Dieser Artikel erschien ursprünglich in “Redaktion”, dem Jahrbuch für Journalisten. Es ist Teil des Lokaljournalistenprogramms der
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. “Redaktion 2006” wird im Medienfachverlag Oberauer verlegt und kann über die
Drehscheibe online bestellt werden.

Auf den Zug aufgesprungen

Gerade während der Hurrikan-Katastrophe in New Orleans sind professionelle Medien auf den Citizen-Journalism-Zug aufgesprungen. Der Sender CNN bat seine Zuschauer darum, Bild- und Videomaterial einzuschicken. Die Website der Tageszeitung
„Times-Picayune” rief die Leser auf: „Erzähl’ uns deine Geschichte – Bitte teile deine Geschichte von Katrina mit uns” . Auf der inzwischen von Yahoo gekauften Website
Flickr, einer gigantischen Internet-Seite zur Präsentation und Archivierung von Fotos, waren sehr schnell Schnappschüsse vom überfluteten New Orleans zu sehen.

Netz mit menschlicher Stimme

Fast immer geht es bei Citizen-Journalism-Projekten um Community, um Gemeinschaft. Denn ein echtes Gemeinschaftsgefühl können die meisten Zeitungen, Sender und TV-Stationen ihren Konsumenten offenbar nicht mehr bieten. Craig Newmark, Gründer des Schwarzen Internet-Bretts
„Craigslist” beobachtet einen Vertrauensverlust gegenüber professionellen Medien. Seine Website, die im Oktober 2005 die Marke von drei Milliarden Seitenaufrufen pro Monat erreichte, soll dazu beitragen, dem Internet wieder zu einer „menschlichen Stimme” zu verhelfen. Privatpersonen können umsonst Kleinanzeigen, Kontaktgesuche und Diskussionsbeiträge einstellen.

Es gehe darum, anderen Menschen zu helfen, eine nicht kommerzielle Alternative zu unpersönlichen „big media”-Seiten anzubieten, sagt Newmark, der davon überzeugt ist, dass professioneller und Amateur-Journalismus in Zukunft eine stärkere Verbindung eingehen werden. „Die ganze Idee von Citizen Journalism ist, eine Gemeinschaft zu bilden”, sagt Howard Finberg, New-Media-Experte vom Poynter-Institute in Florida.

Und die Communitys sprießen. Beispielsweise in den Wikis – frei zugänglichen Informationsquellen im Internet, an denen jedermann mitarbeiten kann. So heißt es im Konzept von
Wikinews: „Wir streben an, eine freie Nachrichtenquelle zu schaffen, die jeden Menschen einlädt, Berichte über große und kleine aktuelle Ereignisse beizutragen, sei es aus direkter Erfahrung oder in Form einer Zusammenfassung aus anderen Quellen.” Zu den Prinzipien gehören Neutralität, freie Inhalte und ein „offener Entscheidungsprozess”.

Als eines der führenden Citizen-Journalism-Projekte sehen sich die Macher der Seite Backfence. In bisher drei Städten der USA in den Bundesstaaten Virginia und Maryland können Einwohner sich über die Seite miteinander austauschen. Auf der Startseite ist ein älteres Paar zu sehen, das in einer Sprechblase sagt: „Wir fragen uns, was unsere Nachbarn denken.” Die Benutzung ist umsonst und auch private Kleinanzeigen kosten nichts.

Beziehung neu definieren

Einfacher wäre es zwar, man würde selbst mal kurz in den Garten gehen, um die Nachbarn direkt nach ihrer Meinung zu fragen, aber die Zahl der Experimente und Projekte zeigt, dass offenbar ein Bedarf an solchen Angeboten besteht. Ob sich die Citizen Journalists in den USA durchsetzen, und ob der Trend auch hierzulande Fuß fassen kann, ist dennoch offen. Mehr als deutlich zeichnet sich aber ab, dass traditionelle Medien sich über ihn Beziehung zu Lesern, Hörern und Zuschauern klar werden – und diese gegebenenfalls neu definieren müssen.


Zurück zum
ersten Teil..

Dieser Artikel erschien ursprünglich in “Redaktion”, dem Jahrbuch für Journalisten. Es ist Teil des Lokaljournalistenprogramms der
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. “Redaktion 2006” wird im Medienfachverlag Oberauer verlegt und kann über die
Drehscheibe online bestellt werden.