Barack Obama ist der Sieger der US-Wahl – das ist seit November allgemein bekannt. Doch dass der US-Präsident tatsächlich erst im Dezember vom „Electoral College“ gewählt wird, wissen nicht alle.
In diesen Tagen geben die 538 Mitglieder des Wahlmännergremiums ihre Stimmen ab. Diese werden Anfang Januar in einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses gezählt, anschließend wird das Ergebnis verkündet. Die Vereidigung des frisch gewählten Präsidenten kann dann am 20. Januar planmäßig vor dem Kapitol stattfinden. Mit Überraschungen wird nicht gerechnet.
In vier von 57 Wahlen gewann ein “Minderheiten-Kandidat”
Doch das Wahlsystem, das den US-Präsidenten ermitteln soll, ist nicht unumstritten. Bei der Wahl vor zwölf Jahren gewann George W. Bush die Wahl im Electoral College (was entscheidend ist), obwohl er bundesweit weniger Wählerstimmen als sein Konkurrent Al Gore erhalten hatte. Dies war in der Geschichte der Vereinigten Staaten bereits das vierte Mal (nach 1824, 1876 und 1888), dass ein Politiker zum Präsidenten gewählt wurde, obwohl er landesweit weniger Stimmen als ein Mitbewerber erhielt.
Neben prozeduralen Fragen wie der unterschiedlichen Gestaltung der Wahlzettel im Land oder dem Einsatz von Zählmaschinen wird auch die grundsätzliche Frage nach dem Sinn des Electoral College aufgeworfen. Die kalifornische Senatorin Feinstein forderte im Jahr 2007 gar die Abschaffung des Electoral College. Kritiker bemängeln außerdem, dass die Bevölkerung vieler Bundesstaaten marginalisiert würde, weil sie als Hochburg einer Partei gelten und daher von Kandidaten links liegen gelassen werden.
Doch bis heute ist das Wahlsystem inklusive Electoral College in Kraft. Nach wie vor entsenden alle Bundesstaaten sowie der District of Columbia entsprechend ihrer Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl an Wahlmenschen, mindestens jedoch drei. Insgesamt umfasst das Gremium 538 Electorals (Wahlmenschen). Um zum Präsidenten gewählt zu werden, benötigt ein Kandidat die absolute Mehrheit von 270 Stimmen. Dabei gilt (außer in Maine und Nebraska), dass der Kandidat mit den meisten Wählerstimmen in einem Bundesstaat alle Wahlmenschenstimmen dieses Bundesstaats auf sich vereinigt – daher die Bezeichnungen „winner takes it all“ oder „first past the post“.
Was spricht für oder gegen das Electoral College?
Befürworter des Status quo führen als Kernargument an, die Gründungsväter im 18. Jahrhundert hätten verhindern wollen, dass bevölkerungsreiche Staaten den Bundesstaat dominieren und eine „Tyrannei der Mehrheit“ droht. Weil das Ergebnis in einzelnen Bundesstaaten entscheidend ist, müssten sich Bewerber für das Präsidentenamt seither um eine breite Unterstützung in vielen Regionen der Vereinigten Staaten bemühen.
Durch das Electoral College, so die Befürworter, werde sichergestellt, dass einerseits Staaten mit weniger Bevölkerung ein verhältnismäßig großes Stimmgewicht erhalten und andererseits Kandidaten sich der Unterstützung mehrerer verschiedener Bundesstaaten versichern müssten. Dies würde auf Wähler der politischen Mitte abzielen und somit zu einer Mäßigung der politischen Auseinandersetzung führen.
Reform durch Verfassungszusatz?
Um das System zu reformieren, müsste eine Verfassungsänderung durch ein Amendment (Verfassungszusatz) angestrebt werden. Hierfür müssten nicht nur zwei Drittel der Abgeordneten beider Parlamentskammern zustimmen, sondern auch noch drei Viertel der 50 Bundesstaaten. Diese Hürde erscheint unüberwindbar.
Wahrscheinlicher wäre ein Umgehen des Electoral College durch ein Abkommen zwischen einzelnen Bundesstaaten: Dieser sogenannte National Popular Vote Interstate Compact (NPVIC) sieht vor, dass die diesem Abkommen beigetretenen Bundesstaaten ihre gesamten Wahlmenschen dem Kandidaten geben, der landesweit am meisten Stimmen gewonnen hat. Das Abkommen würde dann in Kraft treten, wenn die Unterzeichner-Bundesstaaten die Mehrheit im Electoral College erhielten. Denn dann würden diese Bundesstaaten entscheiden, wer US-Präsident wird, unabhängig vom Wahlausgang einzelner anderer Bundesstaaten. Derzeit vereinigen die neun an diesem Projekt teilnehmenden Bundesstaaten 132 der 270 nötigen Electors. Das Projekt hat also schon knapp die Hälfte des Weges hinter sich.
Lesen Sie hierzu auch den Gastbeitrag von Dr. Thomas Greven von der Freien Universität Berlin: Bedarf das US-Präsidentschaftswahlsystem eines Relaunchs? Unser Gastautor meint “Ja!”.