Fritz Pleitgen ist seit dem 1. Januar 2001 Vorsitzender des ARD. Nach seiner Tätigkeit als ARD-Auslandskorrespondent und Studioleiter war er von 1988 bis 1993 Chefredakteur Fernsehen des WDR. Später war er dort als Hörfunkdirektor beschäftigt und ist seit 1995 Intendant des WDR.
Mit politik-digital sprach er über die Zukunft der Internetaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
politik-digital: Wie schaut der Fahrplan für ARD.de nach der Intendantenkonferenz aus? Welche Angebote wird die ARD unter welchen domains in Zukunft anbieten?
Pleitgen: Wie in Hörfunk und Fernsehen steht die ARD auch im Internet für verlässliche Information. Wir bauen unserere Angebote schrittweise aus.
Tagesschau.de wird zum hochaktuellen und tiefgründigen Nachrichtenportal entwickelt und stützt sich dabei auf das weltweit größte Korrespondentennetz. Die
ARD.de wird als Einstiegsportal zu allen online-Angeboten unseres Senderverbunds verfeinert, darüber hinaus erschließt und bündelt sie nach und nach attraktive Hörfunk- und Kulturangebote.
Das-erste.de wird als umfassendes online-Angebot zum Ersten Deutschen Fernsehen weiter entwickelt. Bei
das-erste.de können Nutzer beispielsweise per Webcam die Dreharbeiten zum Marienhof beobachten, sich über Sabine Christiansens Gäste informieren oder für ihre Kinder ein Malbuch mit Maus-Motiven herunterladen.
politik-digital: Die ARD leitet ihren Funktionsauftrag aus der vierten Änderung des Rundfunkstaatsvertrages ab, die ausdrücklich “vorwiegend programmbezogene” Inhalte erlaubt. Der
VPRT und der
BDZV haben ihre Definition von “Programmbezogenheit”, u.a. mit dem Degenhart Gutachten, bereits gegeben. Wie sieht ihre Vorstellung von “programmbezogenen Informationen” aus?
Pleitgen: Es ist behauptet worden, wir dürften lediglich Hörfunk- oder Fernseh-Angebote eins zu eins ins Internet übernehmen. Im Rundfunkstaatsvertrag steht etwas Anderes. Wir halten uns streng an den Gesetzestext, das heißt wir informieren programmbezogen. Dabei speisen wir uns aus dem reichen Fundus unserer eigenen Inhalte, die wir webspezifisch aufbereiten, und wir leiten an andere seriöse Quellen weiter.
politik-digital: Wie bewerten sie die Exklusivpartnerschaft zwischen dem ZDF und t-online, die ja nicht nur die Einblendung des Hinweises auf die geplante Internet-Domain
heute.t-online.de in jeder Nachrichtensendung des ZDF sondern auch denprivilegierten Zugriff auf ZDF-Inhalten für t-online vorsieht? Ist Ähnliches auch für die ARD vorstellbar?
Pleitgen: Das ZDF geht seinen Weg. Ich möchte das nicht bewerten. Wir setzen auf unseren Inhalte-Reichtum, unsere Glaubwürdigkeit und unsere Unabhängigkeit. Wir wissen von Infratest, dass die Zuschauer sich auf keine Nachrichtensendung so sehr verlassen wie auf die Tagesschau. Dieses Vertrauensverhältnis setzen wir nicht aufs Spiel.
politik-digital: Das duale Rundfunksystem mit dem an die öffentlich-rechtlichen Senderdelegierten Grundversorgungsauftrag entstand aus einer rundfunk-spezifischen Sondersituation. Im WWW haben wir es mit einer Flut von Angeboten und Meinungen zu tun. Eines “Vielfaltsgaranten” bedarf es – anders als beim oligolopolistischen Fernsehmarkt – im Netz nicht. Worin besteht die Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Angebots im Netz?
Pleitgen: Damals war die Ebbe, heute ist die Flut an Informationen das Problem. Der Nutzer droht unterzugehen. Er kann weder alle Angebote überblicken noch ihre Qualität einschätzen. Gerade im Internet ist Vorsicht geboten. Es gibt hinterlistige online-Angebote. Manche greifen unbemerkt auf die Festplatte des Nutzers zu und bringen seinen Rechner dazu, teure 0190-Nummern anzuwählen. Öffentlich-rechtliche Anbieter sind unabhängig und haben keine kommerziellen Absichten. Sie lotsen durchs Internet helfen den Nutzern, das neue Medium souverän zu nutzen. Die Medienrechtler vom Hamburger Hans Bredow-Institut und vom Kölner Institut für Rundfunkökonomie haben außerdem eine Gefahr für die umfassende Meinungsbildung festgestellt: Wenn wir das Internet dem Markt überlassen, wird sich in diesem Massenmedium nicht die verfassungsrechtlich geforderte freie öffentliche Kommunikation entwickeln. Kommerzielle Anbieter allein können keine ausreichende publizistische Vielfalt sicherstellen.
politik-digital: Werbung und e-Commerce sind den öffentlich-rechtlichen Anstalten laut Staatsvertrag verboten. Halten sie diese Regelung für richtig?
Pleitgen: Egal, ob es im Staatsvertrag steht oder nicht: Wir sind Journalisten, keine Händler. Der E-Commerce ist nicht unser Geschäft, da braucht sich die private Internet-Wirtschat keine Sorgen zu machen. Dennoch müssen wir über die Finanzierung nachdenken. Einerseits wird von der ARD Qualität erwartet – auch im Netz. Andererseits muss die Rundfunkgebühr sozialverträglich bleiben. Unstrittig ist, dass wir alle für die öffentliche Kommunikation relevanten Informationen frei zugänglich anbieten. Aber wir brauchen auch eine reelle Chance, unser Angebot zu finanzieren. Ich bin sicher, dass dafür auch in Zukunft eine Lösung gefunden wird.
politik-digital: Ein Grundproblem der öffentlich-rechtlichen Sender ist die schwindende Akzeptanz der jüngeren Zuschauer. Schon im TV-Geschäft stehen sie im Spannungsfeld zwischen dem Vorwurf der Selbstkommerzialisierung und drohendem Akzeptanzverlust. Das Internet bietet viele Möglichkeiten, junge Zuschauer zu binden – Big Brother hat es vorgemacht. Wie weit dürfen ARD & ZDF Ihrer Meinung nach im Internet gehen?
Pleitgen: Das junge Publikum kann man auch begeistern, ohne Menschen in Containern zu beobachten. Das machen unsere jungen ARD-Radios vor, die außer vielen Hörern auch viele Internet-Surfer anziehen. Die Zahl der Zugriffe ist aber nicht das einzige Kriterium. Auch im Internet steht für uns die Qualität an erster Stelle. Wenn Kinder zu
wdrmaus.de oder Jugendliche zu
dasding.de vom SWR surfen, bekommen sie Angebote, die für sie gemacht sind und nicht für kommerzielle Unternehmen. Das wissen auch viele junge Menschen zu schätzen.
Erschienen am 20.06.2001
|