(Artikel) Bund und Länder wollen Jugendliche mit verschärften Maßnahmen vom „Killer spielen“ abhalten. Bayerns Innenminister Beckstein fordert ein entsprechendes Verbot auch für Erwachsene.
Abseits der Talkshow-Politik finden sich jedoch sinnvolle Andockmöglichkeiten von Politik und Computerspielen.


Computerspiele sind böse – auf diesen schlichten Nenner könnte man die öffentlichen Debatte der vergangenen Wochen und Monate bringen. Das Bild ist geprägt durch
spielesüchtige Jugendliche,
alberne Avatare und
computergestützte Zwangsarbeit. Vor allem die berüchtigten „
Killerspiele“ verhindern eine nüchterne Diskussion der Thematik. Davon weitgehend unberührt boomt allerdings der Markt: Schätzungen zufolge wurden im Jahr 2005 weltweit mehr als 20 Milliarden Dollar umgesetzt. Für 2007
ermittelte die Gesellschaft für Konsumforschung im deutschen Markt für Computer- und Videospiele ein Wachstum um 7,4 Prozent auf 1,126 Mrd. Euro Umsatz. Beim Verkaufsstart der neuesten Erweiterung von
World of Warcraft vor wenigen Wochen kam es zu Tumulten, wie man sie von den Erscheinungstagen der Harry-Potter-Romane kennt.

Quelle: Flickr Creative Commons (adactio)

Computerspiele fesseln Gamer über Stunden.

Quelle: Flickr Creative Commons (adactio)

Während Pädagogen und Psychologen regelmäßig Studien vorlegen, die wahlweise die immensen
Gewaltpotenziale von Spielen oder aber deren positive Folgen für die
Sozialisation Jugendlicher herausstellen, verschiebt sich die Debatte schnell hin zu Fragen der Medienrezeption und Medienwirkung, die auch schon in weniger komplexen Medienumgebungen als höchst umstritten gelten.

Game Studies schauen genauer

Stellt man die Spiele selbst stärker in den Fokus, wie dies etwa im Rahmen der in Deutschland noch kaum verbreiteten Disziplin der
Game Studies geschieht, ergeben sich auch noch andere Anschlussmöglichkeiten zur Politik. Betrachtet man Computerspiele als ein weiteres Format aus dem reichhaltigen Fundus von Kulturgütern, in dem stets auch die politische und kulturelle Dimension der Gesellschaft aufscheint, so ist schnell die Abteilung „Politainment“ erreicht. Mit diesem Begriff beschreibt der Marburger Politologe
Andreas Dörner die stets wachsende Bedeutung einer medienorientierten Kultur, die „die für eine soziale Gruppe maßgebenden Grundannahmen über die politische Welt“ liefert und damit „so etwas wie Maßstäbe dar(stellt), an Hand derer Politik wahrgenommen, interpretiert und beurteilt wird.“

Längst haben politische Akteure das Fernseh-Politainment als mächtiges Vermittlungsinstrument erkannt und klammern sich an die Stühle der Talkshows – anspruchsvolle Formen medial aufbereiteter Politik, etwa auch als Serie oder Spielfilm, finden keinen Raum in einer rede-seligen Medienlandschaft. Ein ähnliches Schicksal scheint auch für Computerspiele reserviert: die Anerkennung als möglicherweise relevante Umgebung für „politische Unterhaltung“ oder „unterhaltende Politik“ wird ihnen verweigert, es dominiert die Ablehnung der nicht selten pauschal als verabscheuungswürdig abqualifizierten Computerspiele. Allenfalls in Schwundformen als tumbe Mini-Games und alberne Comic-Animationen tauchen sie in Wahlkämpfen auf – und schnell wieder ab.

Potenziale für Politainment

Wenn das mal nicht ein Missverständnis ist. Der interaktive und inklusive Charakter von Spielwelten, der engagierte Gamer schon mal tage- oder wochenlang an die Abarbeitung unterschiedlicher Aufgaben bindet, verweist auf die großen Potenziale auch für ein computerbasiertes Politainment: das Spiel dauert längst nicht mehr nur 90 Minuten, es dürfen auch schon mal 9000 sein. Und immer häufiger sitzen die Spieler
nicht isoliert vor dem Rechner, sondern arbeiten in flexiblen Gruppen.

Nur sehr, sehr langsam gewinnen auch optimistischere Perspektiven auf ein meist äußerst beschränkt betrachtetes Phänomen der jüngeren Mediengeschichte an Raum: so weist der stets hellsichtige
Steven Johnson in seinem gerade erst in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Everything Bad is Good for You“ darauf hin, dass Computerspiele als wesentliches Element moderner Popkultur überaus komplexe Gebilde geworden sind, die sehr wohl positive Folgen und Erkenntnisgewinne für die Nutzer bereit halten können. Das wesentliche Anliegen seiner Argumentation liest sich leicht aus dem deutschen Titel heraus: „Neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden.“

Sachdienliche Hinweise zu einer möglichen Annäherung von Computerspielen und Politik kann aktuell auch der Blick in die digitale Welt von
Second Life geben – die groß angelegte Simulation wird gemeinhin als Computerspiel wahrgenommen, jedoch fehlt ein im strengen Sinne erkennbares Spielziel: der Slogan lautet bewusst ergebnisoffen „Your World, Your Imagination“. Dass in diesem Vorstellungsraum auch Platz für Politik sein kann, beweist der in den letzten Wochen zu beobachtende Trend zur Errichtung digitaler Dependancen im zweiten Leben. Neben einer noch recht abstrakt wirkenden Version des US-Repräsentantenhauses und einer
virtuellen Schwedischen Botschaft geben sich auch die Protagonisten des
französischen Präsidentschaftswahlkampfs dort ein Stelldichein.

Während in der fernsehgeprägten Welt der Medienpolitiker das TV-Studio noch für eine Weile das Maß aller Dinge zu sein scheint, formiert sich abseits der Fernsehschirme ein rasch wachsendes Feld der Computer-Unterhaltung, die mit dem Begriff „Computerspiel“ nur unzureichend und verkürzt beschrieben werden kann. Es braucht vermutlich eine engagierte und ausdauernde Aufklärungsarbeit, denn die Zeit der Missverständnisse ist noch lange nicht vorbei. Mal sehen, wie lange es dauert, bis die Herren Beckstein,
Pfeiffer & Co. ihre
Avatare in
Second Life auf Streife schicken…

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