Funknetzwerke als neue Form der Demokratie. Wo liegen die Gründe für den mangelnden Bekannheitsgrad? Die „summer convention“ in Berlin soll das öffentliche Interesse an selbstorganisierten Netzen wecken.

Es liegt was in der Luft. Bürgerinitiativen entdecken
WLAN- Netzwerke als neues Medium zur Bürgerkommunikation. Das soziale Potenzial freier Kommunikationsnetzwerke auf Basis neuester technischer Infrastrukturen erscheint größer als je zuvor. Die Idee von
demokratisierten Medienstrukturen bekommt Aufwind.

Die Medien lenkten die Aufmerksamkeit bisher meist auf Firmenfunknetzwerke, die von„wardrivern“ (mobile Hacker) auf Sicherheitslöcher geprüft wurden. Doch neben Unternehmen bedient sich zunehmend auch der Bürger der Funktechnik. Netzwerkspieler haben die kabellosen Vorteile längst erkannt. Universitäten bieten WLAN- Zugänge auf dem Campus an. Bürgerinitiativen vernetzen sich und ihre Umgebung, tauschen Daten und teilen Breitbandinternetzugänge. Im Vordergrund der Initiativen steht der nicht kommerzielle Gedanke und offener Zugang für jeden.
Freifunk.net, ein deutscher Zusammenschluss von bestehenden Initiativen lädt vom 12. bis 14. September zur „summer convention“ nach Berlin. Eingeladen sind Vertreter aus Politik und sozialen Projekten um „gemeinsam über Nutzen und Möglichkeiten zu diskutieren und zukunftsweisende Konzepte demokratisierter Infrastrukturen zu erarbeiten“.

Innovative Bergdörfer und volkseigene Funknetze

Die Freigabe bestimmter Funkfrequenzen ohne Lizenzpflicht durch die EU eröffnet vielen die Möglichkeit, Funknetzwerke ohne größere Probleme aufzubauen. So entstand in England die bisher größte Initiative
consume.net. Ein italiensches Bergdorf vernetzte sich komplett per WLAN und in Berlin arbeitet man an einer Vernetzung von Kunst- und Kulturbereichen, dem BerlinBackbone. Die Besonderheit dieser Netze besteht darin, dass die erforderliche Infrastruktur weder von Privatunternehmen noch Staatsbetrieben unterhalten wird. Eigentümer sind somit die Bürgerinitiativen selbst.

Die Folge: Jeder Teilhaber am Netz stellt seine Systemkomponenten und Ressourcen anderen mit zur Verfügung. Vorteile sind hierbei Kostensenkungen und soziale Zusammenarbeit. Organisiert hat man sich zumeist in eingetragenen Vereinen, Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Als kleinster gemeinsamer Nenner wurde das
PicoPeeringAgreement ins Leben gerufen, um minimale Rechte und Pflichten jedes Teilnehmers festzulegen.

Der Aufstieg: Ausrüstung, Kollektiv und das Planziel

„Es geht um eine nachhaltige Vernetzung, welche die Kompetenz der Bürger fördert und um selbst-verwaltete, selbst-organisierende Netze und nicht zuletzt darum, lokale Sozialstrukturen durch lokale Intranetze zu fördern. Es geht um die Überwindung der digitalen Kluft: lokal, national und global!“

„Das Netz der großen ISPs für den Konsum, kommerzielle Dienste und Dienstleistungen, des Netz des Staates für seine Aufgaben und Dienste, und das lokale Netz der Bürgerinnen und Bürger für sie und ihre Anliegen, selbstverständlich über das Internet miteinander verbunden.“ So beschreibt Jürgen Neumann, Pressesprecher von Freifunk.net Ziele der Initiativen.

„Selbst -organisierte Netze“ heißt hierbei: unabhängig vom Medium. Dies können z.B. auch Kabelnetzwerke in den Händen von Bürgerinitiativen sein.

Die freifunk.net „summer convention“ soll hier ansetzen. Der täglich stattfindende „Open Space Workshop“ dient als Forum um „zukunftsweisende Konzepte demokratisierter Infrastrukturen“

diskutieren zu können. Ebenfalls werden Workshops für die praktische Umsetzung von freien Funknetzwerken veranstaltet. Erfahrungsberichte für Neueinsteiger und Interessierte werden auf der Website angeboten. Freifunk.net sucht den Kontakt mit Vertretern sozialer Projekte, Politik und dem Bürger.

Die Ergebnisse der Gespräche der „summer convention“ sollen in einer Art Forderungskatalog festgehalten werden und in die jeweiligen Wirkungskreise der Teilnehmer eingebracht werden. Einwirkungen erhofft man sich auf Länder und Kommunen, über den Bund bis hin zum UN-Gipfel über die Informationsgesellschaft.

Achtung Steinschlag

Das Interesse der Gesellschaft oder besser der Bekanntheitsgrad an solchen Projekten scheint jedoch noch klein. Laut Neumann gibt es bisher leider noch keine konkreten Zusagen von Vertretern der Politik und sozialen Projekten. Ausgegangen ist die freie WLAN- Bewegung von Künstlern und Freaks der Computerszene. Bisherige Initiativen haben sich meist in computerinteressierten Kreisen gebildet. Um jedoch Desinteressierte oder Unwissende zu begeistern bedarf es hier viel Überzeugungsarbeit ausgehend von den bestehenden Projekten. Ansonsten besteht für diese junge Bewegung die Gefahr sich zur elitären Randerscheinung zu entwickeln.

Zur Randerscheinung verdammt ist eine frühere Form der Bürgerkommunikation, welcher bei Ihrer Einführung ähnliche soziale Heilmittel wie Förderung der Medienkompetenz und größere Partizipationsmöglichkeiten der Bürger in einer Demokratie zugesprochen wurden. Die Errungenschaft des offenen Kanals blieb jedoch nebenläufig bis unbeachtet. Freie Kommunikationsnetzwerke bieten hier viel breitere und tiefere Möglichkeiten anzusetzen, ob dies wahrgenommen wird, wird sich zeigen. Abhängig ist dies von den technischen Möglichkeiten freier Kommunikationsnetzwerke und dem Grad der Mobilisierung verschiedener sozialer Projekte. Themen- und Publikationsinteresse ist von den beteiligten Nutzern abhängig. Das Netzwerk steht und fällt mit allen Beteiligten, ein hohes Maß an Selbstmanagement ist gefordert.

Zusätzlich problematisch erscheint die Ausweitung von kommerziellen Angeboten in den Kommunikationsnetzwerken. Dies belastet die zur Verfügung stehenden Frequenzbereiche zunehmend. Vom Staat werden hier klar festgelegte Grenzen zwischen wirtschaftlich orientierten und selbst organisierten Netzen gefordert. Die Frequenzbereiche können klar zugewiesen werden. In dieser Schutzzone gäbe es eine realere Chance auf Entwicklung für freie Netzwerke. Wird sich die Politik auf gewünschte Diskussionen einlassen? Weiter interessant ist die Frage ob sich diese Netzwerke, wie Telefongesellschaften und ISP den Strafverfolgungsbehörden öffnen müssen.

Das Bergpanorama und die Revolution

WLAN ist nicht neu und die Idee freier Bürgernetze ebenso wenig. WLAN ist nur ein technischer Weg von vielen die Bürgerkommunikation zu fördern. Aber ein günstiger und schnell ausbaufähiger, weil kabelloser Weg. Die Hardwarekosten für Funknetzwerke fallen. Palm-Geräte und Smartphones werden zunehmend WLAN–fähig und die Anwenderzahl steigt. Gelingt es, diese Komponenten zu einem System zusammenzufügen, wäre das Potenzial der hieraus entstehenden freien Kommunikationsnetzwerke für weitaus größere Teile der Gesellschaft riesig. Es werden Begegnungsräume geschaffen. Bürger können aus der zunehmenden Vereinzelung treten, Wissen teilen, gemeinsam weitere Aktivitäten entwickeln. Bestehende soziale Projekte hätten einen direkten Draht zur lokalen Bevölkerung oder es finden sich Menschen für neue Projekte zusammen. Die Transparenz der Umgebung wird gefördert und somit die Bindung der Bürger an ihre Region. Nicht zuletzt der kulturelle Austausch, die Förderung der Kultur durch entsprechend beteiligte Projekte. Schulen, Universitäten und Bibliotheken könnten eigene inhaltliche Angebote machen. Jeder Teilhabende entwickelt durch seinen Beitrag eine stärkere Medienkompetenz, welche in der heutigen Zeit eine immer wichtigere Bedeutung für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben geworden ist.

Neumann fordert die Menschen auf, diesen Teil ihres Rechts und der dazu notwendigen Ressourcen nicht aufzugeben. Es bedeute aber auch: „aktiv zu werden, sich selbst zu emanzipieren und sich aus der Rolle des Konsumenten zu befreien“.

Es wäre sogar möglich einen Weg gefunden zu haben Jean-Jacques Rousseaus idealtypischen Gesellschaftsvertrag von 1762 ansatzweise umzusetzen. “Das Problem ist eine Form des Zusammenschlusses zu finden, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor.”

Terminhinweis:

12. September – 14. September 2003

Berlin – freifunk.net summer convention mit politik-digital.de als offiziellem Medienpartner