Ihre Aufgabe bestand darin, einen Pudding an die Wand zu nageln. Die “Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft” hatte vor, die mit dem Netz verbundenen Chancen und Probleme aufzuarbeiten, Bestandsaufnahme und Handlungsanweisung zugleich zu liefern. Das Ergebnis der etwa dreijährigen Arbeit wurde heute Nachmittag im Bundestag diskutiert. Es ist weniger ein Leitfaden für politisches Handeln geworden, mehr eine Analyse der aktuellen Lage. Als die durch 179 Gruppentreffen und 20 öffentlichen Sitzungen geschwappte Meinungsflut Ende Januar verebbte, waren alle schlauer. Und auch ziemlich erschöpft.
Ihre Arbeit ließ alle Kommissionsmitglieder am eigenen Leib spüren, wo die Spannungsfelder des Internets liegen – einem Medium wohlgemerkt, das sich täglich verändert und alle Gesellschaftsbereiche berührt. Schwer genug, doch zu den Fragen um direkte Demokratie und Transparenz gesellten sich dann noch ganz traditionelle Probleme des Politikbetriebs: taktierende Abgeordnete und Themenüberfrachtung.
Im März 2010 nahm die Arbeit der “Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft” ihren Anfang. Zu diesem Zeitpunkt fiel der Startschuss für eine Untersuchung, die in der Parlamentsgeschichte bis dato einzigartig ist, denn nie zuvor hat eine parlamentarische Kommission die Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Internet in dieser Tiefe und auf diese Art analysiert. Die dafür eingesetzte Untersuchungsgruppe bestand aus 17 Politikern und der gleichen Zahl an Experten. Letztere wurden von den Bundestagsparteien berufen, wobei sich die quantitative Zusammensetzung aller Kommissionsmitglieder jeweils nach dem Parteienproporz richtete. Die Experten stammten aus unterschiedlichen Richtungen, u.a. aus der Softwareentwicklung, Kunst oder aus Verbänden. Insgesamt waren 29 Berufsgruppen vertreten, so dass die Enquete-Arbeitsgruppe genauso vielseitig war wie das Themenspektrum. Das deckte alle vom Netz erfassten oder ihm immanenten Felder ab, von speziellen Bereichen wie dem Urheberrecht bis hin zum allgemeinen Komplex “Wirtschaft, Arbeit, Green IT”.
Neu an der Internet-Enquete war aber nicht nur das Thema, sondern auch die Tatsache, dass der Bürger als “18. Sachverständiger” online mit in die Diskussion einbezogen wurde. Er konnte die 20 öffentlichen Sitzungen per Stream verfolgen und sich über eine Online-Plattform an der Debatte beteiligen. Mitwirkungsmöglichkeit und Transparenz trugen weiter zur Einzigartigkeit des Projekts bei – streuten aber auch Sand ins Getriebe einer Maschine, die sowieso schon übertourt lief und unter dem Gewicht von Politik und Thema ächzte.
Direkte, online-gestützte Demokratie und Transparenz sind zwei Forderungen, die insbesondere aus den Reihen netzpolitisch aktiver Bürger an Legislative und Regierung gestellt werden. Insofern war es nur konsequent, die Zwischenergebnisse der Kommission auf einer eigenen Webseite diskutieren zu lassen. Obgleich mit technisch bedingter Verzögerung online gegangen und von den Bürgern eher verhalten genutzt, wurde die Partizipationsoption nahezu von allen Experten befürwortet. Genau hier liegt aber ein Knackpunkt, war doch der Bürger-Input nach Meinung einiger Sachverständiger (noch) nicht gut genug organisiert. “Wir haben es leider oft nur geschafft, fertige Berichtsteile zur Diskussion zu stellen. Dabei sollte die Beteiligung nicht erst zum Ende einsetzen, sondern möglichst früh, um beispielsweise Probleme und Lösungswege in den Diskussionsprozess zu tragen”, so der Mitbegründer des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur, Alvar Freude. Sein Statement findet sich im Schlussteil des Berichts, zusammen mit den Äußerungen anderer Experten.
Die Bürgerbeteiligung wurde außerdem durch ein Problem gehemmt, das symptomatisch für die vernetzte Gesellschaft ist: der Zeitdruck. Jeder wollte auf die Bürger hören, kaum einer hatte die Zeit dazu. “Das war eine Komplexitätsstufe zu viel für mich“, gibt die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann zu, stellvertretend für ihre Kollegen. Grundsätzlich, schreibt die Social-Media-Beraterin Nicole Simon, dürfe von keinem Abgeordneten verlangt werden, auf jede Anfrage sofort reagieren zu müssen. Erreichbarkeit kann also Zumutung werden – und Transparenz vielleicht auch?
Neben den 20 Kommissionssitzungen wurden einige Treffen innerhalb der Projektgruppe ebenfalls im Internet gestreamt. Die Sachverständigen begrüßten die Offenlegung mehrheitlich, stießen sich aber in Teilen an der Konfliktinszenierung, die auf diese Weise begünstigt wurde. “Mir ist aufgefallen, dass sich die Parlamentarier, sobald die Kameras eingeschaltet waren, teilweise komplett anders als sonst verhielten. Die Gespräche in den Projektgruppen, die nicht gestreamt wurden, verliefen anders als die Enquete-Sitzungen, die übertragen wurden“, fasst der Juraprofessor Hubertus Gersdorf seine Beobachtung zusammen. Cornelia Tausch vom Dachverband der Verbraucherzentralen bringt die Arbeit vor der Kamera deutlich griffiger auf den Punkt: Die Show habe in den Streams stattgefunden, die Kooperation daneben. Dahinter steckt die Erfahrung, dass Politiker abseits des Rampenlichts eher bereit sind, ungefestigte Positionen zuzugeben und den Schlagabtausch mit dem gegnerischen Lager zurückzustellen.
Überhaupt waren es auch Probleme der Offline-Welt, mit denen sich die Internet-Experten auseinandersetzen mussten. Einige problematisierten z. B. den Einfluss von Lobbygruppen. Zudem wünschte sich manch ein Sachverständiger größere Unabhängigkeit gegenüber der Partei, die ihn aufgestellt hatte. Alvar Freude etwa konstatierte, dass die Koalition “das Abstimmungsverhalten der von ihr benannten Sachverständigen erstaunlich gut im Griff“ hatte. Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org, machte Geschäftsordnungstricks aus, wann immer eine Mehrheit in Gefahr geriet. “Zu Beginn habe ich noch an das Werbeversprechen geglaubt, dass eine Enquete-Kommission als Untersuchungskommission ohne Parteibrillen sich dem Thema ergebnisoffen nähern möchte. Das sollte sich schnell als falsch erweisen.“
Deswegen jedoch die beteiligten Politiker als rein machtgetrieben und vereinnahmend abzutun, greift ebenfalls zu kurz. Im Bericht finden sich auch Stimmen, die ihnen Sachkenntnis und Bereitschaft zur konstruktiven Diskussion bescheinigen. Zumal am Ende alle Beteiligten ein Problem gemeinsam hatten: die schier unerschöpfliche Themenvielfalt – die auch noch von tagesaktuellen Debatten verbreitert wurde, die gar nicht zum Arbeitsauftrag gehörten. Das passende Fazit vom Künstler und Netzaktivisten “padeluun“: “Wir hatten einfach viel zu viel Stoff für eine einzige Enquete – mit unseren Fragestellungen wären auch acht Kommissionen gut ausgelastet gewesen.“
Vor dem Hintergrund der Probleme, on- wie offline, wirkt das Erreichte durchaus beachtlich – sei es die Verankerung des Digitalen in der politischen Diskussion, die (ausbauwürdige) Online-Bürgerbeteiligung und das in Berichtform gesammelte Fachwissen. Der Pudding wurde nicht an die Wand genagelt, beim Versuch haben die Beteiligten aber viel gelernt. Ihre Pause ist verdient.
Zum Thema haben wir auch eine digitale Presseschau zusammengestellt.