Beschleunigungsgesellschaft auf dem Vormarsch, Kritik an  Abstimmungspraxis im Bundestag, BürgerForum 2011 auf der Zielgeraden und der Klimakiller Internet – Dies und mehr in der Digitalen Presseschau.

Verödung der Öffentlichkeit?

Einen sehr erfrischenden und geistreichen Essay von Reinhard Mohr sendete der Deutschlandfunk. Die durch das Internet beförderte Beschleunigung der weltweit verfügbaren Informationen habe nicht nur die Medien selbst und ihren Gebrauch tiefgreifend verändert, sondern die Struktur der Öffentlichkeit, die Willensbildung und Entscheidungsprozesse. Mohr befürchtet, dass aus dem Zusammenspiel von forcierter Mediengesellschaft und Stimmungsdemokratie ein fortschreitender Verlust der allgemeinen Urteilsfähigkeit resultieren könnte. Große Teile der Gesellschaft würden längst im Liveticker-Rhythmus schwingen.

Willkür im Bundestag?

Im eigenen Blog weist abgeordnetenwatch.de auf eine parlamentarische Praxis hin, die reformbedürftig scheint. So müssten die meisten Abstimmungen im Deutschen Bundestag „nicht namentlich“ erfolgen, sondern durch bloßes Handheben oder Aufstehen. Zudem werde über die Anwesenheit der Abgeordneten öffentlich nicht Buch geführt. Um dies zu ändern und größere Transparenz für die Öffentlichkeit zu schaffen, reichte Dieter Klemke von der Organisation diebuergerlobby.de eine Petition beim Deutschen Bundestag ein, um die Einführung eines E-Votings zu prüfen. Diese wurde jedoch erst gar nicht zugelassen!

BürgerForum 2011 auf der Zielgeraden

Auf der Online-Präsenz von Deutsche Welle geht Kay-Alexander Scholz auf das unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Christian Wulff stehende BürgerForum 2011 ein. Im daran teilnehmenden Landkreis Teltow-Fläming wurde am vergangenen Samstag, wie in den 24 weiteren Regionen, ein Bürgerprogramm erstellt. politik-digital.de hatte im Vorfeld bereits darüber berichtet. Zuletzt gab es bei Telepolis auch einen interessanten Erfahrungsbericht von Susanne Krüger, die Online-Moderation beim BürgerForum 2011 war. Das bundesweite Bürgerprogramm ist mittlerweile beschlossen worden und wird am morgigen “Tag der Demokratie” im ehemaligen Bundestag in Bonn an Bundespräsident Christian Wulff überreicht.

Die Macht von Volkes Stimme

Michael Seemann schreibt bei Zeit Online, dass sich die Bürger so langsam der Macht ihrer Stimme bewusst würden und mitregieren wollten. Dabei referiert er u.a. auf die aktuellen Proteste in Spanien, die keinem politischen Lager und keiner Organisation entsprängen. Durch die dank Internet mögliche direkte Kommunikation verändere sich der Diskurs. Die politische Meinungsbildung erreiche eine Komplexität, der politische Institutionen nicht mehr gerecht werden könnten und die sie zu delegitimieren drohe, solange die Politik nicht mehr Transparenz und Mitbestimmung zuließe.

Internet am Scheideweg

In seinem Artikel bei netzwertig.com zeigt sich Martin Weigert besorgt, dass die Zeit des verhältnismäßig freien, demokratischen und offenen Internet bald vorbei sein könnte und die Befürworter eines kontrollierten und regulierten Internet die Oberhand gewinnen. So paradox es auch klingen mag: Dieser Entwicklung könnten nur die Global Player der Internetbranche, wie Google, Twitter und Facebook, entgegensteuern, die allzu oft wegen ihrer Marktdominanz oder auch Privatsphäre- und Datenschutzverstöße kritisiert werden. Denn nur sie würden als Gegenpol zu staatlicher Regulation die einzige echte, weil finanzkräftige Lobby für eine freie und gegen eine härter kontrollierte digitale und vernetzte Zukunft bilden, so Weigert.

Internet-Zensur

In einem Interview mit Alex Rühle von sueddeutsche.de kritisiert der Netz-Aktivist Jérémie Zimmermann von der französischen Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net die Versuche der Politik, das Internet stärker zu regulieren. Dazu gehören für ihn u.a. Zensurbestrebungen in Frankreich und das ACTA-Handelsabkommen. Dessen Realisierung mit staatlicher Zustimmung mache Internetfirmen zu einer privaten Urheberrechts-Polizei und –Justiz. Als positives Gegenbeispiel nennt er z. B. eine Gesetzesregelung aus Brasilien, die nur die unmittelbar Verantwortlichen für illegale Handlungen im Netz strafrechtlich belange.

Klimakiller Internet

Ulrich Clauß merkt auf Welt Online an, dass IT- Lobbyisten sich allzu oft mit dem Umweltschutz brüsteten. So werbe Google schon seit längerem mit dem Begriff der Green-IT, also der umweltschonenden Datenverarbeitung. Die Realität sehe jedoch anders aus: Denn die Energieerzeugung für den Betrieb der Datentechnik sei noch immer und überwiegend konventioneller Natur und verursache erhebliche Umweltlasten. Zugleich stellt Clauß jedoch fest, dass öffentliche Förderprogramme wie „IT2Green“ auf Anklang in der Wirtschaft treffen würden und es dort einen ökologischen Wertewandel gebe.

Absage an neue Internet-Gesetze

In einem Gastkommentar für die Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland resümiert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, dass das Netz neuer Regelungen im Interesse von Meinungsfreiheit und Datenschutz bedürfe. Doch anstatt neue Gesetze zu fordern, setzt er vermeintlich auf eine verstärkte Selbstregulierung von Internet-Nutzern und –Wirtschaft. Denn in einer freiheitlichen Demokratie solle der Staat erst dort eingreifen, wo es wirklich nötig ist. Ob dies mehr als nur Lippenbekenntnisse sind, wird sich aber erst noch zeigen müssen.