(Artikel(Update) Frankreich wählt einen neuen Präsidenten und der Wahlkampf hat sich zu einem Teil ins Internet verlagert. Der direkte Austausch von Argumenten ist auf der Strecke geblieben, dafür sind die Spötter und Gegner der Kandidaten aktiv, schreibt Tim Geelhaar.

 
Der konservative Kandidat Nicolas Sarkozy und die Sozialistin Ségolène Royal haben sich im ersten Wahlgang am 22. April durchgesetzt. Die Franzosen nutzen alle Möglichkeiten des Internets, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen und damit das Rennen offen zu halten – bis einer der Kandidaten der Stichwahl am 6. Mai mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht. Vor einem Jahr
berichtete politik-digital.de bereits von dem sich abzeichnenden Wahlkampf mit anderen Mitteln. Seitdem hat sich einiges verändert.
Die Blogosphäre
Der Franzosen politische Seele im Internet ist das Blog, so scheint es. Vor einem Jahr berichtete die Tageszeitung „Le Monde“ noch, dass die Zahl der Blogger rapide zugenommen hätte. Heute zählt die Blogsuchmaschine von Google deutlich mehr politische Weblogs. Am 2. April 2007 gab es rund 32.000 Einträge zum Stichwort „présidentielles“, einen Tag später waren es bereits 37.000. Das
politische Barometer der Technischen Universität Compiègne bietet hierzu nicht nur die Statistiken, sondern auch eine graphische Aufbereitung. In Grafiken kann man sehen, wie sich die Blogger in der
Blogopole untereinander vernetzen. Trotz der vielfachen Verlinkungen der Blogs untereinander gibt es deutliche Cluster, in denen sich befreundete Blogs zusammenfinden. Die Darstellung bestärkt die Vermutung, dass das Blog ein Mittel der Statements und weniger des argumentativen Austauschs ist. Der vor einem Jahr diskutierte Ansatz, aus dem Internet nach dem Vorbild der politischen Versammlungen im alten Griechenland eine Art Agora der elektronischen Demokratie zu machen, ist während der vergangenen Monate auf der Strecke geblieben.
Gegen-Kampagnen
Allerdings hat sich eine andere Art der demokratischen Kultur im Netz entwickelt. Hierzu gehören die Blogs der Spötter und
Anti-Campaigner. Diesen wachsamen Augen entgeht nichts. Wer lügt, wird entlarvt. Dies trifft besonders auf den polarisierenden konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy zu. Seine Aussage, dass alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eine Art Ministerium für nationale Identität und Ausländerfragen hätten und Frankreich deshalb auch eines bräuchte, wurde im Fernsehen demontiert und sogleich von den Gegnern Sarkozys
ins Netz gestellt.
Diese Episode zeigt, wie die Grenzen zwischen herkömmlichen Medien, politischen Akteuren sowie der interessierten Internetöffentlichkeit immer weiter verschwimmen. Auch die Analysten, die über die Politik und Internet schreiben, sind Teil des Prozesses. Die dadurch entstehenden Bezüge und Adaptionen – das zeigt gerade das politische Engagement der Franzosen – sind die besondere Stärke des Internets bei der Meinungsbildung.
Das belegen auch jene privaten Blogs, die sich intensiv mit den Programmen der Kandidaten auseinandersetzen. So diskutiert ein besonders erfolgreiches Blog
Wahlkampfthemen wie Wohnungsversorgung oder der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auf Politik durch Unterhaltung hingegen setzt eine
Seite mit dem Motto „Pimp your candidate“.
WebTV ist selbstverständlich
Dass die Parteien und Kandidaten das Internet nehmen und auch ihre Anhänger über das Internet mobilisieren, wird an ihren Webseiten deutlich. Das vor einem Jahr angekündigte WebTV ist zu einem geradezu selbstverständlichen Bestandteil der Seiten geworden. Der Übersichtlichkeit halber seien hier nur die Wahlkampfseiten der beiden verbliebenen Kandidaten erwähnt:
Ségolène Royal und
Nicolas Sarkozy. Die Sozialistin Ségolène Royal hat das so genannte „Ségoland“ auf ihrer Seite. Damit ist das Ergebnis einer Analyse der oben erwähnten Universität Compiègne gemeint, was zugleich die Verflechtung von Wahlkampf und Analyse im Netz verdeutlicht. Ihre Anhänger unter den jungen Franzosen haben hingegen in der Welt der Blogs die „
Ségosphère“ ausgerufen und betreiben damit ihren Unterstützungskampf für Royal.
Sicherheitshalber setzen alle Kandidaten in Frankreich dennoch auf die bewährten Methoden. Am beliebtesten bleibt das Buch. Wer in Frankreich gewählt werden will, muss vorher auf gebundenem Papier seine Ansichten und Zukunftsvisionen dargelegt haben. Damit zeigt sich, dass sich trotz bzw. gerade wegen der vielfachen neuen medialen Angebote nichts an der grundsätzlichen Schwierigkeit beim Erreichen der Bürger geändert hat.