Bundestagswahl 2005 – erstmals ist es realistisch, dass die Parteien im Wahlkampf die großen Internetportale zur Wähleransprache nutzen. Das prognostiziert Andreas Horst, Pressesprecher der Web.de AG, in einem Gastbeitrag bei
clickmall.de – das Mittelstandsportal der Vogel Medien Gruppe, den politik-digital.de dokumentiert. Reichweite und Intensität der Wähleransprache könnten inzwischen durchaus mit anderen Medien mithalten, schreibt Horst, “Online” habe gute Chancen, endlich als gleichberechtigter Partner in den Medienmix aufgenommen zu werden. Steigen die Portale mit ihren Kundendaten in großangelegtes Wähler-Direktmarketing ein?

Nordrhein-Westfalen war voraussichtlich die letzte große Wahl in Deutschland, bei der die Entscheidung noch nicht „online“ fiel. Aber bereits die Wahlen zum britischen Unterhaus am 5. Mai dieses Jahres haben in aller Deutlichkeit den Weg aufgezeigt, den die politische Kommunikation hierzulande gehen wird. Die Spin Doctors in Großbritannien haben mit dem Internet-Campaigning wieder einmal internationale Maßstäbe gesetzt – wie einst mit „New Labour“, wenn auch auf den ersten Blick nicht so spektakulär. Es ist zu erwarten, dass Wahlkampfstrategie und Wahlkampfführung auch in deutschen Wahlkämpfen tiefgreifende Veränderungen erfahren werden.

Wahlkampf im Internet: mehr als ein Gimmick

Schon zu Beginn dieses Jahres verfügten mehr als 60 Prozent der Wähler in Deutschland über einen Internetzugang. Es ist wahrscheinlich, dass das jüngste Massenmedium – seiner Nutzerzahl entsprechend – in diesem Bundestagswahlkampf schon als strategisches Instrument in die Kampagnenplanung einbezogen wird. Die Zeiten, in der politische Online-Werbung nur als „Gimmick im Wahlkampf“ (Ex-SPD-Stratege Machnig) betrachtet wurde, sind dann endgültig passé. Voraussetzung wird sein, dass das enorme Potenzial nicht nur von den Kommunikationsexperten in den Wahlkampfstäben erkannt wird, sondern auch von der obersten politischen Führung. Wenn man sieht, wie Deutschlands größter Kommunikator, der amtierende Medienkanzler, versucht, dem scheinbar übermächtigen Trend zu trotzen, weiß man auch, dass er keine Chancen auslassen wird, das Optimum aus diesem Bundestagswahlkampf herauszuholen.

So wie Blair hat auch Schröder Vertrauen eingebüßt, und wie Blair wird er vom Wähler bestraft werden. Und der Kanzler wird wie der britische Premier versuchen, die inhaltlichen Defizite der Regierungspartei und den Mangel an Glaubwürdigkeit mit dem modernsten Wahlkampf in Europa zu kompensieren. Das Ziel lautet, die demobilisierten eigenen Anhänger zurückzugewinnen, sie dabei direkt anzusprechen: persönlich und regelmäßig. Das strategische Instrument für diese neue Art von Wahlkampf war in Großbritannien das Internet. Dem britischen Vorbild folgend, könnte der Online-Wahlkampf auch im deutschen Sommer 2005 – insbesondere für die enttäuschten Anhänger der Sozialdemokratie – eine entscheidende Rolle spielen. Es ist die große Chance für die SPD, dass die Signale doch noch gehört werden: in einem eigenen Kommunikationskanal der Genossen – und hier ungestört von der Häme der Massenmedien.

Je moderner die Strategie, desto größer der Erfolg

Das Internet ist im Begriff, sich als Massenmedium neben dem Fernsehen zu etablieren. Die millionenfache tägliche Nutzung von Ebay und Google und der verschiedenen E-Mail-Dienste zeigen, dass „online sein“ für die meisten Menschen in Deutschland bereits zum normalen Alltag zählt.

Der intensive Einsatz dieses Mediums als Werbeplattform mit bisher nicht geahnten oder auch nur ansatzweise angedachten Möglichkeiten wird konsequenterweise der großen Volkspartei einen entscheidenden Vorsprung bescheren, die in dem verkürzten Bundestagswahlkampf zuerst diese Chance wahrnimmt. Man erinnere sich: Die modernere Wahlkampagne bei den Bundestagswahlen war – spätestens seit 1994 – auch immer die erfolgreichere. In Anlehnung an den Großmeister der politischen Kommunikation, Clinton, gilt für das Deutschland nach der Wiedervereinigung: It’s the Campaign, Stupid!

“‘Bild’ und Glotze” reichen nicht mehr aus

Die jüngsten Wahlkämpfe in den USA und Großbritannien haben schon eindrucksvoll veranschaulicht, wie massiv das Internet zur millionenfachen Mobilisierung von Wählern, Unterstützern und Spendern eingesetzt werden kann. Dabei ist der finanzielle Aufwand deutlich geringer als bei der klassischen, auch weiterhin unverzichtbaren Wahlwerbung (Plakat, Print, TV, Großveranstaltungen).

Die breite Einbeziehung des Internets in die Wahlkampfstrategien ermöglicht den Parteien, ihre Klientel direkt anzusprechen. Diese Ansprache erfolgt persönlich und dabei über den gesamten Zeitraum des Wahlkampfes hinweg – und nicht mehr nur bei wenigen Aktionen für einige Zielgruppen. Erstmals wird es möglich sein, einen permanenten, personalisierten Wahlkampf nahezu in Echtzeit zu führen. Dabei steht nicht der eigene Online-Auftritt der Parteien im Vordergrund, der von Kampa-Macher Machnig zu Recht als nicht wahlentscheidend betrachtet wird, sondern die großen Internetportale werden sich hier als Werbemedien etablieren – mit einer dem Fernsehen vergleichbaren Reichweite.

Für die Kampagnenfähigkeit bedeutet diese bis dato nicht erreichte Intensität der Wähleransprache einen enormen Qualitätssprung, denn die Reaktionen auf diese interaktiven Angebote sind zudem unmittelbar online messbar. So kann die Wahlkampfleitung in kürzester Zeit auf Stimmungen und vor allem Stimmungsumschwünge reagieren – deutlich schneller als bei klassischen Meinungsumfragen.

„’Bild’ und Glotze“ werden alleine nicht mehr ausreichen. Des Kanzlers (ehemalige?) Leitmedien werden auch von dem neuen Medium nicht verdrängt werden können, aber „Online“ wird als gleichberechtigter Partner hinzukommen. Und schon in diesem Sommer wird das Internet einen wichtigen Beitrag zum Wahlsieg des alten Bundeskanzlers oder der neuen Bundeskanzlerin leisten können.

Dieser Artikel wurde von Andreas Horst, Pressesprecher der Web.de AG, verfasst und erschien erstmals bei clickmall.de.