WikileaksPRSchlachtBilder sind die schärfsten Waffen einer Mediengesellschaft – und die größte Waffenfabrik steht in Hollywood. So sieht es die Enthüllungsplattform WikiLeaks, deren Geschichte jetzt über die globalen Leinwände flimmert. Julian Assange findet: Der Thriller „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“ ist ein gefährliches Zerrbild. Die PR-Schlacht hat begonnen.
Im Januar 2013 bekommt der Schauspieler Benedict Cumberbatch („Sherlock“) eine E-Mail von Julian Assange, den er zuvor vergeblich zu kontaktieren versucht hatte. Cumberbatch wollte zur Vorbereitung auf seine Rolle im Thriller „Inside WikiLeaks“ mit Assange sprechen, erhielt jedoch lange keine Antwort von dem WikiLeaks-Gründer, der – ebenso wie seine Whistleblower-Plattform – nicht in die Produktion des Films involviert war.
Einen Tag vor Beginn der Dreharbeiten erfährt Cumberbatch dann dank dieser E-Mail doch noch unmissverständlich, wie sehr Assange den Film ablehnt. Cumberbatch weiß von da an zweifelsfrei: Er wird einen Mann spielen, der nicht gespielt werden will, zumindest nicht nach dem vorliegenden Drehbuch.

Bilder sind gefährlich

Assange hält „Inside WikiLeaks“ für eine gegen ihn gerichtete Waffe. Er kennt die Macht der Traumfabrik, deren Bilder sich zumeist sehr fest in die Köpfe des Kinopublikums fressen – weil die Zuschauer an den Kinokassen nie bloß Tickets kaufen, sondern immer auch Deutungsschablonen.
Wobei in Assanges Mail wieder offenkundig wird, dass er seine eigene Deutungsweise hat. Das Produktionsstudio Dreamworks stehe demnach in Verbindung mit WikiLeaks‘ wahrscheinlich größtem Feind: der US-Regierung. Welcher Natur diese Verbindung sein soll, führt Assange nicht aus und bemüht somit ein verschwörungstheoretisches Argumentationsmuster, in das sich z. B. auch seine Sicht auf die angeblich miteinander verbandelten Massenmedien (MSM = Mainstream Media) fügt.
Etwas konkreter wird Assange, wenn er schreibt, was ihn an „Inside WikiLeaks“vor allem stört. Der Film basiert auf zwei Sachbüchern, die er nicht beim Namen nennt, aber für stark diskreditierend hält: „WikiLeaks. Julian Assanges Krieg gegen Geheimhaltung“ von den Guardian-Journalisten Luke Harding und David Leigh sowie „Inside WikiLeaks: Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ des ehemaligen WikiLeaks-Mitarbeiters Daniel Domscheit-Berg. Beide Bücher setzen sich kritisch mit Assange und WikiLeaks auseinander. Sie sind der Grund, warum WikiLeaks unmittelbar nach Bekanntgabe der Produktion des Hollywood-Films über die Enthüllungsplattform twitterte:

„This is how bullshit ends up being history: Spielberg [einer der Gründer von Dreamworks] lines up WikiLeaks film based on books by opportunists.“

Twitter ist der Kanal, von dem aus WikiLeaks auch heute sein Image verteidigt. „Inside WikiLeaks“ lief am 18. Oktober in den US-amerikanischen Kinos (unter dem Titel „The Fifth Estate“) an. WikiLeaks konnte diesen PR-Schlag nicht unbeantwortet lassen, weswegen die Enthüllungsplattform sich alleine am Tag des Filmstarts in 18 Tweets mit dem Film auseinandersetzte. Dessen geringe Besucherzahlen spielten der WikiLeaks-PR in die Hände, gaben eine Steilvorlage für bissig-hämische Kommentare. Der Tenor: Der Film ist Dreamworks‘ größter Flop seit zehn Jahren – aber wer hätte vom „Twilight“-Regisseur Bill Condon auch etwas anderes erwartet? Julian Assanges Freunde scheinen ähnlich zu denken; ein gepostetes Video soll sie nach einer Vorstellung von „Inside WikiLeaks“ zeigen, wie sie sich über den Film auslassen.
Die Verantwortung für den Flop beansprucht WikiLeaks für sich:

„After our boycott, Dreamworks‘ Fifth Estate is now headed to be the worst financial disaster of all time after 2003’s ‘Sinbad’.“

High-Speed-Enthüllungen

Die Hollywood-Version von WikiLeaks‘ Aufstieg zur „fünften Gewalt“ hält sich weitestgehend chronologisch an die tatsächlichen Ereignisse. Das Tempo ist dabei so hoch, dass dem weniger sachkundigen Zuschauer der Kopf schwirren wird. Auf der einen Seite sehen wir, wie Daniel Berg (Daniel Brühl) – so hieß Domscheit-Berg vor seiner Hochzeit – rasch zum Vertrauten Assanges (Benedict Cumberbatch) aufsteigt, fasziniert von dessen Visionen und Charisma, auf der anderen Seite reiht sich Enthüllung an Enthüllung: ein Korruptionsskandal in Kenia, die Steuerhinterziehung der Schweizer Bank Julius Bär, interne Dokumente der Sekte Scientology. Dramaturgische Höhepunkte sind schließlich die Enthüllungen, mit denen WikiLeaks Journalismusgeschichte geschrieben hat: Das Video über einen Helikopterangriff auf Zivilisten im Irak, die Warlogs aus Afghanistan und Irak – und das historisch beispiellose Offenlegen einer Viertelmillion geheimer Berichte US-amerikanischer Botschaften und des Außenministeriums.
Assange wird im Film nicht dämonisiert, hinterlässt aber einen zwiespältigen Eindruck. Er ist einnehmend und scheint getrieben vom Ideal der Machtkontrolle, zeigt aber auch immer wieder narzisstische Züge. Die Beziehung zu Daniel Berg zerbricht hier vor allem am autoritären Führungsstils Assanges und an dessen Weigerung, die afghanischen „Kriegstagebücher“ vor Veröffentlichung um für Informanten potentiell gefährliche Details zu kürzen (zum Teil kam Assange dieser auch von den beteiligten Medien erhobenen Forderung dann doch nach, was im Film aber unerwähnt bleibt).

„Das war aber ganz anders!“

Dass „Inside WikiLeaks“ den Charakter Assanges und die Methoden seiner Organisation partiell infrage stellt, hat WikiLeaks dazu veranlasst, wie schon in Begleitung der Dokumentation „We Steal Secrets“ ein mit Anmerkungen versehenes Drehbuch zu publizieren. Die Beanstandungen betreffen mögliche Petitessen und potentiell schwerwiegende Realitätsverzerrungen. Ob sich Assange nun, wie im Film dargestellt, die Haare weiß färbt oder nicht, ist von geringer Bedeutung. Der Grad der Involvierung Domscheit-Bergs gehört sicher ebenfalls nicht zu den Streitfragen höchster Priorität – zumal die Macher von „Inside WikiLeaks“ keinen Anspruch auf Objektivität erheben und zugeben, die Ausgestaltung der Filmfiguren auch unter dramaturgischen Gesichtspunkten vorgenommen zu haben.
Entscheidender sind die Diskrepanzen hinsichtlich des Transparenzbegriffs, die sich zwischen der Filmdarstellung und den offiziellen Verlautbarungen von WikiLeaks auftun. Ist Assanges Vorstellung von Transparenz tatsächlich so absolut, wie der Film nahelegt, gewichtet er sie also höher als den Informantenschutz? Dem widerspricht WikiLeaks in den Anmerkungen vehement, verweist etwa auf die Zurückhaltung von 15.000 Afghanistandokumenten (gleichwohl wurden 76.000 unredigiert ins Netz gestellt).
Hat Domscheit-Berg wirklich im Sinne des Quellenschutzes gehandelt, als er im Zuge seines Ausscheidens bei WikiLeaks Belege über US-amerikanisch verantwortete Kriegsverbrechen in Afghanistan von den WikiLeaks-Servern mitnahm und später löschte? Wer trägt die Schuld daran, dass die unredigierten Depeschen 2011 ihren Weg ins Internet fanden – der Guardian-Journalist David Leigh, der in seinem Buch das Passwort verriet, oder Assange, der Leigh nach das Passwort entgegen einer Zusicherung nicht änderte? Und wie groß ist der Schaden, der dadurch entstand, dass die Depeschen und der Großteil der Afghanistandokumente ohne Schwärzungen für alle zugänglich geworden sind?
WikiLeaks‘ Versuch des Gegensteuerns, unter anderem durch die Verbreitung eines eigenen Dokumentarfilms („Mediastan“) zum Start der Hollywood-Produktion, ist legitim; genauso legitim wie die Fiktionalisierung einer zeitgenössischen Organisation und ihrer Mitarbeiter, die ja teilweise im öffentlichen Raum agieren und öffentliche Deutungen daher aushalten müssen.
Vielleicht übertreibt es WikiLeaks aber mit der Sorge um das eigene Ansehen – weil Hollywood dieses Mal gar keine so prägenden Bilder liefert. Das Kritikerecho auf „Inside WikiLeaks“ jedenfalls ist in der Summe negativ. Und nicht mal dem von Assange verdammten Guardian-Journalisten und Mitautor der Buchvorlage, David Leigh, hat die Interpretation aus Hollywood sonderlich gefallen.


 
Bild: © 2013 Constantin Film Verleih GmbH
Text:
Buch-Cover von Marina Weisband