Quelle: Hier ist DIE LINKE via FlickrSie sitzt für die Linke in der Bundestagsenquete „Internet und digitale Gesellschaft“, arbeitete früher als Anwältin und bekam nach Hans-Christian Ströbele am meisten Erststimmen in ihrem Bundestagswahlkreis: Halina Wawzyniak. Wie sie zur Netzpolitik kam und ob die Piratenpartei eine Bedrohung für die Linke ist, lesen Sie hier.
An wen denken Sie, wenn Sie das Stichwort „Die Linke“ hören? Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, PDS oder sogar SED? Menschen, die sich mit Netzpolitik in Deutschland beschäftigen oder in Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg wohnen, fällt vielleicht ein weiterer Name ein: Halina Wawzyniak – netzpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion.
Im Berlin-nahen Königs Wusterhausen geboren, studiert Wawzyniak in den 1990er Jahren Rechtswissenschaften an der Freien Universität der Hauptstadt. In die PDS tritt sie schon 1990 ein – weil sie an einen dritten Weg neben DDR und Kapitalismus glaubte, wie sie in ihrem Bundestagsbüro Unter den Linden erzählt. Aber auch Themen wie Bundeswehrkritik und Drogenpolitik bewegen sie zum Eintritt in die Partei. Außerdem ist der Kreisverband der PDS vor Ort sehr aktiv. Sonst wäre sie vielleicht bei SPD oder Grünen gelandet. „Ob ich da geblieben wäre, ist eine andere Frage“, fügt Halina Wawzyniak lachend hinzu, vor sich eine angebrochene Flasche Club Mate.

Die antiautoritäre Anwältin

Wie sie auf Netzpolitik kam? Eigentlich durch Zufall. Nach dem Jurastudium will sie Rechtspolitik machen. Sie arbeitet als Anwältin und beschäftigt sich mit Sicherungsverwahrung und Wahlrecht. Dann richtet der Bundestag im Jahr 2010 eine Enquetekommission zu Internet und neuen Medien ein: Die Fraktion der Linken muss einen Abgeordneten zur Entsendung in die Kommission benennen. Da fällt die Wahl schnell auf Wawzyniak, der an der Freiheit des Netzes gelegen ist. Als netzpolitische Sprecherin der Fraktion hat sie sich die Internetthemen nach und nach erschlossen. Dabei war ihre Perspektive häufig eine juristische: Etwa, dass Sie sich für den Grundsatz „Löschen statt Sperren“ einsetzt, der vorsieht, z.B. kinderpornografische Inhalte aus dem Internet zu nehmen, anstatt den Zugang hierzu zu blockieren, wie es die Bundesregierung mit Ursula von der Leyen ursprünglich plante. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 ist „Löschen statt Sperren“ nun festgeschrieben.
Ihr Ziel sei es bis heute, dass sich die netzpolitischen Sprecher selbst überflüssig machen. Erst dann sei Netzpolitik tatsächlich von allen anderen Politikbereichen absorbiert und verinnerlicht, selbst die Gesundheitspolitik würde dann wie selbstverständlich Netzpolitik enthalten. Heute komme es in allen Lebenslagen darauf an, die Auswirkungen auf den „Kulturraum Internet“ zu erfassen.

Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Die Enquete-Kommission habe sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Man will außerhalb der Tagespolitik arbeiten und zum Ende hin Empfehlungen aussprechen. Aus Sicht Wawzyniaks ist die Kommission diesem Anspruch nur teilweise gerecht geworden. Zu oft habe sie sich auf die Tagespolitik konzentriert. Auch seien die Internetnutzer zu spät eingebunden worden. Positiv sei aber in jedem Fall hervorzuheben, dass die Enquete es ermöglicht habe, Netzpolitik aus ihrem Nischendasein zu befreien – Nutzer würden heute nicht mehr als „Spinner“ abgetan. Gelassen könne die Enquetekommission den kommenden Beratungen entgegensehen, die Arbeit werde fortgesetzt. In ihrer Tätigkeit als Linken-Abgeordnete innerhalb der Enquete sieht sie sich im Vorteil gegenüber Fachpolitikern der anderen Fraktionen: In ihrer Partei gebe es keine Konflikte zwischen Netzpolitikern und z.B. Rechts- oder Kulturpolitikern und deswegen sieht sie sich auch nicht mit Handlungsanweisungen ihrer Partei konfrontiert.

Neue Konkurrenz und Neonazis im Netz

Auf die Konkurrenz der Piratenpartei angesprochen, entgegnet Wawzyniak selbstbewusst: „Die Linke muss sich nicht verstecken“. Sicherlich gebe es Überschneidungen zwischen der Linken und der Piratenpartei – sowohl bei den Wählern als auch bei den Inhalten. Beispielsweise trete man auch für einen kostenlosen Nahverkehr ein, doch es müsste verhindert werden, dass Nicht-Netznutzer auf Dauer Nachteile gegenüber Internetnutzern hätten. Was ihr bei den Piraten fehlt, ist die soziale Gerechtigkeit.
Viel wurde in den vergangenen Wochen über politischen Extremismus im Internet diskutiert. Macht es das Internet nicht leichter, aufwühlende Botschaften zu verbreiten und die Vernetzung politischer Extremisten zu vereinfachen? Das Problem sei ein gesellschaftliches, kein netzbezogenes, meint Wawzyniak. In ihren Augen ist das Internet weder gut noch böse: Weil es Neonazis in der Gesellschaft gibt, sind sie auch im Internet vertreten. Problematisch sieht sie hingegen den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft.

Das Netz und Wawzyniak in zehn Jahren

In zehn Jahren, ist sich Wawzyniak sicher, wird die Netzpolitik im Alltag angekommen sein. Dann werde der Begriff „Netzpolitik“ als antiquiert gelten. Für sehr wichtig hält sie auch die außerparlamentarische Arbeit – Politiker könnten nur mit Unterstützung der Gesellschaft etwas ausrichten. Für sich persönlich kann sie sich sehr gut vorstellen, an einem wissenschaftlichen Institut über Sicherungsverwahrung zu forschen. Schon jetzt interessiert sie sich für den Zugang von Strafgefangenen zum Internet oder die Ausübung des Wahlrechts durch Sicherungsverwahrte.
Wird das Internet in Zukunft demokratischer? In diesem Punkt ist Halina Wawzyniak zwiegespalten: Problematisch findet sie Phänomene wie Targeting, Datenschutz und Fragen der Netzneutralität. Andererseits sei Wissen im Netz für jedermann verfügbar. In vielen Fällen müsse der angemessene Umgang mit Medien noch gelernt werden, etwa, wenn Kitas Texte von Weihnachtsliedern kopieren und sich daraufhin mit Forderungen der GEMA konfrontiert sehen.

Rote Kandidatin gegen grünen Einzelkämpfer

Aufsehen erregte Halina Wawzyniak mit ihrem Plakat zur Bundestagswahl 2009. Sie trat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost an, einer Hochburg der Grünen. Seit dem Jahr 2002 fiel das Direktmandat durchgängig an den Grünen-Kandidaten Hans-Christian Ströbele. Weil sie glaubt, dass „ein klassisches Personenplakat in Kreuzberg nicht funktioniert“, kam sie auf die Idee, eine Rückenansicht von sich auf die Plakate zu drucken. Oberhalb der Jeans ist das Tattoo „socialist“ auf ihrem Rücken zu sehen. Der Plakatslogan lautete: „Direkt: Halina Wawzyniak! Mit Arsch in der Hose in den Bundestag.“ Sie habe den Entwurf im Vorfeld mit Frauenrechtlerinnen diskutiert, so Wawzyniak. Einige hätten ihn abgelehnt, andere fanden ihn originell. Zentral jedoch sei die Botschaft gewesen: Man solle zu seiner Meinung stehen, auch bei Widerstand.

Links wirkt

Ob ihre Partei etwas bewegt hat, auch aus der Opposition heraus? In den 1990er-Jahren sei das kaum möglich gewesen, die PDS sei zu schwach gewesen, um Debatten zu beeinflussen. Zudem sei die PDS von anderen Parteien ausgegrenzt worden. Doch inzwischen hätte die politische Konkurrenz Themen der Linken übernommen: etwa die Abschaffung der Praxisgebühr. Und sogar der Arbeitnehmerflügel der CDU fordere neuerdings einen Mindestlohn. Doch bei Themen wie Soldatenabzug aus Afghanistan oder die Abschaffung der deutschen Geheimdienste steht die Linke mit ihren Positionen nach wie vor alleine da. Für Halina Wawzyniak gibt es also noch einiges zu tun.
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