Mildner:
Gibt es in diesem Fall Aktivitäten seitens der Europäischen Kartellbehörde?


Horst Nölkensmeier: Die Europäer haben sich auch mit dem Microsoft-Fall befaßt, ich kann allerdings nicht sagen, ob
dort Beschwerden vorliegen. Die Behörde verhält sich abwartend, um zu sehen, was bei dem US-Verfahren beschlossen wird,
gleiches gilt für das Bundeskartellamt. Sowohl die Brüsseler Beamten als auch wir können Verfahren einleiten. Im Fall von
Microsoft würde das Verfahren auf Artikel 86 der Römischen Verträge basieren. Diese Vorschrift verbietet das Ausnutzen
marktbeherrschender Stellungen. Es ist so, daß sowohl die EU-Kommission als auch die nationalen Behörden gleichzeitig
Kartellverfahren betreiben können. Davon gibt es nur eine Ausnahme, wenn ein Betroffener einen Freistellungsantrag stellt.
Es ist möglich, in Kartellfällen, und dazu gehören auch solche tying clauses, eine Ausnahme vom Kartellgesetz in Brüssel
zu beantragen. Wenn so eine Ausnahme erteilt wird, dann gilt diese Ausnahme nicht nur bezüglich des europäischen
Kartellrechts sondern auch des nationalen Kartellrechts.

Gudrun Mildner:
Auf welcher kartellrechtlichen Grundlage wird denn in den USA das Verfahren gegen Microsoft geführt?

Horst Nölkensmeier: Zunächst einmal ist die Grundlage des amerikanischen Verfahrens der Sherman Act. Hiervon
bezieht sich Section 1 auf die Vorwürfe der Kartellbildung mit Netscape und Section 2 auf die bereits erwähnten
Geschäftspraktiken, die die Wettbewerber vom Marktzugang ausschließen sollen. Es gibt in den USA darüber hinaus noch
die Fusionskontrolle, die auf dem Clayton Act basiert. Hier kann die Monopolisierung im Markt durch externes Wachstum
verhindert werden. Inzwischen werden innerhalb des Microsoft-Verfahrens in den USA Überlegungen angestellt, ob man
möglicherweise Microsoft irgendwie aufteilen muß.

Gudrun Mildner:
Die berühmten Kartellverfahren gegen marktbeherrschende Großkonzerne wie Standard Oil, IBM und AT&T haben immer wieder
zu einer Zerschlagung geführt. Was gibt es prinzipiell im deutschen Verfahren für Möglichkeiten, den Mißbrauch einer
marktbeherrschenden Stellung zu unterbinden?

Horst Nölkensmeier: Im deutschen Kartellrecht gibt es dafür keine Möglichkeiten. Wir haben eine Fusionskontrolle,
die nur anläßlich eines Unternehmenskaufs eingreift. Wir können also Unternehmen verbieten, ein anderes zu kaufen.
Bezüglich der Geschäftspraktiken können nach dem deutschen Kartellrecht solche Verträge nur für unwirksam erklärt werden
oder solche Praktiken verboten werden. Dieses ist jedoch sehr problematisch, weil dies ganz exakt definiert werden muß,
damit die Unternehmen genau wissen, was sie nicht tun dürfen. Bei Verstoß ist dies mit Sanktionen wie Bußgeldern verknüpft.
Im Anti-Trust-Recht der USA gibt es jedoch noch die Möglichkeit, den Gefährdungstatbestand zu beseitigen durch eine
Zerlegung zu großer Unternehmen, wie z.B. bei den Telefongesellschaften geschehen. Diese Möglichkeit gibt es weder im
deutschen noch im europäischen Kartellrecht.


Gudrun Mildner:
Im Gegensatz zum vorbeugenden amerikanischen Kartellrecht läuft also das deutsche und europäische den Praktiken der
Unternehmen hinterher?

Horst Nölkensmeier: Das kann man so sagen. In der Beziehung ist das kontinentaleuropäische Kartellrecht eine Art
Reparaturbetrieb, wo Details repariert werden und die grundlegenden Probleme, die sich aus der Marktstruktur ergeben,
nicht angefaßt werden, was eine Entflechtung bewirken könnte.

Gudrun Mildner:
Ist dieser grundlegende Unterschied der Ansätze im Kartellrecht immer schon so vorhanden gewesen?


Horst Nölkensmeier: Ja. Die Amerikaner haben es ganz konsequent schon zu Anfang dieses Jahrhunderts mit in der Diskussion
gehabt, daß man derartig große Unternehmen auseinander dividieren muß. Das ist bei uns nie der Fall gewesen. Hier hat man
sich wahrscheinlich gefürchtet, daß zu schnell die Grenze zur reinen Strukturpolitik oder zum Interventionismus
überschritten wird. Ob diese Gefahr jedoch wirklich bestanden hat, weiß ich nicht. Dazu muß man sehen, daß das Kartellrecht
natürlich das Ergebnis eines politischen Interessenkonfliktes ist, zwischen der Industrie, dem jeweiligen Gesetzgeber und
allen möglichen anderen Kräften, die in dem Aushandlungsprozeß tätig sind. Insofern muß man einfach konstatieren, daß sich
diese Idee bisher hier nicht hat durchsetzen können, obwohl sie namhafte wissenschaftliche Vertreter als Verteidiger hat,
vor allen Dingen aus der Freiburger Schule. Es gab während der Zeit der Besatzungsmächte ein Dekartellierungsrecht. Damals
haben die Besatzungsmächte Teile des amerikanischen Kartellrechts auf die deutsche Industrie angewendet in Form von
Dekartellierungsverordnungen. Dahinter standen natürlich nicht nur Motive des Wettbewerbsschutzes. Es ging auch darum, die
deutsche Industrie auseinander zu dividieren. Als bekanntes Beispiel mag die IG Farben herhalten. Es ist interessant, daß
die Amerikaner das Dekartellierungsrecht jedoch ziemlich schnell entnervt aufgegeben haben. Sie hatten die Vorstellung, daß
man vor allen Dingen die deutsche Rüstungsindustrie entflechten müsse, die Versuche sind jedoch im Sande verlaufen. Dies
hätte der Ursprung einer wettbewerblich orientierten Entflechtungsregelung sein können. Dazu ist es aber nie gekommen und
wird es wohl nie kommen, auch wenn es gerade für einige hochkonzentrierte Märkte mit entsprechenden Zutrittsschranken die
Ultima Ratio ist.

Gudrun Mildner:
Noch zwei letzte Fragen zum Kartellverfahren. In den USA läuft das Verfahren vor einem Gericht. Welche Verwaltungsbehörde
wäre hier zuständig? Bezüglich der Verbraucher wird in den USA immer ein Verbraucheranwalt sehr stark mit einbezogen. Was
gibt es für Möglichkeiten für Verbraucher oder deren Interessenvertreter in Deutschland?

Horst Nölkensmeier: Das amerikanische Verfahren ist ganz anders als unseres. Bei uns werden die Fälle vom
Bundeskartellamt selber entschieden als Verwaltungsentscheidung, die dann vor Gericht angefochten werden kann. In den USA
ist es so, daß die Anti-Trust-Behörden, das Department of Justice oder die Federal Trade Commission beispielsweise wie ein
Staatsanwalt auftreten. Sie plädieren in einem Gerichtsverfahren für eine bestimmte Entscheidung. Sie können zwar auch
schon vorläufige Maßnahmen treffen, die eigentliche Entscheidung wird jedoch von einem Gericht gefällt. Deshalb streiten
sich vor dem amerikanischen Gericht, bei dem das Microsoft-Verfahren anhängig ist, als Parteien die Vereinigten Staaten
gegen Microsoft. In diese Situation kommen wir erst, wenn unsere Entscheidung nach ihrem Erlaß angefochten wird. Dann
entscheiden Gerichte darüber, ob unsere Entscheidung, so wie wir sie erlassen haben, rechtmäßig ist.

Gudrun Mildner:
Welches Gericht wäre das?

Horst Nölkensmeier: Das ist als erste Instanz das Kammergericht, als zweite Instanz ist es der Bundesgerichtshof
mit seinem Kartellsenat. Weiterhin gibt es hier den Verbraucheranwalt nicht. Wir als Kartellamt betrachten uns als
Verbraucheranwalt. Es gibt aber natürlich eine Reihe von Fällen, in denen wir z.B. die Verbraucherzentralen einschalten,
um uns zu informieren und deren Standpunkt kennenzulernen. Insgesamt ist das Verfahren beim Kartellamt sehr offen und frei,
so daß es viele Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Mitwirkung gibt. Wir können kontaktieren, wen wir wollen, wir
können Befragungen unternehmen, bis hin zu einer zwangsweisen Befragung. Wir können jedoch nicht vereidigen. Wenn wir eine
eidliche Aussage herbeiführen wollen, müssen wir mit dem Betroffenen zu einem Amtsrichter gehen.


Gudrun Mildner:
Und die Unternehmen haben im deutschen Kartellverfahren auch rechtlich festgeschriebene Möglichkeiten der Mitwirkung, um
ihre eigenen Interessen zu vertreten?

Horst Nölkensmeier: Da das Kartellverfahren ein Verwaltungsverfahren ist, gelten dessen allgemeine Grundsätze und
Grundregeln. Denen zufolge müssen wir rechtliches Gehör gewähren, das heißt, wir müssen einem Unternehmen alle nur
möglichen Verteidigungsmöglichkeiten gewähren, damit sie ihren Standpunkt ausreichend darlegen können, z.B. durch
Anhörungen oder schriftliche Stellungnahmen. Unternehmen, die ein starkes Interesse an dem Verfahren haben, aber nicht
unmittelbar betroffen sind, können sich über die sogenannte Beiladung einbringen. Hierfür können sie einen Antrag stellen
und müssen nachweisen, daß sie von dem Ergebnis eines solchen Verfahrens unmittelbar betroffen wären, was im Falle eines
direkten Wettbewerbers zweifelsohne gegeben ist. Wenn das der Fall ist, können wir sie in einer besonderen Entscheidung
zum Verfahren beiladen als volle Verfahrensbeteiligte mit allen Rechten.

Gudrun Mildner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der
Universität der Bundeswehr Hamburg und Mitglied des Promotionskollegs
"Optionen digitaler interaktiver Medien der Informationsgesellschaft"
der Hans-Böckler-Stiftung.

Das Interview ist zuerst erschienen in: Hebecker, E./Kleemann, F./Neymanns, H./Stauff, M. (Hg.):
Neue Medienumwelten. Zwischen Regulierungsprozessen und alltäglicher Aneignung". Frankfurt: Campus, 1999.