Seit rund zehn Jahren gehört das Checken des Facebook-Accounts für viele genauso zur täglichen Routine wie das Zähneputzen. Aber werden die sozialen Medien auch das nächste Jahrzehnt überleben? Sinkende Nutzerzahlen und der unsachliche Diskurs auf den Plattformen sprechen ihre eigene Sprache – ist das Web 2.0 bereits gescheitert?
Der eine postet Pandababys, der andere politische Parolen. So oder so: Social Media sind ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden, über die Hälfte der deutschen Internetuser nutzen soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, in den jüngeren Altersgruppen sind es sogar über 90 Prozent. Große Hoffnungen wurden in die sozialen Medien gesetzt, als die verschiedenen Plattformen im vergangenen Jahrzehnt überall wie Pilze aus dem Boden schossen: In Sekundenschnelle sollten sie Informationen weltweit verbreiten, einen unkomplizierten Austausch und eine direkte zweiseitige Kommunikation ermöglichen – mit Freunden, Fremden, aber auch mit Politikern. Mittlerweile herrscht Ernüchterung. Immer mehr Nutzer wenden sich von Facebook und Co ab, der Diskurs auf den Plattformen ist geprägt von Stammtischargumenten. Ist das bereits der Anfang vom Ende des Web 2.0?
„just setting up my twttr”. Diese recht unspektakuläre Mitteilung von Gründer Jack Dorsey markierte vor nunmehr neun Jahren, am 21. März 2006, den Start des Kurznachrichtendienstes Twitter. Bereits zwei Jahre zuvor, im. Februar 2004, hatte Facebook das Licht der Welt erblickt. Die digitale Plattform, von Harvard-Studenten rund um Mark Zuckerberg als eine Art digitales Jahrbuch entwickelt, knackte bereits im Gründungsjahr die Millionengrenze, seit vergangenem Jahr tummeln sich sogar mehr als eine Milliarde Menschen weltweit im Facebook-Universum. Die sozialen Netzwerke veränderten unser Online-Verhalten und unsere Art der Kommunikation schnell, und auch Politiker entdeckten bald die Möglichkeit, unkompliziert mit ihren Wählern in den Dialog zu treten – und dabei besonders authentisch zu wirken.
Sinkende Nutzerzahlen und sinkendes Niveau
In jüngster Vergangenheit nehmen die Mitgliedszahlen in einigen sozialen Netzwerken jedoch ab, in den USA und vielen europäischen Ländern sank die Zahl der aktiven Facebook-Nutzer leicht. Vor allem die jüngere Generation kann den Hype um den Multimediariesen nicht mehr so richtig nachvollziehen – und teilt Videos und Nachrichten lieber im kleinen privaten Kreis, zum Beispiel in einer Whatsapp- oder Snapchat-Gruppe unter Freunden. Auch im Fall von Twitter ist fraglich, ob das Netzwerk tatsächlich so dominant und meinungsbildend ist, wie häufig suggeriert wird. 2013 nutzten gerade einmal vier Prozent der deutschen Internetuser den Kurznachrichtendienst – wirklich aktiv waren noch weniger. Das Twitter-Universum scheint also eher eine Blase zu sein, in der sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung bewegt.
Obwohl es im Web 2.0 zunächst um den privaten Austausch unter Freunden ging, wurden die sozialen Netzwerke schnell politisiert. Die neue Petition von Amnesty International, die anstehende Demo gegen Rechts – was meinen Freunden gefällt, gefällt mit großer Wahrscheinlichkeit auch mir selbst. Dieser Tage spielen die sozialen Netzwerke bei der Organisation von Demonstrationen rund um Pegida eine wichtige Rolle. Wo sonst können sich so viele Menschen mit der gleichen politischen Gesinnung organisieren? Politiker haben das natürlich längst erkannt. Von Gregor Gysi über Peter Altmaier bis hin zu Jürgen Trittin twittern mittlerweile Vertreter aller Parteien, und auch auf Facebook sind alle namhaften Politiker zu finden.
Und trotzdem: Die Hoffnung, dass das Web 2.0 den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen wie Politikern und Bürgern revolutioniert, könnte eine Utopie gewesen sein. Scrollt man durch die Kommentare zu den Artikeln großer Tageszeitungen und Zeitschriften, bekommt man vor Augen geführt, wie politischer Dialog nicht funktioniert. In der Flut an Stammtischargumenten und Beleidigungen gehen Fakten und stichhaltige Argumente häufig unter. Momentan wird das insbesondere bei Diskussionen zur Ukraine-Krise und zu Pegida deutlich. Einige Medien wie die Süddeutsche Zeitung haben mit der Sperrung der Kommentarfunktion unter ihren Artikeln reagiert, nur noch drei Themen können täglich diskutiert werden. „Direkter, konzentrierte, besser moderiert” sollen die Diskussionen auf sueddeutsche.de nun sein. Man wird jedoch den Eindruck nicht los, dass es bei der Neuausrichtung vor allem darum geht, Trolle und andere digitale Unruhestifter besser unter Kontrolle halten zu können – und auch, dass man hier in gewisser Hinsicht resigniert hat. Denn neben lediglich unsachlichen und unqualifizierten Kommentaren häufen sich auch die Beiträge von Fake-Accounts. Eine ganze Industrie verbirgt sich hinter bezahlten Kommentaren und Rezensionen in Social Media und Foren – das scheint besonders ein Steckenpferd von Putin-Befürwortern zu sein. Sicher sein, dass der virtuelle Diskussionspartner tatsächlich existiert, kann niemand. Die kommenden Monate werden wohl zeigen, ob die hitzigen Online-Debatten rund um Pegida und Putin momentan einfach stark emotionalisiert sind oder ob sich der Trend zum unsachlichen Diskurs weiter fortsetzt.
Politischer Diskurs oder privater Austausch?
Wie informationsorientiert sind die sozialen Netzwerke überhaupt? Gemessen an den weltweiten Followern ist Katy Perry die Twitterkönigin. 61,2 Millionen Menschen interessiert, was die Sängerin zwitschert – und sei es nur „RT if your favorite jelly belly is juicy pear.” Barack Obama muss sich mit 10 Millionen Followern weniger und Platz drei hinter Justin Bieber zufrieden geben. Auch die Unternehmen-Accounts mit den meisten Twitter-Followern – Samsung, Starbucks oder iTunes – lassen vermuten, dass es den Nutzern hauptsächlich um Unterhaltung geht. Diesen Eindruck verstärkt eine Studie von amerikanischen Marktforschern, die den Inhalt von 2.000 Tweets aus den USA analysierten. Lediglich vier Prozent der Kurzmitteilungen verbreiteten tatsächlich Neuigkeiten und Nachrichten – stolze 40 Prozent wurden als „sinnloses Geplapper“ eingestuft. In Deutschland sind mit Spiegel, Zeit Online und Stern.de aber auch seriöse Informationsdienste unter den Top Fünf der meistgefolgten Unternehmen.
Es stellt sich also generell die Frage, inwiefern Social Media für politische Kommunikation und informativen Austausch geeignet sind und geeignet sein müssen. Auch wenn der politische Diskurs in sozialen Netzwerken seine Defizite hat, können diese für die Kommunikation im Freundes- und Familienkreis weiterhin funktionieren. Katzenbabys und Kuchenrezepte statt Diskussionen und Debatten. Als Zuckerberg und seine Kommilitonen im Januar 2003 facemash.com, den Vorgänger von Facebook, erschufen, hatten sie wohl ohnehin keine Online-Petitionen und Wahlkampfkampagnen im Sinn. Wie viele andere 19-Jährige erfreuten sie sich eher an den simplen Dingen des Lebens. Auf facemash.com konnte öffentlich das Aussehen von Frauen bewertet werden. Die Bilder wurden übrigens ohne die Zustimmung der betreffenden Damen ins Netz gestellt – in Sachen Datenschutz war also schon der Start holperig.
Dennoch: Das politische Potential von Twitter und Co ist nach wie vor nicht zu unterschätzen. Nirgendwo sonst können Teilnehmer für politische Zwecke so schnell mobilisiert werden – auch wenn nicht immer erkennbar ist, ob nachhaltiges Engagement oder bloßer Klick-Aktivismus die Folge ist. Bei der Organisation der Proteste während der Wahlen im Iran 2009 spielte Twitter ebenso eine entscheidende Rolle wie während des Bürgerkriegs in Syrien. Politiker wissen das. Ein harmloses, völlig unpolitisches Netzwerk hätte den türkischen Präsidenten Erdoğan bestimmt nicht zu dessen Sperrung veranlasst. Vielleicht sind es gerade die Nutzer aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit und Meinungsvielfalt, die das politische Potential sozialer Netzwerke voll ausschöpfen.
Ob wir das Web 2.0 tatsächlich bald zu Grabe tragen oder ob sich die schwächelnden Netzwerke durch neue Services und Innovationen wieder aufrappeln können, ist fraglich. Sicher lässt sich nur sagen, dass es für einen konstruktiven Austausch in den sozialen Medien eines unbedingt braucht: informierte und interessierte Nutzer.
Bild: kropekk_pl
Wie definiert man eigentlich einen Troll?
Soll das nach Meinung der Seiten-Füller jemand sein der eine gegensätzliche Meinung der Seite vertritt?
Ich finde bezahlte oder unbezahlte Beiträge die geschrieben werden nur um eine andere Meinung schlecht zu machen auch nicht gut.
Leider gibt es zZt noch eine Menge Menschen die genau dadurch dieses alte System von “Teile-und-Herrsche” stützen.
Im übrigen finde ich den eingestreuten Satz über “Putin-Versteher” reichlich platt.
Oder möchte der Verfasser dieses Artikels etwa Widerspruch auslösen?
Zum Schlusssatz:
Nicht nur in sozialen Medien bedarf es eines Austauschs.
Und wahrhaft informierte Menschen erhält man nicht durch Texte die durch weglassen oder verdrehen manipulativ sind.
Der Twitter-Account eines Stars hat für mich wenig mit Diskussion und Austausch zu tun. Ist ein cooles Instrument, um Fans das Gefühl zu geben, den Stars besonders nahe zu sein. Das bringt vor allem dem Star etwas, der sich so noch besser inszenieren kann.
Wenn ich mich aber wirklich informieren möchte, so schätze ich heute gute Nachrichtenseiten mehr als noch vor 10 Jahren. Ein Journalist macht für mich einen wichtigen Job. Er selektiert, prüft und bewertet Informationen für mich. Das spart mir Zeit und ist einfach angenehm.
Das Web 2.0 scheitert nicht, es überwirft sich. Davon abgesehen spricht man schon länger vom Web 3.0, also das Portable Web, Individualität, Lifestream, das Semantische Web, Entitäten und Relationen, Advertainment etc. (um mal ein paar Schlagworte zu nennen).
Es scheitert vermutlich alles, was über *gaming* hinaus geht. Jedenfalls im grossen Umfang.
[…] Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported Lizenz und ist zuerst auf Politik Digital […]
„Wie definiert man eigentlich einen Troll?“
Erstens gibt es mittlerweile reichlich Abhandlungen darüber.
Zweitens ist ein Kommentar, der egal welches Thema vorherrscht, mit den ewig gleichen Floskeln und Argumenten Diskussionen zu dominieren versucht oder gar derailt ein heißer Kandidat. Klassischerweise ist alleine die Meinung des Trolls gültig, er bedient sich provokanter Sprache und Argumente und „diskutiert“ oft genug jenseits der Gürtellinie. „Diskutiert“ deshalb, weil Trollkommentare eher Monologe sind.
Also Spötter sprechen in Bezug auf Facebook, Twitter und Co. bereits vom Web 0.0
Denn der geistige Dünnschiss, der dort zu lesen ist, setzt den Mehrwert solcher Zeitverschwendungssysteme auf ein immer niedrigeren Level.
Will man wirklich die Intelligenz eines Netzwerkes nutzen, braucht es zwangläufig Funktionen zur Organisation, Strukturierung, Kategorisierung, Diskussion, Bewertung und Archivierung. Will man eine Community für sich arbeiten lassen, braucht es dafür ein eigenes System mit diesen Funktionen. Dazu bedarf es auch einer Moderation und Fachleute und Entscheider. Sonst bleibt es ein dummes System.
Die BürgerJoker-Methode klingt da sehr vielversprechend: http://www.beteiligungskompass.org/article/show/999