(22. Juni 2006) Die Möglichkeiten des Online-Networkings werden auch hierzulande immer stärker genutzt. Florian Renz fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung zu Social Networking am Beispiel des Online-Netzwerks openbc.com für politik-digital.de zusammen.

War früher eher abfällig von Begriffen wie „Seilschaften“ und „Vetternwirtschaften“ die Rede, so nimmt seit einiger Zeit der Begriff des „Networkings“ in unseren Sprachgebrauch Einzug. Damit ist das zielgerichtete Ausbauen persönlicher sozialer Netzwerke gemeint – das beinhaltet auch die regelmäßige Pflege dieser Kontakte. In der soziologischen Theorie ist die Mobilisierung von Ressourcen zur Einbettung in ein soziales Beziehungsgeflecht („soziales Netzwerk“) als „Sozialkapital“ bekannt. Etwas plakativ formuliert kann man erfolgreiches Networking mit einem höheren Ausmaß an Sozialkapital gleichsetzen.

Social Software im Networking Prozess

Die in den letzten Jahren wachsende Bedeutung des Internets drückt sich auch in der Entwicklung neuer Online-Anwendungen aus, die die Möglichkeit bieten, soziale Netzwerke darzustellen und zu erweitern. Relativ neu ist der für solche Technologien geprägte Sammelbegriff der „
Social Software“. Im Wesentlichen gehören dazu Weblogs,
Wikis und „Social Network Sites“.

Am deutlichsten tritt das Phänomen der Vernetzung bei den Social Network Sites zutage, bei denen angemeldeten Mitglieder untereinander in Kontakt treten. Das seit 2003 existierende Hamburger Internetangebot
Open Business Club, kurz „openBC“, ist eine dieser Social Network Sites, die sich in den letzten Jahren zahlreich entwickelt haben und das soziale Netzwerk eines Individuums zumindest teilweise abbilden können. Dies geschieht durch die Visualisierung der Kontakte der einzelnen Teilnehmers, die sich untereinander als Bekannte bzw. Freunde verifizieren. Über Visualisierungspfade können die Nutzer – in Anlehnung an das bekannte „
Small World Phenomenom“ (Milgram 1967), nach dem einzelne Mitglieder großer sozialer Netzwerke nur durch wenige Schritte miteinander verbunden sind – feststellen, dass sich die Mitglieder zumindest indirekt kennen.

openBC vernetzt weltweit inzwischen über eine Million Menschen.– das business-orientierte Angebot steht nach eigenen Angaben mittlerweile in 16 Sprachen zur Verfügung und wird von Mitgliedern aus 200 verschiedenen Nationen genutzt.

Das Entstehen neuer Networking Praktiken

Statt auf Visitenkartenpartys sich durch Dritte einander vorstellen zu lassen, können Geschäftsleute dies online tun. Neben der Kontaktanbahnung bieten die technischen Möglichkeiten der Netzwerkplattform weitere Kommunikationsformen an. In thematisch eingegrenzten Foren kann beispielsweise Wissen ausgetauscht werden oder mit anderen Mitgliedern auf verschiedene Arten kommuniziert werden. Jeder Anwender verfügt zudem über eine Profilseite, die über die eigene Person informiert und gleichzeitig direkte und indirekte Verbindungen zu anderen Mitgliedern anzeigt.

Gegenüber der herkömmlichen Kontaktpflege bedeutet dies, dass die Funktionsvielfalt der Plattform dem Nutzer neue Handlungsoptionen anbietet, die unter Umständen alte Handlungsroutinen ergänzen und sogar ersetzen können. Mit der Nutzung dieser Social Network Sites entstehen neue Möglichkeiten des Networkings, die das persönliche Sozialkapital erheblich ausweiten können.

Praktiken des Networkings in openBC

Die Realität sieht jedoch anders aus. Zahlreiche im Rahmen einer Diplomarbeit erhobene Interviews mit Nutzern von openBChaben ergeben, dass das Generieren von neuen Kontakten eher zweitrangig ist und die Anwender vor allem bereits aus der Offline-Welt bestehende Kontakte pflegen. Die Mehrzahl der Befragten gab an, dass sie über erheblich mehr Kontakte aus der Offline-Welt als aus der Online-Welt verfügen.

Für den Großteil der Nutzer bildet openBC dabei vor allem eine praktikable Form eines sich aktualisierenden Adressbuches. So sei das Generieren von Geschäftsbeziehungen nicht ihre Hauptmotivation, die Netzwerkplattform zu nutzen. Oftmals sei das Verwalten von bekannten Kontakten der wichtigere Grund für die Nutzung. Es finden sich folglich vermehrt einander bekannte Gruppen zueinander, die zudem eher im privat-freundschaftlichen als im geschäftlichen Bereich anzusiedeln sind.

Versteht man Networking in einer ganzheitlichen Definition, die sowohl die Pflege bereits geknüpfter Kontakte als auch das Generieren neuer Kontakte beinhaltet, so wird deutlich, dass das Online-Networking nur teilweise umgesetzt wird. Im Gegensatz zur Idealvorstellung, dass mit Hilfe von business-orientierten Social Network Sites in großem Maße neue Kontakte generiert und damit auch neue Kundenkreise und/oder Aufträge an Land gezogen würden.

Die meisten Befragten gaben vielmehr an, bisher keine Geschäftsbeziehungen über die Plattform geknüpft zu haben, oftmals aber interessante Kontakte aufgebaut zu haben, von denen sie sich in der Zukunft einen Nutzen versprechen. Statt durch neue Verbindungen konkrete Verhandlungen anzustreben, werden Kontakte eher hergestellt, um eine „Nutzenreserve“ aufzubauen, aus der man in Zukunft bei Bedarf schöpfen kann.

Die Nutzertypologien

Aus den dargestellten Erkenntnissen der Nutzerbefragung zu schließen, dass openBC nur halbherzig genutzt wird, ist jedoch vorschnell. Denn es existieren zwei verschiedene Nutzertypen: Zum einen die Anwender, die von sich behaupten, openBC eher passiv und unregelmäßig zu nutzen. Zum anderen Anwender, die das Networking nach eigener Aussage aktiv und regelmäßig betreiben. Diese Einteilung korreliert stark mit der Unterscheidung zwischen dem Status der kostenfreien Mitgliedschaft und dem Status der Premiummitgliedschaft, die gegen eine monatliche Gebühr erweiterte Funktionalitäten bietet. In beiden Gruppen herrscht eine geringe Bereitschaft, den innehabenden Mitgliedschaftsstatus zu wechseln.

Erwartungen

Nicht nur die Nutzung der Online-Netzwerkplattform ist eingeschränkt, auch die Erwartungen der Nutzer sind eher gering und beschränken sich auf Aspekte, die mit den technischen Möglichkeiten der Plattform einhergehen (erleichterte Kontaktmanagement und die Suchfunktionalitäten). So sind die Nutzer der Auffassung, dass die Plattform für die Generierung eines Erstkontaktes durchaus geeignet, für die Ausweitung einer geschäftlichen Beziehung jedoch der direkte persönliche Kontakt mit dem potentiellen Geschäftspartner unvermeidlich sei. Die Netzwerkplattform kann nach Aussagen der Nutzer den herkömmlichen Networking-Prozess nicht ersetzen. Die meisten Befragten sehen in der Plattform eher eine Ergänzung und Unterstützung ihrer sonstigen Networking-Aktivitäten.

openBC Networking im Offline-Bereich

Dazu zählen vermehrt auch die so genannten „openBC-Treffen“ – von den openBC Mitgliedern in vielen Städten nach dem „bottom-up“ Prinzip durchgeführte Veranstaltungen, die zum Zwecke des Networkings organisiert werden. Mittels mehrerer teilnehmender Beobachtungen wurden diese Treffen analysiert, wobei ähnliche Tendenzen wie beim Online-Networking festgestellt wurden. Vor allem bei Veranstaltungen, an denen mehrere hundert Personen teilnehmen, finden sich wieder einander bekannte Gruppen zusammen, deren Verhalten auf eine hohe Vertrautheit untereinander schließen lassen.

Aus den Aussagen von Teilnehmern der Treffen, aber auch aus den Ergebnissen der Nutzerbefragung geht dennoch hervor, dass es sich bei den openBC Treffen um eine Fortführung der Networking-Prozesse auf der Online-Ebene handelt. So kann der für Geschäftsbeziehungen oft notwendige persönliche Kontakt bei diesen Veranstaltungen geschlossen werden. Diese Verknüpfung der Online- und der Offline-Ebene wird von einigen aktiven Nutzern als äußerst wertvoll eingestuft.

„Mehr-Ebenen-Networking“

In den Erhebungen wurde erkannt, dass openBC einen sozialen Raum bildet, in dem Praktiken des Networkings ausgeübt werden und neue Nutzungsroutinen entstehen, die bisher gängige Praktiken ergänzen.

Versucht man die zentrale Motivation zu benennen, über openBC Networking zu betreiben, so ist nach den Ergebnissen der Nutzerbefragung zwar zu konstatieren, dass der Auf- und Ausbau von Sozialkapital an vorderster Stelle steht, allerdings nicht in der optimalen Weise. Neben einer Gruppe von Anwendern, die openBC nur passiv und unregelmäßig nutzt und in der Plattform nicht viel mehr als ein digitales Adressbuch sieht, gibt es eine zweite Gruppierung, die das Online-Networking erheblich aktiver betreibt, aber auch in den wenigsten Fällen „ganzheitliches Networking“ betreibt, also neuen Kontakte generiert und bereits bekannte Kontakte pflegt. Ebenso wenig ist openBC eindeutig als geschäftlich-orientierte Social Network Site zu deuten, denn zu viele Praktiken, die auf private Bekanntschaften ausgerichtet sind, werden ausgeübt.

Vielmehr scheinen die Networking Praktiken in openBC nur ein Element übergeordneter Praktiken zu sein, die auf ein „Mehr-Ebenen-Networking“ hindeuten. Traditionelle Mechanismen der Kontaktpflege werden mit den neuen Optionen des Online-Networkings verbunden, die openBC und die dazugehörigen Treffen bieten. Nach Aussage einiger Anwender bilden die neuen Elemente die ideale Ergänzung zum traditionellen Networking, dessen kompletten Wegfall keiner der Nutzer erwartet.

Individuelle und gesellschaftliche Konsequenzen

Wie der Begriff der Social Software neu ist, so sind auch die meisten darunter subsumierten Angebote äußerst jung. Im Anschluß an Theoretiker wie
Barry Wellman (2000) oder
Manuel Castells (2001) sind die Anwendungen der Social Software als weiterer Katalysator für das Entstehen einer „Netzwerkgesellschaft“ zu deuten. In dieser Organisationsform verlagert sich Castells zufolge der soziale Austausch zwischen Akteuren zunehmend in Netzwerke, die delokalisiert organisiert sind, deren Teilnehmer sich aber durch die neuen Kommunikations- und Informationstechnologien über große Distanzen hinweg austauschen können. Der potentielle Transfer von Networking-Praktiken aus dem Offline- in den Online-Bereich entspricht den Prognosen Castells für die weitere Ausgestaltung der Netzwerkgesellschaft.

Social Network Sites, wie das diskutierte Angebot openBC, erleichtern dem Einzelnen die Pflege und die Erweiterung des eigenen sozialen Netzwerkes, besonders dann, wenn man die Online-Networking Praktiken mit denen der traditionellen Networking-Formen kombiniert. Ihre Nutzer können sich gegenüber anderen Personen einen Vorteil verschaffen, weil sie in der Lage sind, ihr soziales Netzwerk auszubauen und damit die Ressourcen – das Sozialkapital – zu steigern, das ihnen zur Verfügung steht.

Die Entwicklung im gesamten Bereich der Social Software kann demnach in der Lage sein, die „Digitale Spaltung“, die Kluft zwischen Internet-Nutzern und Internet-Nichtnutzern, weiter zu erhöhen. Dies kann zum sozialen Problem werden, vor allem deswegen, weil die Kluft zwischen Onlinern und Offlinern entlang anderer gesellschaftlicher Spaltungen, wie dem Alter und dem Bildungsniveau, verläuft.

Der Autor des Textes, Florian Renz, beschäftigte sich im Rahmen seiner Diplomarbeit „Praktiken des online-gestützten Netzwerkens am Beispiel von openBC“ und seiner Tätigkeit an der
Universität Bamberg mit Social Software Anwendungen.