Der Internet-Experte Jörg Tauss (SPD) im
politik-digital-Interview über das Fehlen eines
deutschen Al Gores und die neue Machtverteilung
in der Multimedia-Politik der neuen Regierung



politik-digital:
Die Regierung hat gewechselt. Welche Konsequenzen hat das für das Thema Multimedia?

Jörg Tauss: Wir sind jetzt in der Regierungsverantwortung und
könnten nun endlich alle Empfehlungen, die wir die letzten vier Jahre als Oppositionspartei,
vor allem in der entsprechenden Enquetekommission "Zukunft der Medien in
Wirtschaft und Gesellschaft. Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" gemacht haben,umsetzen.


politik-digital:
Nun ist der Kandidat für das Wirtschaftsministerium, der Computer-Unternehmer
Jost Stollmann in letzter Minute ausgestiegen.
Fehlt Gerhard Schröder jetzt der Multimedia-Mann in der
Regierungsmannschaft?

Jörg Tauss: Über die Nominierung von Stollmann für den Posten des
Wirtschaftsministers habe ich mich anfangs sehr gefreut und hatte die
Hoffnung, daß mit ihm als ehemaligem Computer-Unternehmer eine große
Portion praktisches Know-how unsere politische Diskussion beflügelt. So
habe ich in ihm einen Verbündeten gesehen. Ich bin dann aber sehr
schnell ernüchtert worden, weil ich von ihm trotz mehrerer
Kontaktversuche immer nur die Standard-Mail nach dem Motto ‘Besten Dank
für Ihre Anregungen’ bekommen habe. Ich hatte erwartet, daß er sich zur
Internet-Politik konkret äußert. Das hat er nie getan. Deshalb war ich
über seinen Ausstieg nicht mehr sonderlich enttäuscht.


politik-digital:
Die Zuständigkeit für die Informations-
Kommunikationstechnologie ist vom Bildungs- und Forschungsministerium in das Wirtschaftsministerium
von Herrn Müller verlegt worden. Werden Sie als Bildungs- und Forschungspolitiker jetzt arbeitslos?

Jörg Tauss: Nein, sicherlich werde ich nicht arbeitslos. Natürlich liegt der
Akzent bei Multimedia jetzt stark auf der Wirtschaftsfrage. Mit Müller
verbinde ich noch gar nichts, aber ich bin mir sicher, daß mein Kollege
Siegmar Mosdorf als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sich dem
Thema Multimedia annehmen wird. Aber als Forschungspolitiker werde ich mich
dafür einsetzten, daß auch die Perspektive von Forschungs- und
Bildungspolitik berücksichtigt bleibt. Wir sind in dieser Frage zwar
nicht mehr federführend,. bleiben aber als mitberatender Ausschuß involviert.
Ich würde es allerdings sehr bedauern, wenn wir Multimedia nur noch als
Wirtschaftsfaktor diskutieren und andere Perspektiven in der Gesellschaftspolitik
vernachlässigen.


politik-digital:
Wer außer Herrn Müller als Wirtschaftsminister und Frau
Buhlmann als Bildungsministerin wird sich in der neuen Regierung denn noch mit den
Neuen Medien befassen?

Jörg Tauss: Ich habe mir immer eine zentrale Koordination der Multimedia-Politik gewünscht,
die direkt im Kanzleramt angesiedelt ist.Mit Michael Naumann, dem künftigen Staatsminister
für Kultur und Medien haben wir jetzt so jemanden. Deshalb bin ich letzte Woche
auch stellvertretendes Mitglied im entsprechenden Ausschuß für Kultur
und Medien geworden und werde dort die Verantwortung im Bereich Neue Medien übernehmen.


politik-digital:
Ist denn eine konzentrierte politische Arbeit in der
Multimedia-Politik noch möglich, wenn an drei verschiedenen Stellen
gleichzeitig das Thema bearbeitet wird.

Jörg Tauss: Sicher, ich hätte mir auch gewünscht, daß das an einer Stelle und
in einer Person gebündelt ist. So wie in den USA Al Gore als
Vizepräsident den Weg des Staates auf den information highway politisch
federführend gestaltet hat. Ein deutscher Al Gore ist aber noch nicht
in Sicht. Aber zwischen den Zuständigen in den unterschiedlichen Gremien
und Institutionen bestehen jetzt schon gute Kontakte und es ist auch
einfach notwendig, das Thema Neue Medien möglichst breit anzugehen, also
sowohl aus wirtschaftspolitischer, wie auch aus forschungs- medien- und
kulturpolitischer Sicht.


politik-digital:
Wird es eine Neuauflage der Enquetekommission zum Thema
Multimedia und Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft geben?

Jörg Tauss: Aus der CDU hört man das immer wieder. Als Oppositionspartei hat
sie natürlich ein großes Interesse daran, sich über ein solches Gremium
mit Gegenvorschlägen zur Regierungspolitik zu profilieren. Die erste
Enquete-Kommission hat sehr umfassend und gründlich gearbeitet. Wir
haben Anhörungen zu einer Fülle von Themen durchgeführt, von der
Kryptografie-Frage bis zum wirksameren Kinder- und Jugendschutz im
Internet. Wenn es eine wieder eine neue Enquete-Kommission geben wird,
muß der Themenkatalog präzise sein. Es muß eine Fokussierung auf
Kernfragen geben. Davon hängt auch meine Beteiligung einer neuen
Enquete-Kommission ab.

politik-digital:
Welche Schwerpunkte sollten das sein?

Jörg Tauss: Im Grünbuch der EU ist die Frage der Konvergenz der Medien ein
zentrales Thema. Dazu werden wir einen deutschen Standpunkt finden
müssen. Auch nach der Umsetzung der EU-Novelle zum Datenschutz gibt es in
meinen Augen noch erheblich Diskussionsbedarf,desgleichen zur Datensicherheit.
Insgesamt brauchen wir aber eine deutsche und natürlich auch europäische
Internet-Politik.Es kann doch nicht sein, daß die
Standards in den USA gesetzt werden und wir nur zuschauen und bei den
entsprechenden internationalen Konferenzen nur fünftklassig vertreten
sind.

Das Interview mit Jörg Tauss führte Philipp Stradtmann