Julian Finn gehört zu den Mitwirkenden am Projekt Wissens-allmende. Die Arbeitsgruppe versteht sich als Teil von Attac und der globalisierungskritischen Bewegung. Sie befasst sich mit den Problemen der Gesellschaft, im Hinblick auf den Wandel zu einer Informationsgesellschaft

politik-digital.de: EU-Abgeordnete und Mitglieder des Bundestags kritisieren das untransparente und wenig demokratische Vorgehen von EU-Rat, EU-Kommission und der einzelnen Regierungen. Ihnen wird vorgeworfen, sich zu stark von Lobby-Vertreter der IT-Monopolisten beeinflussen zu lassen. Sind Software-Patente zu einem Prüfstein der Demokratie geworden?

Julian Finn: Das Verfahren ist in der Tat erschreckend. Gegen den erklärten Willen mehrerer Parlamente hat die Kommission ihre Position durchgesetzt und sich dabei über Einwände in sehr fragwürdiger Weise hinweggesetzt. Das Ganze ist alles andere als demokratisch abgelaufen.

politik-digital.de: In Deutschland und Europa gibt es viele Einmann-Unternehmen, die Software entwickeln. Viele von ihnen haben sich auch Open Source Anwendungen spezialisiert. Ihre Ideen sind auch ihr Kapital.Warum werden Software-Patente von der freien und mittelständischen Softwareszene abgelehnt?

Julian Finn: Es gibt natürlich vielerlei Gründe, Softwarepatente abzulehnen. Was aber die Entwicklerinnen Freier Software mit kleinen und mittelständischen Unternehmen eint, ist die Tatsache, dass Patentverfahren und Patentanwälte für sie unbezahlbar sind, und dass es kaum eine Chance gibt, gegen die großen Patent-Pools von Microsoft und Co. anzukommen.

politik-digital.de: Welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen hat die neue EU-Richtlinie?

Julian Finn: Die zunehmende Privatisierung von Wissen, gegen die sich Attac stellt, bekäme damit eine neue Dimension. Wissen und Information und somit auch Software darf nicht monopolisiert werden. Das ist aber beim Durchkommen dieser Richtlinie zu befürchten. Wir hoffen darum, dass die Richtlinie in ihrer derzeitigen Form nicht durchkommt, denn zum Glück steht ja noch eine weitere Runde im Parlament bevor. Sollte sie jedoch unverändert umgesetzt werden, sind die Folgen noch nicht ganz absehbar.

Kleine und Mittelständische Unternehmen, die im übrigen 80% der Arbeitsplätze im EDV-Bereich stellen, wären, wie freie Software auch, den Patentklagen großer Unternehmen ausgeliefert, es würde sehr schwer werden, ohne einen Patentanwalt im Rücken Software zu entwickeln und zu verbreiten. Arbeitsplätze wären ebenso gefährdet, wie die Vielfalt an Software und damit auch Innovation, die ja oft auch von kleinen Firmen und Freien Entwicklerinnen ausgeht.

politik-digital.de: Wie beurteilen Sie die Haltung von deutschen Regierungsmitgliedern wie Wirtschaftsminister Clemens oder Justizministerin Zypries?

Julian Finn: Ich finde die Haltung von Herrn Clement unverständlich- ebenso wie die seiner eigentlich zuständigen Kollegin Justizministerin Brigitte Zypries. So hat sie schon mehrfach das Gegenteil von dem getan, was kurz zuvor versprochen worden war, auf die zuletzt massive Kritik auch seitens des Bundestages ist sie hingegen fast gar nicht eingegangen. Eins scheint jedenfalls klar zu sein: Der Lobby-Druck von SAP, Microsoft und Co. muss unglaublich stark sein.

politik-digital.de: Wie können Bürgerinnen und Bürger aktiv werden und Einfluss auf diese politischen Prozesse nehmen?

Julian Finn:Es wird in den nächsten Wochen und Monaten einige Protestaktionen, online wie offline geben, an denen sich die Bürger beteiligen können. Zur Zeit gibt es viele Ideen und Vorbereitung, aber noch nichts Spruchreifes; ich empfehle von Zeit zu Zeit auf www.attac.de/wissensallmende nachzusehen, was sich tut.

politik-digital.de: Was spricht gegen die Hauptargumente der Befürworter der neuen Software-Patentrichtlinie?

Julian Finn: Das Hauptargument ist die Innovation, die so geschützt würde. Das können wir jedoch nicht nachvollziehen, im Gegenteil: viele Innovation geht von kleinen Unternehmen und Freien Entwicklern aus, die durch das ständige Damoklesschwert “Patentklage” bestenfalls behindert werden. Wir sind der Meinung, dass sich Software auch ohne Patente ausreichend schützen lässt und durch die momentane Richtlinie auch dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet würde. So ist z.B. keine klare Abgrenzung von sog. Trivialpatenten gegeben, zu denen in etwa der berühmte “Fortschrittsbalken” oder der “1-click-Kauf” gehören

politik-digital.de: Brigitte Zypries bezeichnete den EU-Ratsbeschluss als “grossen Gewinn an Rechtssicherheit”. Worauf bezieht sich dieser Rechtssicherheitsgewinn?

Julian Finn: Diese Rechtssicherheit bezieht sich auf die Unternehmen, die schon Patente besitzen, da mit der Richtlinie diese Patente auch greifen würden. Für alle anderen beginnt hingegen eine Zeit der Rechtsunsicherheit.


politik-digital.de: Bitte nennen Sie ein paar Beispiele aus dem alltäglichen Leben, auf die sich die neue Richtlinie auswirken könnte!

Julian Finn: Zum Beispiel gibt es ca. 20 Patente, die einen einfachen Online-Shop verhindern würden. Verschiedene Dateiformate sind ebenso patentiert, wie Geschäftsmethoden (etwa “Geschenke Verschicken” durch Amazon). Die Stadt München hat im letzten Jahr kurzzeitig ihre Umstellung auf Linux auf Eis gelegt, weil nicht klar war, in wie weit diese in Zukunft einen Verstoß gegen erteilte Patente darstellen könnte. Es könnten den Nutzern also die Alternativen verloren gehen, in etwa wenn es nicht mehr möglich wäre, andere Rechner mit Windows zu vernetzen oder Microsoft Office – Dateien in Openoffice.org zu bearbeiten.