Das Thema soziale Innovation ist im Aufwind. Die OECD mit ihrem Forum für soziale Innovation und die Europäische Kommission (z.B. Social Innovation Europe) haben es auf ihre Fahnen geschrieben. Auch die Unesco ist gerade dabei, ein entsprechendes Programm vorzubereiten. Ebenso ist das Thema inzwischen bei etlichen nationalen Regierungen virulent. Sie alle lassen sich bei ihren neuen Programmen inspirieren von den Ergebnissen der Wiener Konferenz vom September 2011, konzentriert in der Wiener Erklärung. Das könnte auch für Deutschland und den deutschen Sprachraum Anregung sein, die vorhandenen Programme zu überdenken.

Nicht alles, was sich unter diesem neuen Etikett versammelt, ist neu. Aber zum ersten Mal bekommt eine vielfältige Versammlung von Themen einen gemeinsamen Namen. Als soziale Innovation kann man all jene neuen sozialen Handlungsweisen (also auch Politiken) bezeichnen, die von den Bürgerinnen und Bürgern oder relevanten Gruppen angenommen worden sind, weil sie bestimmte soziale Bedürfnisse anders oder besser befriedigen.

Unter der Rubrik soziale Innovation kann man in jüngerer Zeit so unterschiedliche Neuerungen versammeln wie die Arbeitszeitkonten in den Betrieben und Kurzarbeit, die Deutschland so gut durch die Krise haben kommen lassen, die Kommunikation via Internet, die unsere Formen des Arbeitens und Kommunizierens so tiefgreifend verändert hat. Aber auch der Einzug von McDonald’s, der als neuer Typ von Gastronomie für viele Menschen eine völlig veränderte Form des gemeinsamen Essens bedeutet hat. Damit ist klar: Wie bei dem herkömmlichen Innovationsbegriff, der eher auf technische Produkte bezogen ist, geht es auch hier nicht um Gut oder Böse. Was die Einen als Vorteil ansehen, mögen Andere ignorieren oder gar ablehnen.

Dabei hat die Wissenschaft es leicht, denn sie sagt unter Bezug auf Schumpeter: Innovation ist das Neue, das sich durchgesetzt hat. Das gilt für Innovation in jeglicher Form. Das lässt sich empirisch prüfen und belegen. Politik und ihre Programme müssen jedoch entscheiden, bevor sich etwas Neues durchgesetzt hat. Nicht selten sind Gesetze sogar die Form der Durchsetzung des Neuen. Bei Programmen geht es jedoch darum, Entscheidungskriterien zu entwickeln, wofür Geld ausgegeben, welche Neuheit gefördert werden soll. Die Vergabekriterien dazu sind bekannt. Sie hängen wie bei allen anderen Projektanträgen, die gefördert werden sollen, von der Qualität des Antrags ab. Er muss wissenschaftlich überzeugend begründen: Wie neu ist das Neue, das vorgeschlagen wird? Was macht es besser als das, was gegeben ist? Was bringt es der Gesellschaft? Wie gut ist das Projektkonsortium dafür geeignet, das zu erforschen und zu entwickeln? Wie solide ist das Forschungs- und Entwicklungsdesign beschrieben, mit dem das erreicht werden soll? Wie gut sind die dafür geplanten Ausgaben begründet?

Nichts muss neu erfunden werden. Nicht wenige Programme der Europäischen Kommission, aber auch viele nationale oder EU-kofinanzierte Programme haben auch in den vergangenen Jahren schon sozial-innovativen Ideen Raum gegeben, die wir heute unter dem Label Soziale Innovation versammeln. Zum Beispiel das große Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ der siebziger und achtziger Jahre fällt in diese Kategorie. Nur wissen wir heute, dass man die Menschen nicht belehren kann, sondern mit ihnen zusammen das Neue erforschen und entwickeln muss.

Welche Rolle hat die Wissenschaft?

Politik nutzt Wissenschaft in vielfältiger Weise, nicht nur als Quelle des aktuell verfügbaren Wissens, sondern gerne auch als Legitimation für längst getroffene Entscheidungen. Weniger gerne sehen politisch Verantwortliche, wenn WissenschaftlerInnen sich einmischen. Auch viele WissenschaftlerInnen selbst ziehen es vor, ihre Ergebnisse unverbindlich zur Verfügung zu stellen.

Soziale Innovationsprojekte verlangen den Forschenden jedoch ab, dass sie nicht nach dem klassischen Forschungsparadigma verfahren: Wir fragen, Sie antworten. Wir publizieren, Sie können es ja lesen. Sozialforschung muss sich in vollem Umfang ihrer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Wissenschaft bewusst sein, und dies muss sich auch in den Methoden und Instrumenten des Forschungs- und Entwicklungsprozesses sowie in den Kommunikationsformen widerspiegeln, die zum Einsatz kommen. Dazu gehört, dass man schon bei der Formulierung der Fragestellung darauf achtet, dass die Sichtweisen der beteiligten und betroffenen gesellschaftlichen Gruppen eingeholt werden und Berücksichtigung finden, dass Betroffene beteiligt und in die Interpretation der Ergebnisse eingebunden werden und dass als Ergebnis nicht nur akademische Lesekost angerichtet wird, sondern (zumindest) auch Werkzeuge und Handreichungen für die Praxis geliefert werden. Für die Programmverantwortlichen in Politik und Ministerien ist es daher wichtig zu wissen, dass sie für solche Projekte mit den rein akademischen Evaluatoren, die den Daumen für die Bewilligung der Projekte heben oder senken, nicht immer gut fahren werden.

Dabei darf es auch Pannen und Misserfolge geben. Sozialwissenschaftliche Projekte sind im Vergleich zu Technikprojekten ziemlich billig zu haben. Auch bei den weitaus mehr Millionen verschlingenden Projekten der technischen Innovation sind nicht alle Projekte ein Erfolg. Und die Innovation, die ihr Gegenstand war, noch seltener. 90 Prozent dessen, was als „Innovationspanther“ abspringt, landet als lahmer Hauskater in der Ecke und wird nie ein ökonomischer Dauerbrenner. Partizipatorisch angelegte soziale Innovationsprojekte hingegen haben zumindest bei den beteiligten Menschen einer Stadt, einer Region, eines Verbandes oder Unternehmens schon etwas bewirkt. Politik sollte daher mehr Mut zu sozialen Experimenten zeigen und soziale Innovationsprojekte aktiver fördern.