Die digitale Spaltung zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, bildungsnahen und bildungsfernen Schichten ist längst Realität – doch wie kann dem Problem auf lange Sicht begegnet werden? Ein Ansatz zur digitalen Inklusion sind lokale Telezentren für Erwachsene.
In vielen europäischen Regionen sind Telezentren zu Promotoren von Erwachsenenbildung und digitaler Inklusion avanciert. Sie bereichern lokal-regionale Bildungslandschaften und haben das Potenzial, sich zu einer sozialen Innovation weiterzuentwickeln, von der insbesondere bildungsferne und andere Bevölkerungsgruppen mit besonderen Schwierigkeiten profitieren. Besonders in den Mittelmeer-Anrainerstaaten und vielen osteuropäischen Ländern bieten Telezentren einen für viele sonst nicht finanzierbaren Internetzugang und stellen mit haupt- und ehrenamtlichem Personal sowie großem Engagement ein ansehnliches Kursprogramm auf die Beine: Grundkurs Computer, Bildbearbeitung, Website-Programmierung, das eigene Blog – aber auch das Schreiben von Lebenslauf und Bewerbung, Tipps zur Jobsuche, Sprachen und lokale Projekte stehen auf dem Programm.
Meist öffentlich gefördert und von NGOs betrieben, setzen Telezentren ganz bewusst auf die Potenziale neuer Medien sowie digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien. In lokalen Gesellschaften, Dörfern, Vororten und sozial „abgehängten“ Vierteln gewinnen sie immer mehr an Bedeutung. Für viele Menschen ist das Telezentrum die letzte (bezahlbare) Zugangschance zu Bildung und Arbeitsmarkt. Es ist aber auch eine Antwort auf die zunehmende Individualisierung von Lebensläufen und Lebensentwürfen und lädt dazu ein, Bildung für sich zu entdecken.
Ein Schlüssel zum Erfolg ist dabei die Niedrigschwelligkeit des Zugangs für die Lernwilligen. Deren Sicherstellung ist oftmals ein komplexes Unterfangen, für das grundsätzlich gilt: Die Angebote müssen bezahlbar sowie hinreichend flexibel sein, und die Telezentren selbst müssen attraktiv sein. Erwachsene, die freiwillig und selbstorganisiert lernen, brauchen (mehr noch als Kinder) entsprechende Rückzugsmöglichkeiten. Neben den Lerninhalten selbst und der innovativen medialen Vermittlung geht es also um viel mehr: Im Idealfall schaffen Telezentren sozialen Zusammenhalt, dort wo es am nötigsten ist. „Sie geben Menschen mit vielerlei Problemen das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, und fördern kulturelle Bildung“, so Gabriel Rissola vom Institute for Prospective Technological Studies der Europäischen Kommission.
Digitale Inklusion: zwei Seiten der Medaille
Auch der Begriff “digitale Inklusion“ hat viele Facetten: Er beschreibt einerseits die Überwindung der „digitalen Spaltung“ der Gesellschaft als ungleichen Zugang von Bevölkerungsgruppen zu Informations- und Kommunikationstechnologien. Dieser technologisch-infrastrukturellen Sichtweise steht eine andere, eine soziale Perspektive gegenüber: Es geht um die ungleiche Verteilung von Zugangschancen zu Bildung, Beschäftigung und gesellschaftlicher Teilhabe insgesamt – und um das Ziel einer größeren Gerechtigkeit und Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Beides hängt eng zusammen. So zeigt sich am Beispiel Telezentren, dass infrastrukturellen Defiziten – wie der unvollständigen Versorgung der Haushalte mit Breitbandtechnologien – mit sozialen Innovationen begegnet werden kann.
Telezentren sind mit der beschriebenen Zielsetzung digitaler Inklusion und sozialen Zusammenhalts entwickelt worden – von Akteuren auf lokaler Ebene, unterstützt durch intensiven Austausch auf nationaler Ebene und nicht zuletzt durch transnationalen Austausch im Telecentre Europe Netzwerk. Viele Telezentren sind auch tatsächlich in der Lage, das Problem ungleicher Zugangschancen und wachsender Lern- und Qualifizierungsbedarfe von Erwachsenen wenn auch nicht zu lösen, so doch vor Ort abzumildern. Die Kernfrage der kommenden Jahre wird allerdings sein, ob Telezentren in der Lage sind, eine neue „soziale Praxis“ digitaler Erwachsenenbildung vor Ort zu stabilisieren, auszubauen und Auskunft über ihre Wirksamkeit zu geben.
Die Herausforderungen für die Zukunft
Eine der größten Herausforderung wird sein, Telezentren für ihre Rolle als Katalysatoren, als Beschleuniger für soziale Inklusion fit zu machen. In welchen „Dimensionen“ sind also Fortschritte notwendig?
1. Die Pädagogik weiterentwickeln
Die Pädagogik in Telezentren muss sich zum einen die Potenziale von „Blended Learning“ und sozialen Medien, die in der einen oder anderen Weise in jedem Kurs zum Einsatz kommen, in zunehmender Qualität zunutze machen. Zum anderen geht es darum, die Lerninhalte auf eine erwachsenengerechte Art und Weise anzubieten. Lernangebote müssen so aufbereitet sein, dass die Lernenden den Prozess bestmöglich selbst steuern können. Mehr noch, es geht darum, dass die Lernenden ihre Bedürfnisse definieren und die Curricula mit Inhalten und Beispielen füllen – durch eine konsequente Nutzung von „User Generated Content“ im Lernprozess. Hierzu müssen Curricula ausreichend flexibel sein und ein Lernen ermöglichen, bei dem die Lernenden, dem Prinzip des „Action Learning“ folgend, mit großer Autonomie an der Lösung ihrer tatsächlichen Probleme arbeiten.
2. Die Organisationen professionalisieren
Die zentrale Herausforderung, das machten auch die Teilnehmer der Europäischen Konferenz für Digitale Inklusion im Oktober 2011 in Danzig deutlich, liegt bei der Qualifizierung des Bildungspersonals. Um es deutlich zu sagen: Eine Gruppe zumeist zwar hoch motivierter, aber selten fest beschäftigter, oft ehrenamtlich tätiger Menschen nachhaltig zu qualifizieren, ist ein langfristiges und kompliziertes Projekt.
3. Das Telezentrum lokal verankern
Ein Telezentrum kann nur dann ausreichend Wirkung entfalten, wenn es Antworten auf lokale Probleme geben kann. Ein Lernangebot lässt sich nicht einfach von A nach B kopieren. Dafür braucht es aussagekräftige Informationen aus der Community, um bestimmte Zielgruppen mit dem passenden Angebot anzusprechen. Ein einzelnes Telezentrum kann auch nicht die Inklusionsprobleme einer lokalen Gemeinschaft allein lösen. Wichtig ist deshalb eine dauerhafte, verbindliche Vernetzung und Abstimmung mit den anderen Bildungsträgern vor Ort.
Diesen Herausforderungen stehen bereits jetzt viele konkrete Entwicklungen gegenüber, die zur Professionalisierung der Telezentren beitragen. Es gibt neue Curricula für Lernende und Lehrende, das Telecentre Europe Netzwerk hat im Oktober 2011 erstmals die besten Telezentren und die innovativsten Manager prämiert, und das Thema „Telezentren“ steht verstärkt auf der europäischen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsagenda. Bei allen Herausforderungen: Der Anfang ist gemacht.
Mich würde interessieren, ob diese Szenarien nicht auch für Deutschland ein Modell wären. Man muss zwar genau hinschauen, aber auch in D sind die Chancen durch die Digitalisierung äußerst ungleich verteilt. Und es hapert an allen Ecken und Kanten: Elternhaus, Schule, Politik – alles (mehr oder weniger) noch im analogen Zeitalter. Und die Zeit läuft, besonders für die Benachteiligten. Gibt es ähnliche Initiativen auch bei uns?