(Artikel) In der Diskussion um die “Schock-Bilder” deutscher Soldaten in Afghanistan werden die falschen Fragen gestellt, sagt Benjamin Drechsel. Jenseits von Skandalisierung oder Täter-sind-auch-Opfer-Sicht sollte ergründet werden, warum solche Bilder entstehen und welche Wirkung sie haben.

Um es zunächst noch einmal zu betonen: Die abgebildeten Posen und Handlungen sind abscheulich und ekelhaft. Mit den Veröffentlichungen in der BILD-Zeitung wurden Skandalisierung der Bilder und öffentlicher Diskurs dazu unausweichlich. Die maßgeblichen deutschen PolitikerInnen haben richtig gehandelt, indem sie die Fotos zunächst eindeutig verurteilten. Damit haben Sie, so gut sie es eben konnten, Distanz zwischen „uns Deutsche“ und diese „anderen Deutschen“ dort auf den Bildern gebracht. Mehr aber auch nicht.

Erst mit der kritischen Infragestellung der oberflächlichen Eindeutigkeit dieser Bilder kann der Blick auf „unsere Beteiligung“ an dem Verbrechen, das eben nicht nur die abgebildeten Taten und Posen, sondern insbesondere auch die „Bilder-als-solche“ (und ihre Veröffentlichung) sind, gewagt werden. Anders gesagt: Wenn wir denn nun mal mit drin hängen, ohne es je gewollt zu haben, wüssten wir dann zumindest gern, um welche Art von Verbrechen es sich eigentlich handelt. Nur so können wir die künftig dringend benötigten Gegenmechanismen entwickeln.

Insofern wäre es also wichtig, Fragen zu stellen (so wie etwa
Christian Gapp am 26. Oktober 2006), statt immer nur ExpertIn zu spielen und schablonenhafte Antworten zu geben. Denn ein Bild sagt zunächst einmal keineswegs „mehr als tausend Worte“, sondern schlicht und einfach: gar nichts. Es sind nämlich die Kontexte, die für Bildbedeutungen sorgen. Kein Bild ist an sich ein „Schock-Foto“, nur weil das irgendjemand (und sei es die meinungsmächtige BILD-Zeitung) behauptet, sondern nur dann, wenn es auch wirklich jemanden schockiert. Insofern ist die Rede von „Spottbildern“ vielleicht ehrlicher, denn als Spott sind die Afghanistanfotos inszeniert und rezipiert worden – einen öffentlichen Schock dürften Sie nach dem, was wir etwa aus Abu Ghraib zu sehen bekommen hatten, wohl eher nicht mehr ausgelöst haben. Viel entscheidender als ein wirklicher Schock war für die politische Abwehrreaktion gegen die Bilder die aus ihrer Veröffentlichung folgende Angst vor islamistischen Attacken in Deutschland bzw. auf Deutsche – dafür spricht ja auch die ebenso verständliche wie absurde Debatte um die Frage, ob es sich nun um Totenschädel von Moslems oder von Angehörigen anderer Religionen handele. Auch dies ist übrigens wieder eine Frage, zur der die „Bilder-als-solche“ schweigen. Sie lässt sich nur über die Rekonstruktion ihrer Kontexte beantworten.

Weil Bildbedeutungen also aus historischen Kontexten erwachsen, ist es besonders interessant, zu welchem Zweck die Totenschädelfotos aufgenommen wurden und bei welcher Gelegenheit. Eine zentrale Frage müsste also lauten: Warum sind diese deutschen Spottbilder in Afghanistan entstanden? Was haben sich die beteiligten Soldaten davon versprochen? Welcher sozialen Choreographie folgte ihre Inszenierung? Solange wir darüber so wenig wissen, müssen wir uns mit der Analyse der visuellen Traditionen behelfen, auf denen die „Schockfotos“ aus Afghanistan aufbauen: Eine bildpsychologische Spur führt dabei von den jüngsten Spottbildern gerade nicht zu den Folterfotos von Abu Ghraib, weil dort nämlich nicht Tote visuell verspottet, sondern Lebende gequält wurden (wobei eine Gemeinsamkeit möglicherweise in der anti-islamischen politischen Symbolik der Bilder besteht). Diese Fährte führt stattdessen beispielsweise hin zu solchen Wehrmachtsfotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, die als Trophäen getöteter Feinde und damit als Amulette gegen den eigenen Tod fungierten.
Kathrin Hoffmann-Curtius hat in diesem Zusammenhang „das unheimliche Begehren von Soldaten nach Bildern des hingerichteten Feindes“ beschrieben. Dass es sich bei solchen bildmagischen Leichenschändungen keineswegs um ein spezifisch deutsches Phänomen handelt, zeigt die 1943 erstmals veröffentlichte Fotografie eines abgerissenen japanischen Soldatenkopfes von Ralph Morse, der durch US-Soldaten auf einem japanischen Panzer angebracht worden war. Ganz anders, als man zunächst meinen sollte, mach(t)en solche Bildinszenierungen neben der „Verrohung“ (so der Flensburger Historiker Gerhard Paul) auch die Angst ihrer UrheberInnen sichtbar. Auch im scheinbar so selbstsicheren Spiel des Bundeswehrsoldaten mit den Leichenteilen maskiert sich letztlich nur dessen unsägliche Furcht vor der eigenen Vergänglichkeit. Sie soll durch die Verspottung des Todessymbols, das jeder Totenschädel immer auch ist, bildmagisch gebannt werden. Das macht die Leichenschändung moralisch zwar nicht weniger verwerflich, führt aber wenigstens zum Verständnis ihrer Ursachen – und damit, das wäre zumindest die aufklärerische Hoffnung, die sich in diesem Fall allerdings kaum erfüllen dürfte, vielleicht auch zu deren Beseitigung.

Damit wären wir schließlich wieder bei der taz angelegt, die auf den skandalisierten Bildern aus Afghanistan vornehmlich „schlecht ausgerüstete, ohnmächtige, ängstliche Männer“ erkennen wollte. Zwar ist dies natürlich nur die erste von vielen weiteren Bedeutungsschichten, die eine sorgfältige (und vor allem auch historisch fundierte) Analyse hier herausarbeiten kann und muss. Genau darin aber wird die Arbeit der nächsten Zeit bestehen, wenn wir aus den visuellen Leichenschändungen unserer Landsleute eine klügere und tiefere Lehre ziehen wollen als den kurzfristigen moralischen „Schock“, den uns die BILD-Zeitung dieser Tage aufgezwungen hat.

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