(Artikel, 10.08.2006) Das Projekt KanalB aus Berlin-Kreuzberg versorgt die Öffentlichkeit seit sechs Jahren mit alternativen Informationen. Das Prinzip: Filesharing.

„Ich kann nicht mehr fernsehen“, Bärbel Schönafinger sagt’s mit einem gewissen Ekel und streicht sich eine der glatten haselnussbraunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Es deprimiert mich.“ Sie ist eine der Macherinnen von KanalB, einer eher linken als rechten Gruppe, die politisch-aktivistische Dokumentationsfilme produziert und kostenlos vertreibt. Alternative Informationen, das ist das Schlagwort ihrer Mission.

KanalB ist, was früher einmal als Video-Tauschring in Mode war. Heute ist KanalB mit seinem kleinen Glaskasten-Büro in einem Kreuzberger Hinterhaus am ehesten das, was gerne mit dem Label „kleines gallisches Dorf“ versehen wird: ein bisschen renitent, etwas rebellisch, auch eine Spur verblendet – aber immer mit Haltung. „Festung Europa“ heißt einer der letzten Filme, „War against Coca-Cola“ oder „Hartz IV-Attacke“ andere. Sozialkritische Beiträge, produziert vom eigenen Team oder allen, die was zu sagen haben wollen.

Das Prinzip: Abonnements. Vertrieben werden die Filme auch heute noch über VHS-Kassetten, DVDs gehen aber besser, beides stapelt sich in den Regalen hinter Bärbel Schönafinger im Büro mit den vielen Computerbildschirmen und der Tageslichtlampe. Die Abos gehen über linke Buchhandlungen und Programmkinos, auch ein paar Videotheken sind im Verteiler. Das meiste läuft inzwischen aber übers Internet, „seit wir einen Zähler installiert haben, wissen wir, dass gerade in letzter Zeit wahnsinnig viel runtergeladen wird. Der Hartz IV-Film mehr als 6.400 mal“ Die fünfköpfige Redaktion von KanalB entscheidet, ob die eingesandten Filme ihren Ansprüchen genügen. Hauptsache, sie bieten alternative Informationen, Wissen also, das in den „Mainstream“-Medien TV, Tageszeitung, Radio nicht zu haben ist. KanalB steht für die B-Seite von Langspielplatten, für die Alternative zum Mainstream.

Bärbel Schönafinger kam 2000 die Idee zu KanalB, damals, als sie die Nase voll hatte von ihrer Arbeit beim Fernsehen. Sie war nach ihrem Philosophiestudium bei der Postproduktion von Actionfilmen und Arztserien gelandet. Sie musste sich etwa darum kümmern, dass der Doktor im richtigen Moment „Wir konnten nichts mehr tun“ sagt, Tonschnitt nennt man das. Schönafingers Reaktion auf die heile Welt der Weißkittel: „Nach drei Jahren hatte ich den Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun.“

Jetzt sitzt sie versteckt im 4. Stock hinter unbeschrifteter Tür und erzählt, wie aus der sinnvollen Idee ein Projekt mit rund fünf Mitkämpfern geworden ist. Die grellen Tageslichtlampen ringsum sollen die Defizite ausgleichen, die die Bildschirmarbeit im dunklen Kabuff mit sich bringt. Sie bringen den Raum zum Leuchten. Der achtfache DVD-Brenner ist relativ neu, seither geht’s schneller, bis die 300-er-Auflage bereit zum Verschicken ist. Es klingelt, einer der KanalB-Fans fragt nach den aktuellsten Ausgaben. Bärbel Schönafinger gibt ihm noch eine andere DVD obendrauf, ein schnelles Fachgeplänkel, er ist Stammkunde. Er will die Beiträge rezensieren. Wer seine Zielgruppe ist, bleibt ein Rätsel. Bärbel Schönafinger setzt sich wieder zu ihrer Teetasse, „Wo waren wir?“

Sie hält ausnahmsweise alleine die Stellung. Die anderen Gruppenmitglieder haben sie nach langem Ringen vorgeschickt, eigentlich wird immer alles gemeinsam nach außen kommuniziert. Alle sprechen für alle. Es ist ein Prinzip, das als basisdemokratischer Plenums-Quatsch verlacht werden könnte. In Wirklichkeit ist es nur konsequent, gemessen am eigenen Anspruch des Projekts. Man will Entscheidungsprozesse transparent machen – die eigenen genauso wie die der globalen Entscheidungsträger. KanalB ist groß geworden im Umfeld der Globalisierungskritiker, damals nach der Demo in Seattle. Der Initiationsritus war die Tagung des Internationalen Währungsfonds in Prag, September 2000. Mit Kamera, Mikro und einer Mission waren sie vor Ort. Aus den sporadischen selbst gemachten Filmen sind regelmäßige Produktionen geworden, von 100 veröffentlichten Beiträgen sind heute etwa 60 selbst produziert, 30 von außen eingereicht.

Bärbel Schönafinger verwehrt sich gegen scheinbar offensichtliche Vergleiche. Offener Kanal? Auf keinen Fall. „Wir sind eine Plattform für alle, die etwas veröffentlichen wollen. Aber wir wählen aus, was wir gut und politisch relevant finden.“ Sie überlegt kurz, dann, pfeilschnell: „Die Kriterien: emanzipatorisch, kapitalismuskritisch, anti-autoritär, anti-rassistisch.“ In Zeiten von Citizen Journalism könnte KanalB doch auch unter die Web 2.0-Angebote gerechnet werden, eine Videopodcast-Plattform, oder? Kopfschütteln. „Die Leute kommen nicht auf unsere Website weil Bloggen jetzt in ist, es gibt einfach einen Bedarf an alternativer Information.“ Auch wenn Schönafinger und KanalB mit Web 2.0-Formaten nichts zu tun haben wollen: Viele Blogger oder Podcaster würden im Gegenzug sofort unterschreiben, dass es ihnen darum geht, alternative Informationen zu verbreiten. Die Informationshoheit der Tagesschau gilt in diesen Kreisen längst als obsolet.

Der feste Mitarbeiterstamm von KanalB hat Teilzeitjobs, KanalB ist die Mission, die die fünf in ihrer Freizeit betreiben. Den Großteil ihrer Zeit verbringen sie damit, sich eine Öffentlichkeit zu schaffen, sagt Bärbel Schönafinger und nippt an ihrem Kräutertee. Klar, sie sind Mitglied bei Creative Commons, einen Bannertausch mit der Zeitung „Junge Welt“ gab es auch schon. Das einzige, was sich als Problem entpuppen könnte, ist die pauschale Skepsis gegenüber Medien. Wo findet man eine Öffentlichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen, wenn potenziell alle zum informationskorrupten System gehören? Die Finanzierung des nächsten Filmprojekts steht noch aus, der Kampf mit den Förderanträgen beginnt jedes Mal von vorn. Beim Kampf für das Gute war ein Hang zur Schizophrenie von jeher ein Topos. Die politischen und historischen Hintergründe der alltäglichen News-Schnipsel haben ein Publikum, Bärbel Schönafinger ist sich da sicher. Dass sie weitermachen werden, ist fraglos. Ein wenig uneinsichtig aber unbeirrt. Wie sich das für ein gallisches Dorf so gehört.