(Artikel) Larry Sanger hat Wikipedia mitgegründet. Jetzt bastelt er an einer Alternative: Sein Konkurrenzprojekt Citizendium setzt auf einen festen Autorenstamm, anonyme Einträge soll es nicht geben. Wikipedia feiert zwar sechs Jahre Erfolg, muss sich aber dennoch weiterentwickeln.

Das Online-Lexikon Wikipedia wird am 15. Januar sechs Jahre alt. Zum Geburtstag gibt es aber nicht nur Glückwünsche: Mitbegründer Larry Sanger gilt mittlerweile als einer der größten Kritiker der freien Enzyklopädie, im Herbst 2006 wurden seine Pläne für ein Konkurrenzprojekt öffentlich: Noch ist Citizendium teils
Provisorium, teils
Pilotprojekt, der offizielle Start ist für “Anfang 2007” angekündigt – der genaue Termin ist noch
offen.

Wer sich heute schnell über ein Thema informieren will, greift nicht zum Lexikon im Bücherregal sondern konsultiert die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Was viele nicht wissen: Wikipedia ging aus einem Projekt namens
Nupedia hervor. Jimmy Wales, später zusammen mit Larry Sanger, hatte das Internet-Nachschlagewerk im März 2000 lanciert, es orientierte sich stark an konventionellen Lexika. Schnell entdeckten die Macher von Nupedia die damals neue Wikitechnologie, die es Internetnutzern ermöglicht, Inhalte im Netz unkompliziert zu veröffentlichen. Im Gegensatz zu der heute bekannten freien Wissensdatenbank Wikipedia sollte dieses Wiki jedoch nur als Vorstufe für Nupedia-Artikel genutzt werden. Ziel war es, die im Wiki gesammelten Beiträge später wissenschaftlich überprüfen zu lassen und gegebenenfalls auf Nupedia zu veröffentlichen. Während sich Wikipedia jedoch mit rasender Geschwindigkeit weiterentwickelte, blieb die ursprüngliche Idee des redigierten Internetnachschlagewerks auf der Strecke und ging im September 2003 endgültig unter.

Zurück zum Ursprung

Sechs Jahre nach der somit eher zufälligen Entstehung von Wikipedia kehrt Sanger nun zu der Ursprungsidee von Nupedia zurück und will mit Citizendium “eine neue Gemeinschaft” gründen: Anonyme Beiträge, wie bei Wikipedia üblich, soll es hier nicht mehr geben. Der Einzelne ist persönlich gefragt, das zeigt allein der Name: Citizendium, so Sangers Erklärung, ist ein Mischwort aus “Bürger” und “Kompendium”. Konkret heißt das: Anders als bei der erfolgreichen Konkurrenz kann niemand Beiträge veröffentlichen, ohne sich vorher unter realem Namen und mit gültiger Emailadresse registriert zu haben. So will Sanger eine “Verantwortungskultur” schaffen, damit das Projekt nicht Gefahr läuft, zur Spielwiese persönlicher Befindlichkeiten und politischer Interessen zu werden.Wie bei Nupedia sollen außerdem alle Artikel ein Qualitätssicherungsverfahren (“Peer-Review”) durchlaufen, um falsche Informationen von der Wissensdatenbank fernzuhalten.

Eine
Charta mit “kurzen und recht vagen” Veröffentlichungsregeln sowie ein fester Stamm an Redakteuren sollen für „verbesserte Qualität“ sorgen und Streitigkeiten von vornherein ausschließen. So genannte „Schutzmänner“ sind für die Einhaltung der Charta verantwortlich und ahnden Verstöße, notfalls auch mit Ausschluss. Kurz: Citizendium will die positiven Eigenschaften von Wikipedia adaptieren und die negativen Elemente mittels Reglementierungen ausblenden. Um das zu erreichen, plant Sanger in der ersten Phase, alle Artikel der englischsprachigen Version von Wikipedia in Citizendium zu übernehmen und zu überprüfen.

Auf die Frage, ob Citizendium damit ein Konkurrenzprodukt zu Wikipedia darstellt, heißt es auf Citizendium.org selbstbewusst: „
Natürlich, warum sollten wir uns sonst abspalten?“.

Sangers Kritik an Wikipedia

Sanger wirft der Wikipedia Foundation vor, Qualitätsmängel nicht offen einzugestehen und nur unzureichend an Verbesserungen zu arbeiten. Die Ereignisse der letzten Jahre geben Sanger Recht: Obwohl das renommierte
Nature Magazin Wikipedia in einer
Studie aus dem Jahr 2005 noch „Kopf an Kopf“ mit der Encyclopedia Britannica in Punkto Exaktheit sah, ist die Manipulation von Artikeln bei Wikipedia ein alter Hut. Die
Verfälschung von Politikerbiografien durch Mitarbeiter des US-Kongresses im Jahr 2005 ist dabei nur eins von vielen
Beispielen. Doch auch in der deutschen Wikipedia wird
abseits von und
während Wahlkämpfen fleißig geschönt.

Citizendium vs. Wikipedia

In der deutschen Version von Wikipedia, die mit über 500.000 Artikeln die zweitgrößte Community innerhalb der Wikipedia Foundation darstellt, sucht der Interessierte übrigens vergeblich nach einem Artikel über Citizendium. Während die meisten anderen Ausgaben, unter anderem auch die englischsprachige, einen
umfangreichen Artikel enthält, wird man in der hiesigen Version auf den Beitrag über
Larry Sanger weitergeleitet.

“Es existierten schon mehrmals vollständige Artikel zu Citizendium, die jedoch rasch gelöscht wurden”, kommentiert Nutzer DuMonde auf der Diskussionsseite zum deutschen
Larry Sanger-Text. “Es scheint so, dass ein Artikel wikipediaseitig nicht gewünscht ist – die vorgebrachten Gegenargumente sind dünn.” Er vermutet weiter, „dass C. (
Citizendium, Anm. d. Red.) deshalb keine Zukunft haben wird, weil W. (
Wikipedia, Anm. d. Red.) sich in Richtung C. anpassen wird. Die Versuche der (zunächst) deutschen W., mit zwei Artikelversionen zu arbeiten (redigierte öffentliche Version vs. interne Arbeitsversion), deuten schon stark in diese Richtung…”.

Die Frage liegt auf der Hand: Wie politisch darf eine Internet-Enzyklopädie sein? Und wie frei soll sie sein? Der Status, den Wikipedia mittlerweile innehat, hängt in erster Linie an ihrer Offenheit. Ob es mit Citizendium möglich sein wird, ein ähnliches Projekt zu stemmen und damit eine Alternative zu Wikipedia darzustellen, bleibt abzuwarten. Dass sich Wikipedia weiterentwickeln wird und muss, ist hingegen längst klar.

Erschienen am
11.1.2007

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