Das Weizenbaum-Institut, das interdisziplinär den Wandel der Gesellschaft durch die Digitalisierung erforscht, stellte am 01.03.2023 ein neues Debattenformat vor. Unter dem Thema “Macht und Mittel. Wer gestaltet den digitalen Raum?” waren als Rednerinnen die Mitbegründerin und Geschäftsführerin des “Superrr Labs”, Elisa Lindinger und die Juristin sowie Head of Governmental Affairs and Public Policy bei YouTube DACH/CEE, Sabine Frank eingeladen. Zu zwei Thesen sollten die beiden Diskutantinnen in jeweils sieben Minuten ihren Standpunkt darlegen und anschließend darüber debattieren. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sascha Friesike, einer der sieben Direktoren des Weizenbaum Instituts.
Runde 1: Wer gestaltet den digitalen Raum?
Den Anfang machte Elisa Lindinger, die sich in ihrer Stellungnahme vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen bezog und ein stärkeres Verständnis für gesellschaftsorientierte Digitalpolitik einforderte. Sie betonte, dass der Staat an Strategien in Bezug auf die Digitalisierung zwar gut aufgestellt, jedoch die Umsetzung aufgrund der kurzen Wahlperioden mangelhaft sei. Die bisher geltenden gesetzlichen Maßnahmen, wie bspw. die DSGVO kritisierte Lindinger, da sich diese maßgeblich nach großen Unternehmen richten würde. Zudem forderte sie eine stärkere Berücksichtigung von kleineren Unternehmen bei Fördermaßnahmen und weniger Regulierungen im digitalen Raum allgemein.
Als Vertreterin von Google/YouTube übernahm Sabine Frank stärker die Unternehmensperspektive, obwohl sie auch klar die alleinige Gestaltungsmacht nicht in der Verantwortung der Großunternehmen sieht. Diese sollten eher durch eine vorgegebene Netiquette und verständliche Community-Guidelines zusätzliche Hilfsmittel liefern. Ihrem Statement zur Folge sollte der digitale Raum sicher, aber auch wettbewerbsfähig bleiben. So sieht sie in einem 3-Klang aus Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft die Gestaltungsmacht gut im digitalen Raum verteilt. Genau wie Lindinger erkannte sie zwar einen Gestaltungswillen seitens des Staates, jedoch klaffen hier Wunsch und Wirklichkeit in Bezug auf die Umsetzung noch weit auseinander.
Runde 2: Wie soll der digitale Raum gestaltet werden?
Sabine Frank nahm in ihrer Argumentation die Seite der Nutzer*innen ein. Diese sollten ihrer Meinung nach stärker aufgeklärt und besser mit digitalen Kompetenzen ausgestattet werden, um Informationen im Internet besser einordnen zu können. Auch hier sollten Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft stärker zusammenarbeiten und somit Schutz sowie Meinungsvielfalt – und freiheit im digitalen Raum langfristig sichern. Aufgabe der Plattform sei es die Nutzer*innen vor unangemessen Inhalten zu schützen. Am Beispiel von YouTube erklärte sie, dass dort mittlerweile auf den Einsatz von KI gesetzt wird, um bspw. demokratiegefährdende Beiträge ausfindig zu machen und zu eliminieren.
Damit eine Demokratie auch im digitalen Raum funktioniert sprach sich Lindinger für die Schaffung von sogenannten Schutzräumen aus, die vom Staat im analogen Raum durch das unabhängige Bildungssystem und die öffentlich-rechtlichen Medien schon gegeben sind, im Digitalen aber noch fehlen. Radikalisierungen, Desinformation und Mobbing fänden trotz Community-Guidelines weiterhin statt und werden, wie der Fall des “Drachenlords“ zeige, in die reale Welt übertragen. Sie forderte Grundbausteine für ein demokratisches Miteinander, aber auch ein unabhängige digitale Bildungs– und Medienlandschaft im Sinne des öffentlich-rechtlichen Systems.
Grundvoraussetzung ist eine diverse und gleichberechtigte Teilhabe, um das Machtgefälle im digitalen Raum zu beseitigen so Lindinger. Dabei sieht sie die Politik in der “Hol-Schuld”, um die Zivilgesellschaft und die öffentliche Meinung aktiver miteinzubringen. Transparenz bei der Strategieentwicklung in der Politik und ein gemeinsames Narrativ, indem nach einer gemeinsamen digitalen Zukunft gefragt wird, waren weitere Forderungen, die sie stellte. Ihrer Vorstellung nach enthält eine digitale Demokratie weniger Spitzentechnologie und mehr Menschlichkeit, die durch eine andere Prioritätensetzung in der Digitalpolitik erreicht werden solle, konkret durch die Frage: wer nimmt teil und wer nicht?
Beide Debattiererinnen sind sich am Ende der Debatte einig, dass es mehr Reflektion bedarf, um den digitalen Raum demokratischer zu gestalten. Lindinger verwies hier auf die Notwendigkeit anderer Austausch-Formate, um eine möglichst diverse Teilhabe zu garantieren. Frank nannte den Wunsch breiter zu denken und Regulierungen nicht nur deutschlandweit, sondern auch europaweit transformierbar zu gestalten, um einzelne Zivilgesellschaften nicht zu benachteiligen.
Der Auftakt zur ersten Debatte des Weizenbaum-Instituts zeigte wieder einmal, dass es grundsätzlich unterschiedliche Interessen gibt, wie unser Leben im digitalen Raum zukünftig gestaltet werden soll. Auf die Frage, ob wir mehr Freiheit oder mehr Regulierungen brauchen und wie diese dann aussehen sollen, konnte diese Debatte noch keine ausreichenden Antworten liefern. Gespannt kann man deswegen sein, wie die weiteren Debatten zu dieser Fragestellung aussehen werden.
Text: CC-BY-SA 3.0
Foto: Tobias von dem Berge