Lea besucht die 10. Klasse eines Berliner Gymnasiums. Auch wenn Schulen die Digitalisierung technisch und inhaltlich aufgreifen: Bis zu einer gelungenen Umsetzung ist es noch ein weiter Weg, findet sie und schlägt einige Verbesserungsmöglichkeiten vor.

Man könnte meinen, die Ausstattung an digitalen Lehrmitteln kann im Jahr 2017, neben z.B. der Leistung, der Atmosphäre und des Lernklimas, als weiteres Auswahlkriterium bei der Wahl der richtigen Schule aufgelistet werden. Doch schaut man sich die Realität in den Schulen an, neigt man eher dazu, die Aussage zurückzunehmen als man “Schule” sagen kann. So ist es auch an der Schule, die ich besuche.

Ausstattung: Theorie und Wirklichkeit

Auf der Website des John-Lennon-Gymnasiums (JLG) findet man unter dem Themenfeld Informatikunterricht folgende Auflistung der “umfangreichen Ausstattung von Unterrichtsmaterialien”:

  1. Zwei Fachräume für Kurse und Gruppen
  2. Insgesamt ca. 150 Computer
  3. Einen logoDIDACT-Server
  4. Freies Internet inkl. WLAN
  5. Druckmöglichkeit in jedem Raum
  6. SMART-Boards
  7. Lego-Mindstorms-Roboter
  8. Office-Pakete
  9. Bildbearbeitung
  10. Komposition

Warum ich immer noch finde, dass das JLG trotz der aufgeführten Ausstattung nicht an vorderster Front der digitalen Revolution steht? Weil man den oben genannten Versprechen leider nicht zu viel Glauben schenken kann. Wenn ich die Liste durchgehe, habe ich bei fast jedem Punkt etwas anzumerken.

  1. Ich zähle insgesamt drei Räume, die  jeweils mit ca.16 Computern ausgestattet sind – alle drei also für Kurse und Gruppen (in 2×16 Schüler aufgeteilte Klassen) geeignet.
  2. In der ganzen Schule? Grob aufgerundet, ja. Für den Informatikunterricht? Nein, das sind max. 75.
  3. Kein WLAN verfügbar. Für niemanden.
  4. In nur drei für Schüler zugänglichen Räumen befindet sich jeweils ein Drucker.
  5. Ja, mit dem kann aber kaum ein Lehrer umgehen.
  6. Noch nie von gehört.
  7. LibreOffice

Doch wie könnte man dafür sorgen, dass das JLG sogar als Vorreiter*in der digitalen Berliner Schulen gelten kann? Wie wäre es beispielsweise, wenn die Lehrer SMART-Board-Unterricht bekommen würden? Ich weiß ja nicht, in welchen Themen die Lehrer*innen bei ihren Fortbildungen weitergebildet werden (ein Fall von fehlender Transparenz? ), aber besser mit dem SMART-Board können sie danach nicht umgehen.

Eine Idee: Mehr Zeit für digitales Lernen

Ab dem ersten Tag am JLG hat man sogenannte Silentien (lat.: silentium = Stille, Leise sein), in der Grundschule würde man Hausaufgabenstunde dazu sagen – es ist aber Pflicht hinzugehen. Man bekommt Zeit Hausaufgaben zu machen, Projekte zu organisieren und es steht ein*e Lehrer*in für Fragen zur Verfügung – doch das beste: Man darf Musik hören. Alles natürlich in einer gemäßigten Lautstärke, in der jeder gut arbeiten kann. Liege ich richtig und Sie denken gerade was für eine ausgeklügelte Idee? Die Idee mag sich zwar gut anhören, doch praktisch gesehen ist sie (aus Sicht einer Schülerin, die drei Jahre Silentium hinter sich hat), gelinde gesagt, ausbaufähig. An dem Konzept der Silentien können wir aber arbeiten und es als Impuls nutzen.

Ich hatte nämlich eine Idee. Eine gute Idee. Vielleicht ist sie nur so gut wie die Idee des Silentiums selbst, doch wenn nicht, ist sie womöglich eine der besten Ideen, die ich jemals hatte.

Mir ist aufgefallen, weshalb unsere Schule 150 Computer hat. Zuerst dachte ich, damit wären die Computer in den Klassenräumen und den Computerräumen gemeint, das wären aber höchstens 130. Dann sind mir die MacBooks in den Sinn gekommen. Im Musik-Vorbereitungsraum liegen nämlich mehrere MacBooks. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann wir die das letzte Mal benutzt haben, ich kann nur soviel sagen: es ist lange her. Doch wie komme ich jetzt vom Thema Silentium zum Thema MacBooks?

Genau.

Seit der siebten Klasse sehe ich die Silentien als etwas Unnötiges. Wäre es ein freiwilliges Angebot gewesen, hätte ich dankend abgelehnt. Ich kann mich in dieser Umgebung nur schwer konzentrieren und – was eines der wichtigsten Argumente ist, ich aber noch nicht genannt habe – wir haben gar keine Hausaufgaben. Richtig gelesen. Irgendwann in der achten Klasse kamen die Lehrer plötzlich mit der Aussage “Hausaufgaben dürfen wir euch ja keine mehr geben, also besprechen wir das in der nächsten Woche. Schönen Tag noch”. Soweit ich weiß, war der Grund der, dass wir eine Ganztagsschule sind und wir schon genug Zeit mit der Schule verbringen und deshalb keine Hausaufgaben mehr zuhause machen sollten.

Dennoch müssen wir also zwei Stunden in der Woche länger bleiben, um Hausaufgaben zu machen, die wir nicht aufhaben, weil die Schule möchte, dass wir in unserer freien Zeit etwas anderes machen können als Hausaufgaben.

“Wem langweilig ist, der kann die Silentium-Aufgaben machen.” Eine weitere Idee der Lehrer*innen: Falls einem Kind langweilig werden sollte, kann es die sogenannten Silentium-Aufgaben machen. Doch wer macht in dem Alter schon solche unnötigen,  freiwilligen Aufgaben?

Um den Kreis zu schließen: Wie wäre es, wenn einer Klasse für das Silentium die vorhandenen aber ungenutzten MacBooks zur Verfügung stehen würden? So könnte man (neben den Vokabeln) die einzigen entstehenden Hausaufgaben – nämlich Präsentationen – in der Schule erstellen und vorbereiten und hätte wirklich mehr Freizeit.

Hürden des Alltags und (einfache) Lösungen

Ein paar von uns kamen sogar auch schon in den Genuss digital arbeiten zu können. Aufgrund dessen, dass das English-Debating-Silentium (ein optionales Silentium, in dem auf Englisch debattiert wird) einen Austausch mit einer israelischen Schule organisieren konnte, wurde den Teilnehmer*innen das WLAN auf dem Smartphone zugänglich gemacht, damit sie mit ihren Austauschschüler*innen über Skype kommunizieren konnten. Ein nicht überraschendes Resultat: Vieles ging erheblich leichter. Aber alles hat auch seine Schattenseite: Mit Ende des Kurses im neuen Schuljahr ging dann auch die Möglichkeit wieder verloren, das WLAN zu nutzen und dieser “Entzug” fällt nicht nur mir schwer.

Das JLG nutzt die Anwendungen WebUntis und itslearning. Das erste ist ein Programm, das am Computer wie am Smartphone nutzbar ist und für den Vertretungsplan eingesetzt wird. Es läuft – wie könnte es anders sein– übers Internet. Hat man also keine Lust seine persönlichen mobilen Daten dafür einzusetzen, den Vertretungsplan aufzurufen, ist man aufgeschmissen. Um dem entgegenzusteuern wurde im vergangenen Jahr im Foyer ein Monitor angebracht, welcher in Endlosschleife den Vertretungsplan für alle sichtbar macht. Man wartet mehrere Minuten und steht den anderen Schülern im Weg, um dann am Ende zu sehen, dass du entweder keine Vertretung hast oder du siehst endlich deine Klasse, was heißt der Unterricht wird vertreten, du möchtest ein Foto machen und der Monitor springt zur nächsten Seite – nochmal alles von Anfang.

Itslearning ist eine Lernplattform, mit einem ähnlichen Prinzip wie Dropbox. Sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen haben hierfür einen Account. Die Lehrer*innen haben die Möglichkeit, die im Unterricht genutzten Arbeitsblätter und die während des Unterricht entstandenen SMART-Board Folien, aber auch die für die kommende Woche anstehenden Aufgaben dort hochzuladen, so dass die Schüler*innen auch zuhause nochmal die Chance bekommen, das Thema zu verinnerlichen – wenn eine WLAN-Verbindung im Schulgebäude vorhanden ist.

Kommen wir zum letzten verbesserungswürdigen Punkt der “digitalen Revolution” am JLG, ein wenig paradox, aber dennoch: der Informationstechnische Grundkurs. Auf der Website, erneut beim Themenfeld Informatik, ist folgendes aufgeführt:
Alle Schülerinnen und Schüler nehmen in Klasse 7 am ITG-Kurs im Umfang von einer Wochenstunde teil. Schwerpunkte:

  • Aufbau und Arbeitsweise von Computern
  • Nutzung von Standardsoftware (Textverarbeitung, Präsentationssoftware, …) (sic!)
  • Informationsbearbeitung (Text, Bild, Video, Audio)
  • Leben in vernetzten Systemen (lokale Netzwerke, Internet, Kommunikation)

Was ich wirklich in ITG gelernt habe? Wie ich eine Präsentation erstelle. Man könnte als Argument jetzt sagen “Jetzt mach mal halblang, Lea, die 7. Klasse ist für dich jetzt ganze drei Jahre her. Bist du ganz sicher, dass du nicht vielleicht etwas vergessen hast?” Ganz sicher. Ich habe die jetzigen Siebtklässler gefragt und welche von den Schwerpunkten, die auf der Website aufgelistet wurden, werden wirklich behandelt? Nutzung von Standardsoftware – mit dem Fokus auf der Präsentationssoftware. Meiner Meinung nach sollte dieses Jahr besser genutzt und mindestens zwei Punkte der oben genannten Themen gelehrt werden. Wenn man sich aus Zeitmangel darauf beschränkt, Gymnasium taugliche Präsentationskonzepte zu vermitteln, sollte man vielleicht zusätzlich in der 8. Klasse ITG einführen.

Das JLG, Digitalisierung & Meinung bilden

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Natürlich ist nicht alles an dem Gymnasium schlecht, es gibt ja auch einen Grund, weshalb ich mich für dieses und kein anderes entschieden habe und weshalb ich nach drei Jahren noch nicht die Schule gewechselt habe.
Neben den Tatsachen, dass es hoch ausgezeichnet, weltbekannt, umweltfreundlich und sozial ist, ist es auch eines der Gymnasien, dass sich darum sorgt, dass die Schüler alle Themen theoretisch und praktisch gelehrt bekommen. Nach dem Motto “learning by doing”. Falls dies aber den Rahmen der Möglichkeiten sprengt, bekommen die Schüler die Gelegenheit die Stationen zu besuchen. Orte, an denen man Mathe-, Physik- oder Französischprobleme mit einer oder einem Expert*in (beispielsweise Lehrer*in oder ehemalige Schüler*in, die jetzt studieren) besprechen kann, abhängig von der jeweiligen Station.
Im Herbst findet das alljährliche Filmfestival statt, die Gewinner bekommen hoch angesehene Preise und den Wanderpokal “Goldener John”. Fast noch besser ist der Preis, den die sportlichste Klasse am Ende des Schuljahres verliehen bekommt. Der Schulleiter Herr Dr. Pfeifer sorgt außerdem noch dafür, dass die Zehntklässler*in eine gute Chance auf ein Auslandsjahr(-stipendium) in der elften Klasse haben.

Doch ganz können wir die Digitalisierung eben auch nicht vergessen.

Ich gehöre zu den Menschen, die der Meinung sind, dass die Digitalisierung sowohl positive als auch negative Seiten hat und man beide nicht aus den Augen verlieren sollte. Der richtige Umgang ist wichtig und die Schule ist neben dem Zuhause der erste Ort, an dem man als Kind in den Kontakt mit der Digitalisierung kommt. Die Lehrer*in erwarten von uns ab der 7. Klasse, dass wir uns selbst immer eine eigene Meinungen bilden, Meinungen bilden, Meinungen bilden. Natürlich belegt mit passenden Argumenten. Dies sei “wichtig fürs Abi”. Sollte man aber nicht auch den Schüler*innen die Chance geben, sich eine Meinung über die Digitalisierung bilden zu können? Und denen, die sich bereits eine Meinung gebildet haben, die Chance, sie zu bestärken oder vielleicht zu ändern?

Hier sollten die Schulen besondere Anstrengungen entwickeln, da eins ganz sicher ist: die Digitalisierung wird uns auf die eine oder andere Weise unser gesamtes weiteres Leben begleiten. Hierfür zu lernen macht einfach Sinn.

Titelbild: Wall Clock by Alexandra Stan via mystock.photosCC0

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