Eine Woche vor dem Wahltag scheint der TV-Wahlkampf beendet, jedenfalls aus der Sicht von Peter Frey, dem Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios. Etwas kurios wirkt es nun, dass ausgerechnet eine ZDF-Produktion im inhaltsleersten Wahlkampf der letzten Jahre ein Experiment wagte, das für beides die Lösung bietet. Mit “Erst fragen, dann wählen” kommen die Themen zurück und werden in Fernsehen und Internet gesehen, kommentiert und hinterfragt.
Fast 3000 Fragen hat das ZDF gemeinsam mit seinen Partnern von meinVZ und ZEIT Online eingesammelt und die Spitzenkandidaten aller Parteien eingeladen, diese zu beantworten. Und bis auf die Kanzlerin Angela Merkel nahmen alle Kandidaten die Einladung an. Am Samstag bereits stellten sich Guido Westerwelle und Peter Ramsauer den Fragen, am Sonntag folgten Frank-Walter Steinmeier, Jürgen Trittin und zuletzt Gregor Gysi.
In Zeiten von immer ähnlicher werdenden Formulierungen wirkte es schon etwas bedrohlich, wenn eine weitere Talkshow den Politikern eine Bühne gibt. Wo soll man noch den Unterschied zwischen Unser Land kann mehr” und “Deutschland kann es besser” fest stellen? Was bedeutet es für unser Land, Atomkraft als “Brückentechnologie” zu nutzen oder so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen?
Netzpolitik
Auch auf dem Gebiet der Netzpolitik sind die Äußerungen von Grünen, Linken, Liberalen und Piraten kaum noch zu unterscheieden. Die Parteien streiten mit nahezu identischen Aussagen um die Deutungshoheit über die Begriffe. In jeder Talkshow formulieren Politiker ihre glatt geschliffenen Aussagen und die Wahlprogramme helfen nicht beider Aufklärung.
Wenn es auch etwas überzogen klingt, das ZDF hat mit seinem Format “Erst fragen, dann wählen” einen Weg aus dem Dilemma aufgezeigt. Die direkte Einmischung von Zuschauern, Wählern im Studio und Chattern auf allen Kanälen zwingt Politiker, ihre Aussagen zu konkretisieren. Die Wählerinnen und Wähler lassen sich eben nicht mehr mit Plattitüden abspeisen, sondern wollen genau wissen, wohin Politik gehen soll. In der heutigen Ausgabe mussten sich sowohl Steinmeier als auch Trittin die Mühe machen, ihre Aussagen zu präzisieren – nachdem das Feedback aus einer Studenten-WG über Liveschaltung und aus dem Netz über Twitter es in die Sendung schaffte.
In einem weiteren Punkt hat das Format Dämme gebrochen, die den Wahlkampf bisher so hektisch und inhaltsleer machten. Statt eines konzentrierten Programms von 45 Minuten mit unzähligen Talkgästen räumt das ZDF jedem Kandidaten fast 90 Minuten Zeit ein. Natürlich entsteht so für den Zuschauer und vor allem für die Moderatoren und Mitarbeiter ein Marathon – doch zum ersten Mal hat man am Ende das Gefühl, eine angemessene Auseinandersetzung mit den Themen erlebt zu haben.
Fast 80% sind in einer spontanten und unrepräsentativen Befragung daher der Meinung, die Sendung sei “einfach nur super” und gehöre in das ZDF-Hauptprogramm. Der Sendeplatz auf dem ZDF-Infokanal kann auch in Kombination mit Live-Streams auf meinVZ und ZEIT Online nicht darüber hinweg täuschen, dass einem solchen Format viel mehr Aufmerksamkeit gebührt.
Das ZDF hat ein Experiment gewagt, das die Zukunft des politischen Fernsehens sein kann. Besonders beeindruckend ist das in einem so einschläfernden Wahlkampf wie in diesem Jahr.
(Zuerst erschienen auf homopoliticus.de)