Zu den Themen unserer Digitalen Presseschau gehören in dieser Woche Sascha Lobos Selbstkritik, die Arabische Revolution und die Klage der Großverlage gegen die Tagesschau-App. Auf Platz 1 schaffte es ein Artikel, der sich mit der Positionierung der Bundesjustizministerin zur Vorratsdatenspeicherung auseinandersetzt.
Vorratsdatenspeicherung vs. Quick Freeze
Unser Gewinner der Woche für die Digitale Presseschau ist ein Beitrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Im Mittelpunkt steht die Positionierung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dazu, die schon lange über Parteigrenzen hinweg als glaubwürdige Verfechterin von Bürgerrechten gilt. Peter Carstens schreibt bei faz.net über das Dilemma, dass die Bundesjustizministerin eine Regelung modifizieren solle, gegen die sie im Jahre 2007 erfolgreich vor dem Verfassungsgericht geklagt hatte. In einem Eckpunktepapier spricht sich Leutheusser-Schnarrenberger für die Anwendung eines „Quick Freeze“-Verfahrens aus. Dies sei auch in ihrer eigenen Partei umstritten. Carstens fragt sich, ob die Bundesjustizministerin wie schon in ihrer letzten Amtszeit als Justizministerin (1992-1996) ein Exempel statuieren will – auch gegen die Mehrheit in der eigenen Partei.
Der mit seinem berühmten Irokesenschnitt die Selbstvermarktung perfektionierende sowie im Netz allseits bekannte Autor Sascha Lobo übt Kritik: an der deutschen Internetszene, vor allem aber an sich selbst als Teil dieser. In seiner Spiegel-Online-Kolumne „Die Mensch-Maschine“ vermisst er schmerzlich die Diversität, die sich in einem ausgeprägten Gruppendenken und einer Abschottung der homogenen Netzszene äußere. Diese charakterisiert er treffend als mehrheitlich männlich, mitteljung und überdurchschnittlich gut gebildet. Lobo meint zudem, „dass wir, die deutsche Internetszene, uns viel zu oft benehmen wie digitale Herrenmenschen.“ Für ihn ein Zeichen für mangelndes Selbstwertgefühl! Die Netzszene solle sich für einen konstruktiven Diskurs mit der Gesamtgesellschaft und jenen öffnen, die noch nicht in der digitalen Welt Fuß gefasst haben – den von ihr so häufig belächelten “Offlinern”!
Auf Platz drei unseres Rankings schaffte es der Ex-Kulsturstaatsminister und Chefredakteur des Printmagazins Cicero Michael Naumann mit einer Anti-Utopie zur digitalen Welt. Er bezieht entschieden Position gegen die von ihm beobachtete immer stärker vorherrschende Netz-Kultur, persönliche Daten der Allgemeinheit und damit auch Internetunternehmen und Staat preiszugeben. In einem düsteren Kommentar, der auch in der Online-Version des Magazins veröffentlicht ist, schreibt er über die vermeintliche Gefahr eines gläsernen Menschen. Die flächendeckende Aufzeichnung des Nutzerverhaltens und die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen im Netz dank kapitalstarker Netzmultis und Suchmaschinen, die zu Machtmaschinen würden, führe nicht nur zu einer Kapitalisierung, sondern spiele auch totalstaatlichen Systemen in die Hände. Das profitgetriebene Internet unterhöhle die Freiheit seiner Nutzer.
Tunesien ist nach dem Sturz des Regimes von Ben Ali, der jüngst zu einer 35-jährigen Haftstrafe verurteilt worden ist, aus dem Fokus des medialen Interesses geraten. Die preisgekrönte tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni zeigt in einem Gespräch mit dem Online-Magazin The European auf, dass die politische Zukunft in ihrem Land weiterhin völlig offen ist. Noch immer spielten die alten Garden des Ex-Regimes eine gewichtige Rolle und die Polizei kehre zu alten Verhaltensmustern zurück. Auch die Reformierung der Gesetzgebung komme kaum voran. Aus Frustration darüber, dass die Regierung ihren Reformvorschlägen zu Blogs und Online-Journalismus kein Gehör geschenkt hat, war sie von ihrem Posten als Regierungsmitarbeiterin zurückgetreten.
Viel wurde schon darüber diskutiert, inwieweit soziale Netzwerke die arabische Revolution befördert haben. Zu bestreiten ist jedenfalls kaum, dass sie eine bedeutende Rolle bei der Organisation des Widerstands gegen die autoritären Regime spiel(t)en. Beim Deutschlandfunk erschien gestern ein interessanter Audio-Beitrag von Andreas Knoll zu diesem Thema. Darin kommen verschiedene Wissenschaftler und Blogger zu Wort – unter anderem der Internet-Theoretiker Evgeny Morozov, der die Bedeutung sozialer Medien herunterspielt und meint, dass wir dem Internet Qualitäten zusprächen, die es nicht habe. Und der Psychologieprofessor Peter Kruse resümiert, dass das Netz als Schleusenwärter der Angst und Koordinationsmedium gerade in der Frühphase eines Massenaufstandes Bedeutung besitze. Der allgemeine Tenor aber ist: Ohne Internet wäre die Arabische Revolution nicht so erfolgreich verlaufen! (Die Sendung als MP3).
Die Smartphone-App der ARD erfreut sich großer Beliebtheit. Sie wurde schon millionenfach aus dem Netz heruntergeladen und liefert ein qualitativ hochwertiges Nachrichten-Angebot. Doch schon seit längerem wird öffentlich darüber diskutiert, inwieweit die App wettbewerbsverzerrend gegenüber der privatwirtschaftlichen Berichterstattung ist. Am Dienstag zogen acht Großverlage vor Gericht, um gegen die angeblich „textdominante Berichterstattung“ der ARD-App zu klagen. Interessant fanden wir den eigens eingerichteten Blog „der presseschauder“, in dem der Journalist Christoph Keese, der selbst an der Vorbereitung der Klage beteiligt war und einem der klagenden Verlage angehört, ausführlich die Position der Verlage darlegt. Er zählt detailliert die Gründe für ein legitimes Interesse der freien Presse auf, sich gegen die ungehemmte Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender zu verteidigen. Sein Beitrag zeigt die verfahrene Situation im Interessenstreit auf – hier haben jetzt Gerichte und Politik zu reagieren.
Sascha Lobo ist weit hinter der Zeit zurück. Seine Kritik an Gunter Dueck war unsachlich. Dueck gehört nicht zu den Evangelisten, dass Internet gut sei. Wie Sascha. Das ist heute nicht mehr nötig. Die Frage ist nur noch, dass es da ist und wie wir damit umgehen. Aber das ist in einem Stadium, wo Millionen Menschen in Deutschland das selbst organisieren.