Mütter werfen mit Rauchgranaten, Väter legen Bomben und Lehrer geben ihren Kollegen "Headshots". Nein, das ist nicht die gewalttätige Eskalation der Hamburger Schulproteste, sondern ein Counter-Strike-Duell auf der Eltern-LAN-Party. Hier können Erwachsene ausprobieren, was ihnen oft hinter Kinderzimmertüren verborgen bleibt. politik-digital.de hat mitgespielt.
Siegesgewiss rase ich, Vetreter der "Generation Gameboy", im Rennspiel "Trackmania" auf die Bestzeit zu. Auf der Zielgeraden macht mir "freifaller" den Sieg doch noch streitig. "freifaller" heißt im wirklichen Leben Marc Thieme, ist von Beruf Sozialpädagoge und mehr als doppelt so alt wie ich. Bei seiner Arbeit als Familienhelfer trifft er zunehmend auf Kinder, die spielsüchtig sind. Um ihnen besser helfen zu können, ist er auf der Eltern-LAN. Von "Killerspiel"-Verboten hält er nichts: "Nur wenn man Spiele erlaubt, kann man über sie diskutieren." Dies habe er auch bei der Erziehung seiner Kinder beherzigt – und außerdem mit ihnen gespielt. "Manchmal sitze ich selber bis 2 Uhr vor dem Rechner", gibt der Strategiespielfan zu.
Zocken für Verständnis
Solche Erfahrung und Offenheit bei Computerspielen ist in der Elterngeneration selten. "Die Eltern haben neben Berührungsängsten auch einfach Angst, nicht mehr mitzukommen mit ihren Kindern", sagt Moderator Tobias Miller. Der Medienpädagoge ist Redaktionsleiter der Computerspieleplattform spielbar.de, einem Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung und moderiert die LAN-Party. spielbar.de veranstaltet zusammen mit dem E-Sports-Unternehmen Turtle Entertainment und weiteren Partnern die Veranstaltungsreihe "Eltern-LAN".
In den mehrstündigen Workshops erhalten Eltern, Lehrkräfte und Pädagogen zunächst eine kleine Einführung ins Thema, kommen dann aber schnell zur Sache. Zum Warmwerden zocken sie gemeinsam das Autorennspiel "Trackmania Nations", anschließend flimmert bereits Counter-Strike, für viele der Inbegriff der sogenannten "Killerspiele" über die Bildschirme. Mit Rat und Tat zur Seite stehen dabei spielerfahrene Pädagogen und Profi-Gamer aus der Electronic Sports League (ESL), auf deren Tipps so mancher Sprössling daheim neidisch wäre. Nach dem Spielen diskutieren die Teilnehmer über die gewonnen Eindrücke, anschließend steht der Besuch eines ESL-Spieltags auf dem Programm.
Nachholbedarf bei den Eltern
"Am Ende des Tages können die meisten Teilnehmer die Faszination ihrer Kinder für Spiele besser nachvollziehen", so Miller. Tatsächlich erfüllen schon nach kurzer Zeit Rufe wie "Wer hat mich abgeschossen?", "Brauche ich Rauchgranaten?" oder "Autsch, voll von der Seite!" den Raum.
Ruhiger geht es dagegen am Tisch von Frank Kopf zu. Sichtlich bemüht mit der Steuerung der Ego-Perspektive schleicht er durch die Spielwelt von Counter-Strike. "Ich kann die Faszination hieran nicht nachvollziehen, toleriere solche Spiele aber", erzählt er nach einem weiteren virtuellen Tod. Kopf unterrichtet in Niedersachsen das Wahlpflichtfach Medienkunde und ist selbst Vater zweier Söhne, 21 und 25 Jahre alt. In seinem Haus sind "Ballerspiele" tabu – seine Frau will es so. Andere Computerspiele haben seine Söhne trotzdem gespielt. Kopf habe aber mit ihnen über die Spiele gesprochen. Er sieht sich damit als Ausnahme: "In der Mehrheit interessiert es die meisten Eltern wenig, was ihre Sprösslinge da spielen." In seinem Unterricht säßen Schüler morgens mit rot unterlaufenen Augen, weil sie "nach Hause kommen und bis in die Nacht nur zocken", berichtet Kopf. Er wolle näher dran sein an seinen Schülern – deshalb ist er auf der Eltern-LAN.
Die EDV-Dozentin Gudrun Pannier arbeitet in der Erwachsenenbildung. Mit ihren Computerkursen versucht sie, auch über Spiele aufzuklären und hat sich die Stunden im Lehrplan dafür hart "erkämpft", wie sie sagt. Auf der Eltern-LAN will sie einmal sehen, "wie andere es so machen" mit der Spiele-Aufklärung. Bei vielen Eltern beobachte sie Vorurteile und Unwissenheit. Clan-Webseiten würden da schonmal als rechtsradikale Inhalte eingestuft, "nur weil sie einen schwarzen Hintergrund mit Totenköpfen haben", berichtet Pannier von den Sorgen der Eltern.
Alle müssen dazulernen
Für die Beteiligten steht fest: ein Patentrezept für den bewussten Umgang mit Computerspielen gibt es nicht. Die Mehrheit der LAN-Teilnehmer sieht die Hauptverantwortung allerdings bei den Eltern – die zugleich auch die meiste Kritik in Sachen Interesse am Thema einstecken müssen. Doch sie sind am nähesten dran an den Jüngsten oder wie Miller es sagt: "Jugendmedienschutz endet an der Haustür."
Laut Miller sollte medienpädagogische Präventionsarbeit "so früh wie möglich beginnen". Dies gelte nicht nur für Computerspiele, sondern auch für Online-Inhalte: "Restriktive Regelungen halte ich aufgrund des internationalen Bezugs des Internets für fragwürdig." Interessant sind solche Äußerungen vor allem im Hinblick auf den Neuentwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV), der Alters-Einstufungen – ähnlich wie bei Filmen und Spielen – auch für Online-Inhalte vorsieht.
Ob bei Eltern, Lehrern oder Politikern: "Aufklärung ist auf allen Ebenen nötig", bringt es eine anwesende Berliner Medienpädagogin auf den Punkt. Die für den Herbst geplante Bundestags-LAN-Party setzt genau an dieser Stelle an.