Ab dem 9. Mai wird Deutschland durchgezählt. Nach mehr als 20 Jahren sollen Deutschlands Zahlen und Statistiken mit dem "Zensus2011" auf den aktuellen Stand gebracht werden. Ist das schon ein legitimes Argument für die diesjährige Volkszählung, oder haben die Kritiker mit ihren datenschutzrechtlichen Bedenken Recht? politik-digital.de hat nachgefragt.
Nicht mehr Volkszählung, sondern Zensus heißt das Projekt im Jahr 2011. Nicht mehr das ganze Volk wird befragt, sondern nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung sollen in diesem Frühjahr stellvertretend für 80 Millionen Deutsche stehen. Dies ist möglich, weil ein Großteil der Daten für die diesjährige Volkszählung aus vorhandenen Datenbanken der Kommunen und der Arbeitsagentur zusammen-gefügt werden, so dass nicht alle Deutschen von der Erfassung direkt betroffen sind. Was nicht über Datenbanken erfasst werden kann, soll mittels Fragebögen geschehen. Dazu gibt es drei zu befragende Gruppen: Gebäude- und Wohnungs-zählung; Haushaltebefragung; Wohnheime und Gemeinschafts-unterkünfte. Aus dieser Einteilung rekrutieren sich die Befragungsgruppen. Das freiwillige Melden zum Ausfüllen des Fragebogens ist ausgeschlossen. Kritisiert wurde bereits mehrfach das ungefragte Zusammenführen voneinander unabhängiger Daten, worin der Arbeitskreis (AK) Zensus eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sieht. Der AK Zensus ist eine Bürgerinitiative aus Bürger-rechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, die sich gegen den Zensus 2011 wendet und Verfassungsbeschwerde eingereicht hat.
Bereits im Jahr 2001 hatten die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder Tests zur Machbarkeit eines registergestützten Zensus in Deutschland durchgeführt, in dem sich laut Statischem Bundesamt die Methode bewährt hat. Einwohnerzahlen können demnach bis auf Straßenzüge mit hoher Genauigkeit nachgewiesen werden, Angaben zur Bildung sind hingegen ungenauer, da nur Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern befragt werden können.
Um zu wissen, wie viele Studienplätze Deutschland braucht, wo Wohnungen entstehen sollen und wie der Verkehr gelenkt werden soll, sei eine "Inventur" Deutschlands nötig, ist auf der Internetseite des Zensus 2011 zu lesen, sowie Werbespots und einer Plakatkampagne zu entnehmen. Aber nicht nur Deutschland selbst habe ein Interesse an aktuellen Daten, sondern auch die EU möchte in Zukunft alle zehn Jahre über aktuelle Daten verfügen. Eine Weigerung gegen die Volkszählung, wie 2000/2001 in Deutschland und Schweden geschehen, ist aufgrund des 2009 eingeführten Zensusgesetzes jedoch nicht mehr möglich. Das Gesetz legt das Verfahren zur Durchführung des Zensus fest.
Michael Ebeling vom AK Zensus formulierte im Gespräch mit politik-digital.de drei Hauptkritikpunkte am Zensus 2011. Erstens sei die Informationsweitergabe seitens der Behörden zu wenig und zu spät erfolgt. Schon seit dem Jahr 2008 sind ohne Wissen der Bevölkerung personenbezogene Daten zusammengeführt worden, wodurch bereits eine große Datenbank mit sensiblen Informationen angelegt worden ist.
Der zweite vom AK Zensus kritisierte Punkt ist die zwischenzeitlich nicht anonymisierte Datenerfassung und die Speicherung der Daten für vier Jahre. Hierin wird ein Risiko für möglichen Missbrauch gesehen. Dem entgegnet das Statistische Bundesamt, dass die Daten strengsten Datenschutz- und Datensicherheits-bestimmungen unterliegen. Ebenfalls müsse in der Statistik zwischen Erhebungs- und Hilfsmerkmalen, wie Name und Anschrift, unterschieden werden. Letztere sind für eine Zuordnung der Daten nötig und werden nach einer Frist von maximal 48 Monaten (nach § 19 Zensusgesetz 2011) gelöscht. Eine frühere Löschung kann dann erfolgen, wenn die Daten für weitere Schritte nicht mehr gebraucht werden, das heißt, sobald bei den statistischen Ämtern die Überprüfung der Erhebungs- und Hilfsmerkmale auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist.
Der dritte Kritikpunkt des AK Zensus bezieht sich auf die Erfassung spezieller Bevölkerungsschichten, wie „Menschen mit Migrationshintergrund, Andersgläubige bzw. Islamgläubige, Gefängnisinsassen, Obdachlose, Flüchtlinge, Asylbewerber, Menschen in Behinderten-, Alten- und Studentenwohnheimen.“ Da diese Aspekte in den Fragebögen gesondert abgefragt werden, sieht der AK Zensus hier eine Gefahr der Re-Identifizierung bzw. ungenügenden Anonymisierung.
An der Kritik wird deutlich, was sich der AK wünscht oder gewünscht hätte. Darüber hinaus hätte das Statistische Bundesamt nach Ansicht des AK Zensus stärker nach Alternativen für die Datenerhebung suchen und bei der Bekanntmachung „offene und ehrliche Aufklärungspolitik“ betreiben sollen. So ist das Thema der diesjährigen Volkszählung in der Bevölkerung bisher kaum präsent.
Schaut man sich den Internetauftritt des Zensus 2011 an, ist dieser klar gestaltet und mit interaktiven Elementen versehen, wie Videos, Diskussionsmöglichkeiten und Musterfragebögen. Man wolle, so das Statistische Bundesamt, „eine zielgruppengerechte, ansprechend aufgebaute und visualisierte, klar gegliederte Information“ liefern. Der AK Zensus hingegen fordert eine „wirkliche Transparenz und tatsächliche Interaktivität“. Dazu gehören eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung über den Nutzen und die Kosten des Zensus und gleichzeitig eine moderne Volkszählung ohne Differenzierung zwischen den Menschen und ohne Androhung und Verfügung von Buß- und Zwangsgeldern.
Dem Medium Internet wird für die Informationskampagne eine große Bedeutung zugeschrieben, „da es verschiedene Möglichkeiten bietet, ein sehr komplexes und vielschichtiges Thema aufzuarbeiten“, so Daniela Vollmann vom Statistischen Bundesamt. Dabei soll die Homepage www.zensus2011.de drei Aufgaben erfüllen: „umfassende Information, Dialogmöglichkeiten mit den Nutzerinnen und Nutzern und Funktionalität zur Beantwortung der Zensus-Fragebögen über das Internet“. So ist auf jedem Bogen ein Verweis darauf zu finden, dass dieser auch online ausgefüllt werden kann. Damit wolle man jedem Auskunftspflichtigen die Möglichkeit bieten, „komfortabel und portofrei aber dennoch sicher seiner Auskunftspflicht“ nachzukommen.
Der Zensus kommt und wird Deutschland ein Stück weit durchsichtiger machen, auch wenn die Gegner mit verschiedenen Aktionen mobil machen. Ob mithilfe der erfassten Zahlen in Zukunft Studienplätze, Wohnungen und Verkehr besser steuerbar sind, wird erst im Nachhinein verifiziert werden können.