Jugend_cropEin Leben ohne Smartphone oder Tablet? Für die meisten Teenager mittlerweile unvorstellbar. Politische Partizipation von Jugendlichen ganz ohne Internet ist deshalb fast ebenso unvorstellbar. Die Initiative youthpart #lokal hat Kommunen bei der Einführung von ePartizipation begleitet – und sagt anderen Gemeinden in einem Leitfaden, wie’s geht.

Die Jugend war noch nie so wahlmüde wie jetzt – das zeigt ein Blick auf die Statistik. Bei der letzten Europawahl zum Beispiel machten in Berlin lediglich 23,6 Prozent der Erstwähler ihr Kreuz in der Wahlkabine, bei der Landtagswahl in Bayern waren es nur 40 Prozent. Aber auch in Sachen Politik gilt: früh übt sich. Immer mehr Kommunen möchten Jugendliche deshalb in den politischen Entscheidungsfindungsprozess einbeziehen. Die Zeiten von Jugendparlament und Stimmzettelauszählungen im Jugendhaus sind jedoch (fast) vorüber. Um kommunale Politik für junge Menschen attraktiv zu machen, müssen diese da abgeholt werden, wo sie sowieso schon sind: in der digitalen Welt. Aus diesem Grund hat die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gemeinsam mit der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. das Modellprojekt youthpart #lokal ins Leben gerufen, das fünf Kommunen und einen Landkreis über einen Zeitraum von zwei Jahren bei der Einführung von ePartizipation auf kommunaler Ebene unterstützte. In einem Leitfaden wurden Anfang des Jahres die Ergebnisse des Projekts veröffentlicht – Nachahmung ausdrücklich erwünscht.

Die Vorteile, die das „e” vor der Partizipation mit sich bringt, liegen auf der Hand: Die Beteiligung ist weder an Ort noch Zeit gebunden – vor allem in ländlichen Gebieten mit schlecht ausgebautem Nahverkehr ist das ein Vorteil. Zudem ist der Entscheidungsfindungsprozess transparenter und man hofft, im Netz auch die Jugendlichen anzusprechen, die normalerweise kein großes Interesse an Kommunalpolitik haben. Der Zugang zu den „digital natives”, die in fast jeder wachen Minute surfen und simsen, ist online deutlich einfacher als offline. Ein Selbstläufer ist eParizipation trotzdem nicht. Während das Auszählen analoger Stimmzettel entfällt und von einer Software übernommen wird, braucht es nun Personal, um die neue eBeteiligung zu  verankern. Und politikferne Teenager finden Kommunalpolitik nicht plötzlich hip, bloß weil sie jetzt im Internet praktiziert wird. Deshalb sind sich Sozialarbeiter und Jugendliche der beteiligten Gemeinden einig: Jugendbeteiligung braucht eine Kombination aus online und offline.

Natürlich muss jede Kommune ihren eigenen Weg finden, was diese Kombination betrifft – doch in den Modellprogrammen hat sich ein ähnliches Schema etabliert. Nach einer offline Kick-Off-Veranstaltung, in der das Projekt möglichst aufmerksamkeitserregend vorgestellt wird, werden in einer Ideenwerkstatt Themen gesammelt, über die dann online debattiert und abgestimmt werden kann. Die Qualität der Diskussion ist dabei auch von der Online-Moderation abhängig, die Vorschläge zeitnah aufgreifen muss und anregen soll, diese weiter auszuarbeiten. In einem Abschlussevent zum Ende der Online-Phase können alle interessierten Stakeholder dann über die Ergebnisse des Projekts in Kenntnis gesetzt werden. Hier sind Podiumsgespräche und Jurysitzungen mit Vertretern der Politik denkbar – es kann aber auch zu einem ganz ungezwungenen Austausch am Grill kommen.

Nichts muss, alles kann

Wie die ePartizipation konkret aussieht? Prinzipiell ist alles möglich: Gefällt-mir-Klicks auf Facebook für ein erstes Stimmungsbild, Handy-Chats zur Verabredung von Offline-Treffen, Beteiligungsplattformen im Netz um Ideen konkreter auszuarbeiten. Soziale Netzwerke wie Facebook haben dabei einen entscheidenden Vorteil: die Jugendliche nutzen sie ohnehin täglich, die Schwelle, selbst aktiv aktiv zu werden ist hier also besonders niedrig. Allerdings ist der Datenschutz in den sozialen Medien mangelhaft, sie basieren nicht auf Open-Source Software und können zudem nicht mit allen Möglichkeiten aufwarten, die Beteiligungsplattformen wie ypart.eu bieten.  Dort können die Jugendlichen vorschlagen, was in ihrer Kommune verbessert werden soll, die anderen Teenager stimmen dann für oder gegen ein bestimmtes Vorhaben und können – gemeinsam mit den Jugendpflegern – Vor- und Nachteile diskutieren. Auch Offline-Termine werden hier angekündigt und auf einer interaktiven Karte kann nachvollzogen werden, wo im Ort die diskutierten „Problemstellen” zu finden sind. Von einer neuen Lichtanlage auf dem Sportplatz über den Wunsch nach einem Fitnessstudio oder Schülercafé bis hin zur Forderung von besseren Busverbindungen – die Vorschläge der Jugendlichen sind relativ vernünftig, sie wissen selbst, dass ePartizipation kein Wunschkonzert ist.  Das Interesse, die eigenen Interessen online aktiv mitzugestalten, war in den Projektgemeinden trotzdem groß – und flachte dann ebenso schnell wieder ab, die Aktivität auf der Plattform war schließlich gering. Deshalb bietet sich eine Kombination der verschiedenen digitalen Medien an, um die Jugendlichen bei der Stange zu halten: In Offenbach etwa ging man dazu über, in einer Facebookgruppe immer wieder Beiträge auf ypart.eu zu verlinken, um permanent präsent zu sein. Dann, so Jugendpfleger Mike Bourquin, sei die ePartizipation auf jeden Fall ein Zugewinn. Bereits seit 2006 setzt er in Offenbach auf Jugendbeteiligung, geht in Schulen und erarbeitet Themen. Die Diskussion hinterher aufrecht zu erhalten ist offline aber besonders schwierig – durch die Kommunikation im Netz wird das erheblich erleichtert.

Getan hat sich in Offenbach seit dem Start des Projekts einiges. Bourquin berichtet, dass der Schulweg sicherer gestaltet werden konnte, was vor allem den jüngeren Kindern ein Anliegen war. In den Büchereien werden Neuanschaffungen nun nach dem Bedarf der Jugendlichen ermittelt und auch der Ruf nach einem Kino verhallte nicht unbeantwortet – am kommenden Samstag sind die Jugendlichen zum ersten Mal eingeladen, Filme auf der Leinwand ihres eigenen Dorfkinos zu schauen. Über Spenden konnte die Bürgerstiftung einen Projektor kaufen, mit dem nun die Ortsteile abgeklappert werden. Ein Fitnessplatz für Urban Training stand auch ganz oben auf der Wunschliste Offenbacher Jugendlicher. Dieser sollte eigentlich schon letztes Jahr Realität werden – bis die Mittel gestrichen wurden. Jetzt konnte zumindest erreicht werden, dass die Jugendlichen noch einmal angehört werden. Sowieso: die Jugendlichen werden ernst genommen. Alle Vorschläge werden vom Jugendpfleger geprüft, und wenn sie realisierbar sind direkt an den Gemeinderat weitergeleitet, der dann verhandelt.

Jugendträume: Filme und Fitness

Die Modellprojekte haben gezeigt, dass verbindlich eingeplante zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen für die Implementierung der ePartizipation unabdingbar sind. Darüber hinaus braucht es fachliche Kompetenzen und die Antwort auf die Frage, was Jugendbeteiligung eigentlich konkret bedeutet. Und vor allem: Mut zur Veränderung. Denn im Idealfall bezieht sich die Jugendbeteiligung nicht nur auf einzelne Projekte, sondern wird als langfristiger Prozess verstanden, der die ganze Kommune verändert – mit offenem Ergebnis. Denn auch die Gemeinden profitieren davon, wenn sie Zeit und Geld in die digitale Partizipation von Jugendlichen stecken: zum einen werden die demokratischen Kompetenzen der Jugendlichen und die Zusammenarbeit verschiedener Generationen gestärkt, zum anderen werden sie stärker an ihre Heimatregion gebunden und können sich mit dieser identifizieren. Das macht vor allem in ländlichen Gemeinden mit Bevölkerungsschwund Sinn: Wenn ich mich engagiere und über die Geschehnisse vor Ort informiert bin, werde ich später vielleicht wieder dorthin zurück kehren – oder erst gar nicht weg ziehen. Die Jugendbeteiligung kann außerdem innovative Ideen zur Lösung kommunaler Herausforderungen hervorbringen – Bauvorhaben können so zum Beispiel passgenauer geplant werden, Vandalismus wird vermieden. Unterstützung bekamen die teilnehmenden Kommunen von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Ein Prozessbegleiter gab den Beteiligten vor Ort Tipps, zum Beispiel zur richtigen Online-Kommunikation. Außerdem bildete er Jugendliche zu Moderatoren aus.

Das Modellprojekt youthpart #lokal ist offiziell zu Ende; zumindest in Offenbach wird die ePartizipation aber fortgeführt. Ypart.eu konnte im Laufe des Projekts verbessert und jugendgerechter gestaltet werden, mittlerweile ist es zum Beispiel  möglich, sich mit einem Facebook-Account einzuloggen. Anfangs wurde die Plattform auch wenig genutzt, weil die Jugendlichen zu Hause kaum am Rechner sitzen sondern fast ausschließlich übers Smartphone surfen. Deshalb wurde die Website so modifiziert, dass sie auch auf mobilen Endgeräten genutzt werden kann. Noch besser wäre natürlich eine App – die ist bereits in Planung.

youthpart #lokal – kommunale Jugendbeteiligung war eine Initiative der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gemeinsam mit IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit e. V., gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Verein   Liquid Democracy unterstützte und beriet die Modellkommunen in der Arbeit mit der Online-Anwendung ypart.eu.

Bild: hackNY.org

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