Am 10. Oktober sind
Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Erstmals werden "Die Digitalen",
eine erst kürzlich gegründetete Partei, daran teilnehmen. "Die Digitalen"
wollen sich in ihrer Politik hauptsächlich der neuen Medien bedienen,
um ein höchstes Maß an Transparenz zu erreichen. "Chats statt stundenlanger
Laberdebatten"

politik-digital:
Wieviele Unterschriften haben Sie schon, und wieviele benötigen Sie noch,
um an der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus teilzunehmen?

Oenicke: Wir
haben bisher Formulare von ca. 500 Berlinerinnen und Berlinern erhalten
die uns mit ihrer Unterschrift unterstützen wollen. Um für die BerlinWahl99
zugelassen zu werden, fehlen uns also noch ungefähr 1700 Stimmen.
So eine Unterschrift verpflichtet zu nichts und man muß auch nicht Mitglied
der Digitalen werden, um uns mit einer Stimme zu unterstützen, aber neue
Mitglieder sind bei uns natürlich jederzeit herzlich willkommen.


politik-digital:
Warum sagen Sie von sich selbst, daß Sie keine
Ideologie verfolgen, sondern pragmatische Politik, wenn man gleichzeitig
in Ihrem Programm lesen kann "es soll wieder Spaß machen zu leben, es
soll sich lohnen, den eigenen und den gemeinschaftlichen Idealen nachzugehen.
es soll wieder Visionen geben… Klingt alles doch sehr idealistisch?!

Oenicke: Wir
wollen, von den verschieden Ideologien abgekoppelt, eine lösungsorientierte
Politik etablieren. Es darf keine grauen Männer oder Frauen in Elfenbeintürmen
geben, die über Probleme diskutieren, die sie nicht mehr betreffen oder
nie betroffen haben. Ich verstehe unter Politik nicht, sich mitunter stundenlang
während einer Debatte mit ausgesuchten Leuten im Kreis zu drehen, sondern
eine klare Frage bzw. eine klare Problembeschreibung zu stellen und dann
gemeinsam die geeignete Lösung dafür zu finden. Ob die Problemlösung,
oder ein Ansatz dazu von Mann, Frau, rot, grün, Rentner oder Berufspolitiker
kommt, ist völlig unwichtig, es zählt das bessere Argument und damit die
bessere Lösung. Das ist die Voraussetzung um interessierte Menschen wieder
an die Politik heranzuführen. Es macht niemandem Spaß, eine Idee zu entwickeln
und entmutigt durch die bisherige politische Landschaft, sich mit einem:
"Mir hört ja eh keiner zu" in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Mit dem
Bewußtsein im Hinterkopf, daß einem nicht nur jemand zuhört, sondern daß
man überhaupt die aktive Möglichkeit hat, etwas zu bewegen, macht es auch
wieder Spaß, Ideen und Visionen zu entwickeln.


politik-digital:
Welche sind die erstarrten Strukturen, die
sie oft in Ihrem Programm erwähnen? Mit ihren websites haben doch schon
viele Politiker die Zeichen der Zeit erkannt. Oder reicht Ihnen diese
Transparenz nicht?

Die Digitalen:
Die aktuellen Webseiten der etablierten Parteien oder einzelner Politiker
sind zum großen Teil solide erstellt und bieten einen guten aber statischen
Inhalt an Informationen. Eine e-Mail an einen Politiker zu schreiben und
im Ungewissen darüber sein, ob nicht seine Sekretärin oder extra dafür
eingestellte Studenten die Post beantworten, reicht mir aber einfach nicht
aus. Ich stelle mir Politik als ein lebendes, atmendes Gebilde vor. Wir
wollen im interaktiven Dialog, ob persönlich oder digital, mit Mitgliedern,
Nichtmitgliedern und allen politisch Interessierten, die richtigen Fragen
stellen und gemeinsam die richtigen Antworten finden. Wir möchten mit
Hilfe der heutigen Technik wie z.B. Internet-Chat, Diskussionforen, Video-
und Telefonkonferenzen oder auch der einfachen e-Mail einer breiten Masse
die Möglichkeit geben, Politik aktiv mitzugestalten.
Tranparenz ist darüber hinaus ein gutes Stichwort, darunter verstehe ich
zum Beispiel komplette Offenheit nach außen, das fängt bei unseren Ideen
und Zielen an und setzt sich bis zu eventuellen Parteispenden fort. Bei
uns wird z.B. jeder, der eine Spende an "Die Digitalen" leistet, mit Name
und Summe, bzw. Sachwert, seiner Spende auf der Webseite veröffentlicht.
Und selbstverständlich beantworten wir unsere e-Mails wirklich selbst.


politik-digital:
Glauben Sie es genügt, wenn Sie Ihren Wahlkampf
ausschließlich übers Internet führen, das schließlich noch kein Massenmedium
in Deutschland ist? Vermuten Sie ausreichend Wähler vor den Rechnern?

Oenicke: Wir
werden zwar große Schwerpunkte des Wahlkampfes wie Livechats mit den Kandidaten,
Wahlforum und ähnliche interaktive Events im Internet veranstalten, es
werden aber auch einige kleine, nicht virtuelle Veranstaltungen der "Digitalen"
in Berlin stattfinden. Die Anzahl der Internetanschlüsse in Deutschland
steigt zwar ständig an, trotzdem ist es noch viel zu wenig verbreitet
und auch nur einem bestimmten Personenkreis zugängig. Es gibt zwar gute
und wichtige Aktionen, wie z.B. "Schulen ans Netz" aber Gruppen wie Hausfrauen
und Hausmänner oder vor allem Senioren haben oft noch große Berührungsängste
mit dem neuen Medium. Diese Gruppen wollen wir nicht einfach ausgrenzen.
Wir wollen uns verstärkt dafür einsetzen, daß zusammen mit Wirtschaft
und Politik Programme erarbeitet werden, die einer breiteren Masse kostengünstige
Internetanschlüsse zur Verfügung stellt. Ein Ansatz hierzu wären z.B.
mehr Internetterminals in öffentlichen Büchereien. Aber das braucht eben
seine Zeit.


politik-digital:
Wenn Sie bei der Berlin-Wahl nicht erfolgreich
sind, bleiben Sie trotzdem politisch aktiv? Vielleicht sogar auf Bundesebene?

Oenicke: Das
Internet ist ein globales Medium, und die Digitalen sind eine globale
Partei. Sollten wir bei der BerlinWahl99 nicht die notwendigen 2200 Unterschriften
bekommen, oder auf Grund der kurzen Zeit des Wahlkampfes zu wenig Leuten
unsere Ideen vermitteln können, werden wir uns davon natürlich nicht entmutigen
lassen und auf jeden Fall bei anderen Landtagswahlen und auch auf Bundesebene
aktiv werden. Die Entscheidung in Berlin zu kandidieren ist uns sehr leicht
gefallen, Berlin ist Hauptstadt und hat ein kulturell und wirschaftlich
stark wachsendes Umfeld – ideal für eine junge Partei mit guten, neuen
Ideen. Zudem bin ich ein Berliner von Geburt an und das mit Leib und Seele.
ich kenne somit meine Stadt und ihre Probleme nicht nur aus der Sicht
eines externen Beobachters, sondern habe eine besondere Motivation, positive
Veränderungen voranzutreiben. Ich bin eben ein Berliner, und das bleibt
man für sein Leben.


politik-digital:
Nehmen wir an, Sie ziehen ins Berliner Abgeordnetenhaus
ein. Welche Koalitionen würden Sie eingehen?

Oenicke:"Die
Digitalen" wollen die richtigen Fragen stellen und lösungsorientierte
Politik betreiben. Im Augenblick sehen wir keine unter den etablierten
Parteien, die das Niveau erreicht hat, Politik mit uns zu machen die unseren
Ansprüchen genügt. Deshalb haben wir "Die Digitalen" ja gegründet. Wenn
wir unser Ziel, bei der Wahl als einzelne Partei auf der Hochrechnungsliste
zu erscheinen, übertreffen und ins Abgeordnetenhaus einziehen, dann stehen
wir nur für eine Partei als Koalitionspartner zur Verfügung, die sich
an unser Verständniss von Politik annähert. Wenn Sie mich fragen, welchen
Politiker etablierter Parteien wir gerne in unseren Reihen sehen würden,
für Außenminister Fischer hätten wir immer einen Platz frei.


politik-digital:
Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit
Jens Oenicke führte Anne-Katrin Fischer