Balken über den Worten "Big Brother is watching !"Darf der Iran Michelle Obamas Kleid retuschieren? Darf Facebook das Penis-Cover vom Zeitmagazin löschen und ist die Sperrung von Kinderpornographieseiten eigentlich Zensur? Das Internet im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Zensur war vergangenen Mittwoch Thema im Digitalen Salon in Berlin.
Wenn sie den Grad der Meinungsfreiheit in Schulnoten ausdrücken müsste, würde die Kommunikationswissenschaftlerin Saskia Sell dem Internet ein „noch befriedigend“ geben. Hauke Gierow von Reporter ohne Grenzen findet hingegen, dass Internet sei eigentlich nur zu Beginn seiner Entstehung wirklich frei gewesen und Jörg Leichtfried, österreichischer Jurist und EU- Parlamentarier, beobachtet einen Trend in Richtung Einschränkung von Informationsfreiheit.
Obwohl die Brisanz des Themas und die große Bandbreite der Gäste eine hitzige Diskussion verspricht, entpuppt sich der Abend als eher lauwarm und wenig konfrontativ. Trotz provokanter Fragen der Moderatorin Marlies Schaum gibt es insgesamt wenig differierende Positionen.
Facebook: privater oder öffentlicher Raum?
Einigkeit besteht in der Talkrunde bereits zu Beginn darüber, dass im Internet ein „Raumproblem“ herrsche. Für Hauke Gierow ist die Auseinandersetzung mit quasi-öffentlichen Räumem wie Facebook daher besonders problematisch, aber auch wichtig und zentral. Der Jurist Leichtfried bestätigt die Uneindeutigkeit der Grenze zwischen privater Diskussionsplattform und öffentlichem Raum im Netz. Dabei sei Facebook aber schon nicht mehr als privater Raum zu bezeichnen und müsste folglich mit Maßstäben des Öffentlichen Rechts gemessen werden.
De Facto behält Facebook sich aber vor, über Löschung und Zensur von Inhalten zu entscheiden, wie im Falle des Penis-Covers vom Zeit Magazin. Auf besagtem Cover war ein nackter Mann mit entblößtem Genital zu sehen, was nicht auf der Facebook- Fanseite des Magazins gezeigt werden durfte. FU Berlin- Promovendin Saskia Sell lehnt solche Eingriffe ab und auch Hauke Gierow gibt zu bedenken, dass Zensur durch Facebook insbesondere für kleine Zeitungen ein Problem darstellt, wenn diese das soziale Netzwerk als zentralen Distributionskanal nutzen.
Zensur von „unerwünschten Inhalten“
Wo also beginnt eigentlich die Zensur im Netz? Moderatorin Schaum spitzt zu und fragt, ob rechtsradikale oder kinderpornographische Inhalte aus dem Netz gelöscht werden müssten.
Hier ergibt sich die erste Kontroverse zwischen den DiskussionsteilnehmerInnen. Für Gierow ist die Löschung von Inhalten legitim, wenn sie eine Rechtsverletzung darstellen und darüber in einem gerichtlichen Prozess entschieden wurde. Für Sell hängt die Legitimität von Zensur vom Inhalt ab, über den sie allerdings sehr differenziert urteilt. So befürwortet sie zwar die Löschung kinderpornografischer Inhalte, ist aber bei rechtsradikalen Seiten unsicher, da diese auch zu Informationszwecken von politischen Gegnern dienen könnten. Außerdem sieht sie bei einem Verbot rechtsradikaler Inhalte die Gefahr einer vermehrten Aktivität im Untergrund, ein Phänomen, das auch im Zusammenhang mit dem NPD Verbotsverfahren immer wieder diskutiert wird.
Auf die grundsätzliche und provokante Frage, ob sie denn politische Propaganda im Netz in Ordnung fände, lautet Sells Antwort: „ So gesehen, ja.“ Als die Moderatorin daraufhin in die Runde fragt, wer noch politische Propaganda im Netz befürworte, meldet sich allerdings so gut wie niemand der anwesenden Zuschauer. Ein junger Mann im Publikum weist jedoch darauf hin, dass der Ausdruck „Political Campaigning“ sicherlich mehr Zustimmung finden dürfte als der negativ besetzte Begriff „Propaganda“. Aber ist am Ende Campaigning dasselbe wie Propaganda? Und kann der Inhalt von Internetseiten wirklich als Gradmesser für die Legitimität von Zensur dienen? Diese Fragen werden in der weiteren Diskussion leider nicht genauer erörtert.
Meinungsfreiheit jenseits der Demokratie
Gierow argumentiert stattdessen mit dem Wesen von Demokratie: „Demokratie bedeutet ja auch, dass man gewisse Meinungen, mit denen man nicht konform geht, aushalten muss.“ Außerdem plädiert er grundsätzlich für Netzneutralität und eine Gleichbehandlung aller Inhalte im Netz.
Das Stichwort Demokratie verweist auf ein weiteres Problem mit der Meinungsfreiheit im Internet. Nicht-demokratische Länder wie China oder Nordkorea sind für Zensur und Löschung von Inhalten bekannt, die nicht mit der nationalen Ideologie konform gehen . Als Beispiel nennt die Moderatorin das jüngst vom Iran retuschierte Kleid, welches Michelle Obama auf der Oscarverleihung trug. Das zugegeben eher harmlose Zensurbeispiel im Kontext autoritärer und diktatorischer Staaten wird von den Salon-Gästen dann auch wenig kommentiert. Saskia Sell verweist darauf, dass durchaus auch westliche Rechtsstaaten wie die USA gerne mal die Meinungsfreiheit einschränken und Hauke Gierow nennt die Seite Chilling Effects, auf der Löschanfragen im Internet weltweit dokumentiert werden.
Zukunft der Internetfreiheit
Damit ist dann auch der letzte Punkt der Diskussionsrunde eingeläutet: Was können wir eigentlich tun? Was kann in einer Zeit getan werden, in der unsere Daten in den Händen von vier großen Unternehmen namens Apple, Google, Facebook und Amazon liegen?
Insbesondere der Referent für Informationsfreiheit Gierow hat dazu einige Lösungsideen parat. Er wünscht sich zum einen, dass jeder und jede von uns die Freiheit des Internets in Online- wie Offline-Netzwerken vertritt, um so für eine größere Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber dem Thema zu sorgen. Zum anderen verweist er auf die in den USA populäre Software TOR, mit der Zensur mittels Anonymisierung erfolgreich umgangen werden kann. Aufgrund der Langsamkeit politischer Prozesse setzt Saskia Sell in puncto Zensurbekämpfung ebenfalls eher auf die Technik des Chaos Computer Clubs als auf die Politik, was der Abgeordnete der österreichischen Sozialdemokraten Leichtfried natürlich anders sieht. Er ist sich sicher: „Wer möchte, dass sich etwas ändert, der soll einfach anders wählen.“

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