Patry_cropWilliam Patry ist Urheberrechtsexperte bei Google und redet heute auf der Konferenz „Zugang gestalten!“ über die Chancen digitalisierter Medien. politik-digital.de sprach mit dem Juristen vorab über die Demokratisierung von Bildung, blockierende und konstruktive Gesetze sowie über das Projekt „Google Books“.
politik-digital.de: Mr. Patry, worüber sprechen Sie auf der Konferenz „Zugang gestalten!“?
William Patry: Die Konferenz trägt den Titel „Zugang gestalten!“. Das Erste, was mir dazu in den Sinn kommt, sind verschiedene Projekte, die Zugang ermöglichen, unter anderem natürlich „Google Books“. Aber auch die Hindernisse, die es gibt, und die vielen Dinge, die noch verbessert werden können. Ich betrachte das Thema aus zwei verschiedenen Perspektiven, und darüber werde ich auch sprechen: zunächst natürlich aus der eines Google-Mitarbeiters. Viel interessanter ist vermutlich jedoch meine Sicht als Wissenschaftler und Autor.
politik-digital.de: Was interessiert Sie aus wissenschaftlicher Perspektive an dem Thema?
William Patry: Als ich 1985 mein erstes Buch schrieb, gab es die Möglichkeiten des digitalen Zugriffs auf Literatur noch nicht. In einer rechtswissenschaftlichen Bibliothek hatte ich Zugriff auf die fachliche Expertise anderer Autoren, die vor mir geschrieben hatten. Ohne die Möglichkeiten des Internets war ich jedoch sowohl physisch als auch geistig auf den Ort der Bibliothek begrenzt. Ich wusste nicht, welche Bücher außerhalb dieses relativ begrenzten Raumes existieren. Das ist sehr beschränkend für jemanden, der nach Weiterentwicklung strebt, der sein Fachgebiet liebt und ein Buch schreiben möchte, das anderen Menschen den Zugang zu Wissen ermöglicht, den sie durch andere Quellen nicht hätten. Die Art und Weise, wie man Zugang ermöglicht und gestaltet, beeinflusst maßgeblich, wie wir uns als Personen entwickeln, und bestimmt, zu wem wir werden können. Wenn dieser Zugang ermöglicht wird, hat das enormen öffentlichen Mehrwert und führt zu einer Demokratisierung des Lernens in Gesellschaften. Digitale Technologien eröffnen mehr Menschen den Zugang zu Bildung.
politik-digital.de: Welche Herausforderungen stellt die digitale Revolution an das Urheberrecht?
William PatryWilliam Patry: Dass die Digitalisierung eine Herausforderung an das Urheberrecht stellt, würde ich infrage stellen! Ich sehe Recht und Gesetze als Werkzeuge. In den 1990er Jahren habe ich Gesetze entworfen, als ich für den US-Kongress arbeitete. Politische Entscheidungsträger haben gewisse Vorstellungen, wie ein Gesetz aussehen soll. Als Jurist „übersetzt“ man diese Ideen in Gesetzestexte. Und ebendiese sind Werkzeuge, mit denen man etwas bewirken kann. Gesetze sind kein Selbstzweck, und längst nicht alles lässt sich mithilfe von Gesetzen regeln. Niemand würde beispielsweise der Aussage zustimmen, dass Eltern durch gesetzliche Regelungen zu besseren Erziehern werden würden.
Die Herausforderung an das gültige Urheberrecht ist der rapide Wandel: Wer Gesetze schreiben will, die in fünf Jahren noch funktionieren, ist sehr optimistisch. Denn: Der Medienkonsum ändert sich rasend schnell. Wo Menschen vor zwei Jahren noch auf dem Laptop ferngesehen haben, schauen sie dieselben Inhalte nun auf dem Tablet oder ihrem Smartphone. Das stellt uns vor juristische Fragen, primär ist es aber eine unternehmerische Herausforderung, der sich selbstverständlich auch Google stellen muss. Die Herausforderungen sind enorm, und wer das veränderte Konsumverhalten nicht rechtzeitig erkennt, hat auf dem Markt verloren. Wir müssen wegkommen von der Idee, dass sich alles durch Gesetze regeln lässt. Gesetze sollten Fehlverhalten innerhalb der Gesellschaft sanktionieren und nicht diejenigen, die sich richtig verhalten, in ihrem Tun beschränken.

William Patry, geboren 1950 im Bundesstaat New York, ist als Jurist auf Urheberrecht spezialisiert. Bevor er als Senior Copyright Council bei Google anfing, arbeitete er für das US-Repräsentantenhaus, außerdem als Universitätsprofessor, Autor und Anwalt.

politik-digital.de: In Deutschland läuft eine Debatte zur Reform des Urheberrechts, das an die sich wandelnde Informationsgesellschaft angepasst werden soll. Sie sprachen das Recht als Werkzeug an. Finden Sie, dass diese Werkzeuge angepasst werden sollten oder reichen sie aus, um urheberrechtliche Fragen angemessen zu bearbeiten?
William Patry: Ich als Autor möchte, dass Menschen über mein Buch reden. Ich möchte, dass sie Dinge sagen wie: „Ich mag dein Buch!“ oder „Ich finde toll, was du tust, wie kann ich Zugang dazu erhalten?“. Man möchte Gespräche über die Arbeit selbst! Recht ist dann irrelevant, wenn der Markt und der Zugang zu Medien funktionieren. Ideal ist eine Ausgangslage, in der wir uns über juristische Rahmenbedingungen keine Gedanken machen müssen, in der Menschen Dinge erschaffen und wissen, wie sie Zugang erhalten können und wie Autoren bezahlt werden. Derzeit ist die Debatte um die Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen nicht konstruktiv für alle Beteiligten. Wenn man nur über Gesetze spricht, spricht man über Probleme und Störungen und damit auch über Versagen. Die Debatte über die Durchsetzung von Gesetzen ist also auch eine Debatte über Probleme. Wäre es aber nicht der beste Weg, über Erfolge zu sprechen?
politik-digital.de: Sprechen wir über Google Books. Wie kam es, dass Google anfing, Bücher zu digitalisieren? Welches Ziel verfolgt Google mit diesem Projekt?
William Patry: Um Google zu verstehen, muss man zuerst wissen, dass Google nach wie vor eine von Ingenieuren geprägte Firma ist. Ingenieure denken und arbeiten anders – sie fragen nicht nach Beschränkungen, sondern nach Möglichkeiten. Larry Page und Sergey Brin erkannten, dass es problematisch war, Zugang zu bestimmten Inhalten im Web zu erhalten. Die Lösung war eine effiziente Suchmaschine, die Dinge auf einen Index setzen und sie so auffindbar machen würde. Die darauffolgende Frage war dann, auf welche Inhalte man potentiell zugreifen könnte. Da wären natürlich die Inhalte, die schon in digitaler Form vorhanden sind. Der Großteil an Information ist jedoch offline – schätzungsweise 125 Millionen Bücher haben die Menschen vor uns geschrieben. Das Ziel ist doch, möglichst vielen Menschen möglichst viel Zugang zu ermöglichen. Als Ingenieure fragten sich die beiden Google-Gründer daraufhin, wie die Digitalisierung dieser Menge Bücher technisch möglich gemacht werden könnte, und initiierten das Projekt.
politik-digital.de: Sie sprachen von 125 Millionen zu digitalisierenden Büchern. Wieviele Bücher hat Google bis jetzt digitalisiert?
William Patry: Ich denke, es sind etwas über 20 Millionen Bücher.
politik-digital.de: Also ist das definitiv nicht die finale Phase des Projekts?
William Patry: Nun ja, wir wurden mit Hindernissen konfrontiert, die wir vorher nicht ahnen konnten. Unter anderem haben wir neun Jahre lang einen Gerichtsprozess geführt und Beschwerden bearbeitet, auch vonseiten der deutschen Regierung. Wir mussten Ressourcen aufwenden, die mit dem Projekt nicht in direkter Beziehung standen und es zudem verlangsamten.
politik-digital.de: Sind Sie optimistisch, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren fertiggestellt wird?
William Patry: Dass ein so großes Projekt Zeit in Anspruch nimmt, ist klar. In Europa kooperieren wir mit verschiedenen Universitätsbibliotheken, unter anderem mit der Europeana. Ich bin mir sicher, dass wir die Digitalisierung so schnell wie möglich abschließen werden.
politik-digital.de: Vielen Dank für das Interview.

William Patry: Ich bedanke mich auch.
Bilder: David Flores; Google (Porträt William Patry)
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