Wie beeinflussen neue Kommunikationstechnologien den Dialog zwischen politischen Eliten und Bürgern? Vom 5. bis 7. Juni haben das gut 40 Wissenschaftler europaweit diskutiert.
Vom 5. bis 7. Juni fand in Brüssel die Abschlusskonferenz Governance and Democracy in the Information Age des
EU-COST-Programms statt. Mehr als 40 Wissenschaftler aus allen EU-Ländern präsentierten ihre Forschungsarbeiten über den Einfluss neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs) auf den Dialog zwischen politischen Eliten und Bürgern im Rahmen der Regierungs- und Parlamentskommunikation, durch Parteien und Interessengruppen, sowie in sozialen Bewegungen.
Was ist COST?
Die europäische Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Technik (European Co-operation in the Field of Scientific and Technical Research/COST) wurde 1971 vom Europäischen Rat geschaffen. Seit 1991 zählen auch die Sozialwissenschaften zu den 17 Arbeitsbereichen, an denen sich 34 europäische Staaten und Israel beteiligen. Unterstützt wird die Koordination und Vernetzung nationaler und internationaler Forschungsprojekte zu ausgewählten Themenbereichen, für welche sich Wissenschaftler länderübergreifend, relativ formlos und als bottom up-Initiative in Arbeitsgruppen organisieren.
Die Aktion “A14” beschäftigte sich mit der Demokratieentwicklung unter der Einwirkung von IKTs, und beinhaltete fünf Arbeitsgruppen zu Cyberdemocracy, Political Organizations, E-Government, Social Movements and Citizens, sowie Regulation and Control.
Beispielhafte Ergebnisse
Die Forschungsarbeiten bewiesen u.a., dass in ganz Europa befragte Parlamentsabgeordnete vernetzt sind, jedoch unverändert IKTs primär als internes Kommunikationsmittel im Gesetzgebungsprozess bzw. für die Parteiarbeit anwenden, während europaweit neue Medien sowohl für eine Verbesserung des interaktiven Dialogs mit den Wählern als auch bezüglich ihrer Möglichkeiten als Kampagneinstrument vernachlässigt werden.
Den Hintergrund dafür bilden auch eine – im Vergleich mit traditionellen Medien – unverändert geringe Akzeptanz der Bedeutung von IKTs für die politische Kommunikation durch die Abgeordneten, eine sehr kritische Selbsteinschätzung der mangelhaften Kompetenz von politischen Eliten für die Internetnutzung, sowie parteipolitische Interessen wider eine steigende Individualität der Abgeordneten durch von der Parteiführung nicht kontrollierbare und zentralisierbare IKTs.
Gleichzeitig werden in allen EU-Ländern von den politischen Eliten positive Konsequenzen einer Internetisierung der politischen Kommunikation – verbesserte Partizipationschancen, mehr Interaktivität mit den Bürgern, erhöhte Themenvielfalt usw. – für wahrscheinlicher gehalten als mögliche Negativfolgen wie eine fortgesetzte Fragmentierung der Öffentlichkeit, die digitale Kluft in der Informationsgesellschaft, oder die Verbreitung von (rechts-)radikalen politischen Inhalten bzw. Materialien.
Andere COST-Ergebnisse zeigen aber, dass eine solche Einschätzung der Eliten nicht zwangsläufig der Realität entspricht. Staatliche Regierungsprogramme des EU-Aktionsplans e-europe konzentrieren sich weiterhin primär auf eine Modernisierung der Verwaltungsabläufe (e-administration) und vernachlässigen die Entwicklung einer e-democracy als zweite Säule des “balanced e-governments”. IKTs leisten nicht nur im Parlament, sondern gleichermaßen für Parteien im übertragenen Sinn vorwiegend eine “Intranet”-Funktion.
Neben der Vereinfachung von parteiinternen Informationsflüssen ergibt sich eine Integrations- und Identifikationsfunktion durch die raum- und zeitunabhängige Exklusivität von IKT-Informationen für Parteimitglieder. Lediglich soziale Bewegungen im Internet verzichten auf virtuelle Exklusivität, so dass für sie IKTs das idealtypische (Inter-) Aktionsforum darstellen bzw. vice versa IKTs als potenzielles Werkzeug für eine Verbesserung der Demokratiequalität in Europa vor allem – oder fast ausschließlich? – für soziale Bewegungen geeignet scheinen.
Web Sites und Publikationen
Ein Überblick zu den Arbeiten über Governance and Democracy in the Information Age findet sich auf der Internetseite
www.demes.dk – in Zukunft wird ein Zugang auch über
www.gadia.dk möglich sein -, wobei auch Hinweise auf weiterführende Aktivitäten und Publikationen enthalten sind. Es wurden bereits bis zu zehn Bücher, sowie jeweils über 50 Beiträge sowohl in Büchern und Fachzeitschriften als auch als Arbeitspapiere bzw. Forschungsberichte für wissenschaftliche Veranstaltungen veröffentlicht.
Peter Filzmaier, Ao. Professor für Politikwissenschaft und Abteilungsleiter für Politische Bildung am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Innsbruck, war Mitglied der COST A 14-Working Group Cyberdemocracy.