Die überwiegende Zahl der Nachrichten-Journalisten in den USA steht den Veränderungen in der Medienwelt ablehnend oder gar fassungslos gegenüber, hat der Kommunikationswissenschaftler Adam Clayton Powell III in seiner aktuellen Untersuchung heraus-gefunden.
Adam Clayton Powell III spart nicht mit pathetischen Worten: „Historiker werden auf das frühe 21. Jahrhundert als einen Wendepunkt zurückschauen, an dem jahrzehntelange Verhaltensmuster des Lesens, Hörens und Sehens von einer neuen, mächtigen und kostengünstigen Technologie durcheinander gebracht wurden.” Powell ist Professor der Annenberg School for Communication an der University of Southern California in Los Angeles. Und hat im Oktober die Studie “Reinventing Local News: Connecting Communities Through New Technologies” vorgestellt. Fazit: „Mehr noch als überregionale Nachrichten, Politik, Sport, Unterhaltung oder Verkehrsnachrichten wollen Amerikaner lokale News.”
Defensiv und fassungslos
Powell ist als Analytiker neuer Formen von Lokaljournalismus mit der Sonderspielform Citizen Journalism eine überaus geeignete Persönlichkeit. Er ist der Sohn des prominenten Bürgerrechtlers Adam Clayton Powell Jr. und kommt zu harten Urteilen: „Zu viele Nachrichten-Journalisten stehen der Veränderung defensiv oder gar fassungslos gegenüber. Sie geben sich damit zufrieden, ihr Publikum dahinschwinden zu sehen – ihre Glaubwürdigkeit erodiert von außen durch Blogger und von innen durch Fehltritte in der Redaktion.”
Für „Reinventing Local News” untersuchte Powell lokale Nachrichten-formate im Fernsehen, Radio und Internet. Die Ergebnisse basieren auf einer einjährigen Recherche aus dem Jahr 2003. Obwohl nur elektronische Medien und keine Zeitungen zum Untersuchungs-gegenstand der Studie gehörten, lassen sich vor allem aus den Erkenntnissen über das Internet Folgerungen für die Printmedien ableiten.
Zu den wichtigsten Schlaglichtern der Studie zählen: Die besten lokalen TV-Nachrichten brachte eine Website –
SignOnSanDiego.com Die Internet-Seite der „Union Tribüne” im kalifornischen San Diego lieferte laut Untersuchung „die schnellste und umfassendste” Berichterstattung von einer Brandkatastrophe in Kalifornien im Jahr 2003 – mit eigenem Kamerateam. Umso beachtlicher, da der Zeitungsverlag keine eigene TV-Station besitzt. Online-Chef Chris Jennewein hat den Anspruch, die Nachrichtenquelle Nummer eins in der Community zu sein. Ziel sei, immer die Konkurrenten vom Fernsehen zu schlagen. SignOnSanDiego unterstützt zudem das Projekt „Envision San Diego”, eine Art kreatives virtuelles Bürgerforum.
Die besten lokalen Nachrichten im Internet fanden sich auf den Websites von Tageszeitungen – dafür seien die größeren Ressourcen verantwortlich, auf die Zeitungsredaktionen zurückgreifen könnten.
Die „mikrolokale” Berichterstattung wächst- also Nachrichten, die große Themen herunterbrechen und personalisieren.
Junge Zielgruppen haben Interesse an lokalen News – wenn sie in den Medien stattfinden, die sie nutzen (z. B. Internet oder Radio).
Lokale Nachrichten sind global – „mikrolokale” News haben eine höhere Reichweite als bisher angenommen. Lokale Nachrichten brauchen Innovation – „nicht alle Experimente glücken, aber ein Mangel an Experimentierlust führt häufig zu sinkenden Nutzerzahlen und Umsätzen”.
Powell hat bereits angekündigt, die Studie weiterzuführen, um Beispiele für innovative lokal Berichterstattung systematischer zu sammeln, und zwar weltweit. Bislang sei der Bericht noch „äußerst anekdotisch”. Die ersten Reaktionen auf die Untersuchung seien aber sehr positiv gewesen, berichtet der ehemalige TV-Manager, der als einer der wichtigste „digital leader” in den USA gilt. Der hohe Stellenwert von lokalen Nachrichten bei Zuschauern, Zuhörern und Lesern habe viele überrascht. Lokaljournalismus werde noch zu häufig als minderwertig betrachtet – ein Image, das weitgehend auf die Berichterstattung von Medienjournalisten zurückzuführen sei.
Mangelnde Beweglichkeit
Obwohl der Bedarf an Nachrichten aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Bürger groß ist, mangele den großen Medienunternehmen an Beweglichkeit kritisiert Powell. „Die müssen ihre Medien ändern wenn sie weiterhin den Stellenwert einnehmen wollen, den sie bislang hatten.”
Der Medienberater und Gründungsredakteur von msnbc.com, Merrill Brown, konkretisiert Powells Forderung. In einer Analyse des Carnegie-Repo „Abandoning the News”, der die massenhafte Abwanderung junger Leute von traditionellen Medien konstatiert, kommt Brown zu dem Schluss: „Organisationen, die mit Nachrichten handeln, müssen: über E-Mail und Instant Messaging Services mit Konsumenten Verbindung aufnehmen, sie müssen sich an virtuellen Online-Konversationen beteiligen, denn die sind ein zentraler Ort, wo Nachrichten diskutiert werden. Und sie müssen diese Herangehensweisen nicht nur begrüßen, sie müssen sich die neuen Technologien zu eigen machen, um jüngere Zielgruppen zu erreichen.”
Während sich etablierte Medien erst langsam auf die dramatischen Veränderungen im Kommunikationsverhalten vieler Bürger einstellen, haben Amateur-Journalisten bereits die Bedarfslücke gefüllt. Von Weblogs, Tagebüchern von Internet-Nutzern, zum Citizen Journalism war es nur ein kleiner Schritt. „Seit 2003 hat es einen dramatischen Anstieg von Citizen Journalism gegeben”, heißt es in dem Powell-Report.
Es sind vor allem tragische Ereignisse, die der Idee Antrieb geben, zuletzt die Bombenattentate auf die Londoner U-Bahn, Hurrikan Katrina im Süden der USA oder das Erdbeben in Pakistan. Immer greifen ambitionierte Hobby-Schreiber in die Tasten, um Nachrichten zu vermitteln, die andere erst gar nicht anbieten, weil sie nicht schnell oder nah genug dran sind. Was ist in meiner Straße passiert? Wie geht es den Müllers von nebenan? Wo gibt es Hilfe?
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Dieser Artikel erschien ursprünglich in “Redaktion”, dem Jahrbuch für Journalisten. Es ist Teil des Lokaljournalistenprogramms der
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. “Redaktion 2006” wird im Medienfachverlag Oberauer verlegt und kann über die
Drehscheibe online bestellt werden.