Die DDR existiert seit 10 Jahren nicht mehr als realer Staat. Seitdem gibt es sie nur noch als virtuelle Welt im Internet,
in der Ostdeutsche und auch Westdeutsche die Vorzüge des sozialistischen Deutschlands preisen. Im Internet gibt es aber
zusätzlich zahlreiche Nationen, die einzig virtuell existieren. Diese sogenannten Mikronationen werden von Usern gegründet,
um selbst gesellschaftlich und politisch gestalten zu können.

In den letzten Jahren haben immer mehr dieser virtuellen Länder ihre Unabhängigkeit im World Wide Web ausgerufen. Allein
in Deutschland gibt es mittlerweile schon über 50 Mikronationen, weltweit dürften es Hunderte sein.
Jeder User kann Bürger einer Mikronation werden, er braucht dazu meist nur ein kleines Formular auszufüllen und muss eine
eigene Email-Adresse besitzen. Danach kann er nach Herzenslust walten und gestalten.

Und so sehen sie aus…

Die Staaten ähneln von den Grundzügen her ihren realen Pendants. Zumeist gibt der Webmaster eine Verfassung vor und
dementsprechend die entsprechende Staatsform, doch danach können die normalen Bürger ihren Einfluss geltend machen. Sie
können Parteien, Firmen und Organisationen gründen, Regierungsämter oder hohe Militärränge übernehmen, einer bestimmten
Religionsgemeinschaft beitreten oder für eine der virtuellen Zeitungen schreiben. Durch Gesetzesinitiativen sind sie
theoretisch sogar in der Lage, das Grundgerüst des Staates, die Verfassung, zu verändern.
Herzstück der Mikronationen sind dabei die Foren. Abhängig von der jeweiligen Staatsform entweder Parlament oder Senat genannt
tun dort die Bürger ihre Meinung zur aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Situation kund.

Die verschiedenen Nationen bieten politisch ein breites Spektrum. Es gibt Monarchien mit einem absolutistischen Herrscher,
in der Regel dem Staatsgründer selbst, Republiken und parlamentarische Demokratien sowie sozialistische Staaten. Der
Aufbau der einzelnen Nationen orientiert sich oftmals an realen Staaten. Die Verfassungen sind ähnlich und die Art und
Weise der politischen Umsetzung erweist sich als sehr komplex. In Einzelfällen werden sogar eigene Sprachen entwickelt,
die dann jedoch selbst die eigenen Bürger meist nur unzureichend beherrschen. Auf eine Nationalflagge, eine eigene Währung
oder besser noch eine eigene Nationalhymne hingegen verzichten die Mikronationen nur selten. So begegnen dem unbedarft
surfenden User dann Lobpreisungen in der Art von "Schönes wunderbares Land, unvergleichlich bist du zu schaun! Von zarten
duftigen Nebeln sind deine Küsten umhüllt.[….] Oh schönes, wunderbares Land Tir Na nÒg".

Diplomatie mal virtuell

Das "Leben" in solchen Mikronationen mag für Computerfreaks schon interessant genug erscheinen, doch richtig spannend wird
es erst, wenn diplomatische Beziehungen zu anderen virtuellen Ländern aufgenommen werden. So werden beispielsweise Allianzen
und Freundschaftsverträge geschlossen. Höhepunkt dieser "internationalen" Verknüpfungen ist der Zusammenschluss von 18
zumeist deutschsprachigen Mikronationen zur United Virtual Nations Organization (UVNO).
Diese besteht seit November 1999 und soll als Interessenvertretung fungieren und bei bilateralen Problemen eingreifen,
denn auch in der Welt des Internets soll es schon zu Kriegen gekommen sein. In Kriegen wird meistens versucht, das gegnerische
Forum auf irgendeine Weise lahmzulegen. Die UVNO besitzt selbstredend eine Charta und wird in näherer Zukunft sicherlich
auch erste Resolutionen verabschieden. In der Vollversammlung wird jedenfalls angeregt über die unterschiedlichsten Themen
diskutiert. Generalsekretär ist Andrés R. Chilavert aus der Volksrepublik Wolfenstein.

Ein Mitglied der UVNO ist beispielsweise die Freie Republik Tir Na nÒg.
In dem virtuellen Staat angekommen, wird der User zunächst durch das landestypische "Slainte" begrüßt. Danach erfährt er,
dass Tir Na nÒg eine pazifistische, parlamentarische, sozialdemokratische Republik ist, in der vor allem der Spaß an
der Sache im Vordergrund stehen soll und es keinen Anspruch auf eine reale Existenz gibt.
Ansonsten können sich die momentan gut 50 Bürger nach Herzenslust
austoben und sich selbst als Politiker versuchen. So bietet sich ihnen
ein breites Spektrum verschiedener Parteien an, von der konservativen
Volkspartei bis zur Partei der Teufelsanbeter, denen sie beitreten
können. Ihre politische Überzeugung geben sie dann im Parlament zum
Besten. Darüber hinaus ist es möglich, in beispielsweise dem Institut
für Grenzwissenschaften und Ufologie oder der Kirche zur Einführung des
absoluten Gottesvertrauens aktiv zu werden oder besser noch eine ganz
eigene Organisation zu gründen. In Wirtschaftsunternehmen wie dem
Tirotel geht es nicht zuletzt darum, ordentlich Batzen zu verdienen –
so nennt sich die offizielle Landeswährung – und diese dann auf das
eingerichtete Konto in der Zentralbank zu bringen.

Weitere Organisationen

Neben der UVNO gibt es auch noch weitere internationale Zusammenschlüsse, die Organisation für den Frieden,
die Virtuelle sozialistische Internationale
und die International Organization of Food Exporting Countries (IOFEC).
Mittlerweile ist außerdem eine virtuelle Landkarte
entstanden, auf der ein Teil der Mikronationen seine geographische Position verewigt hat.

Die mikronationale Welt erscheint auf den ersten Blick als ungeheuer riesig und es stellt sich schnell die Frage, wie viele
Menschen wohl der virtuellen Entfaltungsmöglichkeit verfallen sind. Ohne Zweifel nur sehr wenige, denn obwohl sich die
Mikronationen sehr viel Mühe mit ihrem Staat geben, verfügen nur die wenigsten von ihnen über mehr als 100 Bürger. Darüber
hinaus beschäftigt sich vor allem ein spezieller Menschentyp mit dieser Mischung aus Spiel, Abenteuer und Politik. Der
typische Bürger ist männlich und jünger als 40 Jahre alt. Nicht selten drückt er noch die Schulbank oder lauscht gelehrig
den Worten eines Uni-Professors.

Grundsätzlich gibt es zwei Hauptmotive für die Gründung von Mikronationen. Ein sehr wichtiger Aspekt ist der einfache Spaß
an der Sache. Bei diesen Mikronationen finden bisweilen auch Fantasy-Elemente ihre Aufnahme, so basiert das
Drullische Imperium teilweise auf dem Computerspiel Battle Isle
sowie den klingonischen Gesellschaftsaspekten aus dem Stark Trek-Universum.

Zuflucht im Netz

Trotz alledem gibt es auch Mikronationen, die höhere Ziele anstreben oder anderweitig aus der Rolle fallen.

Hervorzuheben ist Cyber Yugoslavia, das den Spalt zwischen Realität und
Fiktion zu überwinden sucht. Diese Mikronation besteht seit September 1999 im ehemaligen Jugoslawien. In diesem Fall wird
aus dem Spiel tatsächlich ernst, denn von den Kriegen auf dem Balkan getroffen, haben mittlerweile schon knapp 13.000 Menschen
eine virtuelle Zuflucht in Cyber Yugoslavia gesucht. Es ist geplant, bei einer Einwohnerzahl von fünf Millionen Bürgern,
wahrscheinlich sogar früher, eine Mitgliedschaft bei der UNO zu beantragen und somit als souveräner Staat zu gelten.
Demnach will sich Cyber Yugoslavia ein Territorium von 20 Quadratmetern von der UNO erbitten, in dem es als Zentrum des
Staates seinen Server platzieren kann.

Eine hochinteressante Geschichte verbirgt sich hinter der Principality of Sealand.
Am 2. September 1967 nahm der ehemalige englische Major Paddy Roy Bates die verlassene britische Militärbasis Roughs Tower
entlang der englischen Ostküste in seinen Besitz, nachdem die Engländer diese räumen mussten, weil sie sich schon außerhalb
des englischen Hoheitsgebietes in internationalen Gewässern befand. Bates siedelte dort mit seiner Familie an und verkündete
die Unabhängigkeit von Sealand.
Den Engländern gefiel das nicht besonders, so dass sie Bates mit Marineeinheiten zu provozieren versuchten, der dann auch
tatsächlich alte Kanonenkugeln abfeuerte, die noch auf der Militärbasis herumlagen. Folglich wurde Bates vor einem englischen
Gericht angeklagt. Das Gericht merkte jedoch an, dass es über ein Gebiet auf hoher See keine Jurisdiktion ausüben dürfe.
Somit wurde indirekt die Souveränität Sealands bestätigt.

Eventuellen Nachahmern sollte an dieser Stelle mitgeteilt werden, dass eine solche Aktion mittlerweile nicht mehr möglich
ist, da die Vereinten Nationen dies mit der Seerechtskonvention vom 10. Dezember 1982 verboten haben. Eine künstliche Insel
in internationalen Gewässern darf nicht mehr für unabhängig erklärt werden.

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