TelavivskylineBerlin gilt derzeit als eine der meist gehypten Start-up Szenen weltweit. Dabei fehlt noch einiges, um die Spitzenposition überhaupt erst einmal im europäischen Vergleich einzunehmen. Vor allem der Zugang zu Kapital gestaltet sich immer wieder schwierig. Tel Aviv ist bereits da, wo Berlin noch hinwill. Das „Silicon Wadi“ gilt nach dem amerikanischen Silicon Valley als gründungsfreudigstes Gebiet der Welt. Über die Merkmale der israelischen Gründerkultur haben wir uns mit der Handelsbeauftragten der israelischen Botschaft Hemdat Sagi unterhalten.

Fast schon symptomatisch aus deutscher Perspektive wollten wir erst mal wissen, welche politischen Schritte unternommen wurden, um die Entstehung solch eines florierenden Ökosystems anzuschieben. „Eco-system“ ist in der Start-up Branche ein viel zitierter Begriff, der das funktionierende Zusammenspiel von Gründern und Investoren bei günstigen Rahmenbedingungen beschreibt. Das hat in Tel Aviv geklappt, doch in Berlin tun sich viele Beteiligte noch schwer mit dem Ausdruck. Das liegt unter anderem an fehlenden Investitionen. Die können und sollen zwar nicht nur vom Staat kommen, aber um Prozesse anzustoßen haben sie sich in Israel bewährt. Bereits 1993 setzte Israel das Programm „Yozma“ („Initiative“) auf, um durch teilstaatliche Finanzierungen Venture Capital (VC) in den Hightech-Sektor zu locken. Das hat laut Sagi „die VC-Community in Israel auf ein neues Level gehoben und ein investitionsfreudiges Klima erschaffen“. Dafür waren übrigens gerade einmal 100 Millionen Dollar notwendig. Ein vergleichsweise kleiner Betrag angesichts der spürbaren Auswirkungen. Dazu lohnt sich ein Blick auf die Infobox.

„Risikobereitschaft ist Teil der israelischen Kultur“

Start-up Country Israel im weltweiten Ranking

  • #1 Start-ups pro Einwohner
  • #2 Start-ups absolut
  • #1 Risikokapital pro Einwohner
  • #1 Ausgaben für Forschung & Entwicklung pro Einwohner
  • #1 Patentanmeldungen pro Einwohner
  • #3 an der NASDAQ gelistete Unternehmen

Noch immer investiert der israelische Staat eine ganze Menge. Das eigens für Entwicklungsförderung geschaffene Office of the Chief Scientist verfügt über ein jährliches Budget von rund 350 Millionen Euro. Die Unterstützung kommt in erster Linie Unternehmen und Start-ups für die Produktentwicklung zugute. „Das ist meist mit hohen Risiken verbunden“, weiß auch Sagi. Doch das sei irgendwie auch Teil der israelischen Mentalität, die sie für die Entwicklungen für mindestens genauso wichtig hält wie irgendwelche staatlichen Eingriffe: „Hier herrscht einfach eine risikofreudige Kultur.“ Apropos Kultur: „Chuzpe“ dürfe keinesfalls vergessen werden, sucht man nach den Gründen für den israelischen Erfolg. Der aus dem Jiddischen stammende Ausdruck meint laut Wikipedia „eine Mischung aus zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit, charmanter Penetranz und unwiderstehlicher Dreistigkeit.“ Die Entwicklung solch kultureller Eigenheiten führt Sagi auf die „offensichtlichen Herausforderungen“ zurück, denen die Israelis tagtäglich ausgesetzt sind, und spielt dabei auf die besondere Historie und die damit verbundene geographische Isolation Israels an.

Die Risikobereitschaft ist übrigens beidseitig. Scheitern Gründer mit ihrer ersten Idee, stehen sie nicht automatisch vor verschlossenen Türen: „Scheitern wird nicht per se als schlecht angesehen, oft sogar als positiv. Denn es sagt ja aus, dass man bereits Erfahrungen gesammelt hat“, macht Sagi den Unterschied im Investitionsklima zwischen Deutschland und Israel deutlich. Denn in Deutschland geht es den Investoren in erster Linie um die Risiken. David Zimmer, Geschäftsführer bei Inexio und von Ernst & Young zu Deutschlands Entrepreneur des Jahres 2012 gewählt, beklagte jüngst: „Wenn ich in Deutschland bei Geldgebern mein Geschäftsmodell vorstelle, rede ich 90 Prozent der Zeit über Risiken. Woanders ist das Thema in fünf Minuten abgehakt.”

Deutsche Regelwut erschwert Investitionen

Deshalb wollten wir von Sagi auch Vorschläge hören, wie man mehr Risikokapital nach Berlin locken kann. Zuschüsse vom Staat für besonders riskante Unternehmungen könnten ein Mittel sein. Doch sei es wichtiger, „Regulierungen von staatlicher Seite zu reduzieren“, um den Investoren das Leben leichter zu machen. Ein in Deutschland mit Skepsis betrachteter Ansatz, verabschieden wir im Zweifelsfall doch lieber ein Gesetz zu viel als zu wenig. Wenn teilweise sogar ausgebildete Juristen den Überblick verlieren, sollte es nicht verwundern, wenn die Gesetzeslage Investoren auch abschrecken könnte.

Doch die Rahmenbedingungen in Berlin berechtigen den Hype. Das internationale Flair lockt viele junge Menschen nach Berlin und noch immer sind die Lebenskosten vergleichsweise gering. „Jetzt geht es darum, den Hype-Zustand zu überwinden und ein nachhaltiges Ökosystem zu etablieren“, resümiert Sagi, gibt sich aber recht zuversichtlich. Denn Berlin hat mit seiner Start-up Unit im letztem Jahr eine zentrale Anlaufstelle für Gründer geschaffen, die auf einfachere Kapitalbeschaffung hoffen lässt. An Ideen mangelt es in Berlin offensichtlich nicht. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass das Silicon Valley für seine Entwicklung auch mehr als 50 Jahre benötigte. Ganz so viel Zeit sollte sich Berlin nicht lassen. Tel Aviv zeigt, dass das möglich ist.

Bild: Yoni Lerner (CC BY-SA 2.0)

 

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