Der Wissenschaftler Prof. Dieter Rucht hat in seiner Untersuchung "Die Besonderheiten netzbasierter politischer Kommunikation am Beispiel des Genfood-Diskurses" analysiert.

 

Weist das Internet im Vergleich zu herkömmlichen Medien besondere Chancen für zivilgesellschaftliche Akteure auf? Dieser Frage wurde durch anhand eines Vergleichs der Kommunikation zum Thema Genfood im Netz und in Zeitungen nachgegangen. Für die Netzanalyse wurde das typische Suchverhalten eines am Thema interessierten, aber nicht fachkundigen Internetnutzers zu Grunde gelegt. Den Ausgangpunkt dafür bildeten die am häufigsten gebrauchten Suchworte (in Google) im semantischen Feld von Genfood. Insgesamt beruht die Studie auf drei Erhebungen, die von Mai bis August 2004 durchgeführt wurden:

  1. eine Inhaltsanalyse von Texten im Internet (119 Texte mit 478 politischen Stellungnahmen) und Massenmedien (148 Artikel mit 508 politischen Stellungnahmen FAZ, SZ, taz, Welt, Bild, Spiegel, Focus, DIE ZEIT),
  2. eine Hyperlinkanalyse (13 Ausgangsakteure, 69 Zielakteure) und
  3. eine Webseitenanalyse (27 Webseiten).

Forschungsleitend war die Überprüfung von drei Hypothesen, anhand derer einige die wichtigsten Ergebnisse dargestellt werden.

Hypothese 1:
Diskurse im Internet zeichnen sich dadurch aus, das sie eine größere Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren einschließen sowie einen höheren Anteil an kleinen und ressourcenschwachen Akteuren aufweisen. In diesem Sinne begünstigen sie – relativ zu Diskursen in Zeitungen – in stärkerem Maße die zivilgesellschaftlichen Akteure der „politischen Peripherie“.

Das Spektrum der am Genfood-Diskurs beteiligten deutschsprachigen Akteure ist im Internet durchaus breit. Als Anbieter von Informationen sind insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure (27%) in Relation zu staatlichen Akteuren (19%) im Internet stärker präsent. Allerdings überwiegen gut organisierte und größere Akteure gegenüber informellen und eher ressourcenschwachen Akteuren. Die Verteilung der Sprecher bzw. Handelnden wird in beiden Mediengattungen von staatlichen Akteuren dominiert (Internet: 50 %, Zeitungen: 43 %). Die erste Hypothese lässt sich somit nur teilweise bestätigen.

Hypothese 2:
Diskurse im Internet enthalten in ihrer Gesamtheit ein breiteres argumentatives Spektrum. Allerdings sind aufgrund weitgehend abwesender journalistischer Kriterien und Kontrollen die einzelnen Texte stärker parteilich und repräsentieren somit auch weniger die Argumente der jeweiligen Gegenseite. Entsprechend enthalten sie auch mehr auf Mobilisierungen ausgerichtete Elemente (z.B. Protestaufrufe).

Das argumentative Spektrum zum Genfood-Diskurs ist im Internet breiter als in Zeitungen. Allerdings erschließt sich dieses Spektrum erst durch die Zusammenschau voneinander unabhängiger oder nur durch Links verbundener Texte. Diese Links beziehen sich nicht nur auf Akteure mit ähnlicher Position zu Genfood, sondern auch auf gegenteilige Positionen. Generell finden sich im Internet mehr Texte mit kritischer Tendenz zu Genfood (51 %) als in Zeitungen (42 %). Zeitungen entsprechen stärker der journalistischen Norm einer distanzierten und ausgewogenen Berichterstattung, während sich im Internet mehr parteiliche Akteure mit ihren jeweiligen Positionen präsentieren. Das Internet ist eher ein Medium von Selbstdarstellungen, Verlautbarungen und agitatorischen Texten, jedoch selten von Protestaufrufen. Auf welche Akteure und Texte ein Nutzer im Internet trifft, ist in hohem Maße von der Wahl von Suchbegriffen abhängig. In diesem Sinne verstärkt das Internet vermutlich die Fragmentierung politischer Öffentlichkeit in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten. Auch dürfte das Internet eher als herkömmliche Massenmedien dazu beitragen, bestehende Positionen zu verfestigen. Damit lässt sich die zweite Hypothese nur tendenziell bestätigen.

Hypothese 3:
Diskurse im Internet weisen eine stärker interaktive, verzweigte und dezentrale Kommunikationsstruktur auf.

Die Möglichkeiten des Internet für interaktive Kommunikation im Sinne von „many to many“ werden eher selten genutzt. Im Vergleich zu herkömmlichen Massenmedien ist allerdings die interaktive Qualität des Internets deutlich höher zu veranschlagen. Die formale Gleichheit ressourcenstarker und ressourcenschwacher Akteure im Internet wird dadurch unterlaufen, dass am Ende primär die ohnehin schon bekannten Akteure eine hohe Sichtbarkeit im Netz erlangen. Dies geschieht sowohl aufgrund der Wahrnehmungen der Nutzer, die bereits durch herkömmliche Medien geprägt sind, als auch durch die Heranziehung von Suchmaschinen, die die Prominenz der Anbieter honorieren. Damit kann auch die dritte Hypothese nur tendenziell bestätigt werden.

Das Internet scheint vor allem jenen Nutzern Vorteile zu bieten, die genau wissen, was sie suchen bzw. wen sie ansprechen wollen. Jedoch steht nicht zu vermuten, dass das Internet die politische Kommunikation revolutionieren und die relative Bedeutung herkömmlicher Medien reduzieren wird. Insofern stellt das Internet eine bedeutsame Erweiterung des politischen Kommunikationsraumes dar, die bestehende Asymmetrien etwas abschwächt, aber keinesfalls beseitigen kann. Als Mittel der politischen Kommunikation bietet das Internet einige Vorteile aus der Sicht interessierter Bürgerinnen und Bürger, wird aber in seiner Bedeutung als Medium zur Aktivierung der Bürgerschaft und zur Demokratisierung von politischen Diskursen überschätzt.

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