Öffentlich machen, was geheim ist und der Öffentlichkeit schadet – das ist die Mission von Wikileaks. Transparenz wider die Macht! Weil die Organisation aber ihrerseits mächtig geworden ist, richtete sich der Transparenzanspruch in den vergangenen Jahren zunehmend auch gegen sie selbst. Aktuellstes Beispiel ist die Kinodokumentation „We Steal Secrets“. Darin liefert der oscarprämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney eine personenfixierte Aufarbeitung mit Thriller-Dramaturgie, deren Komplexität sie jedoch davor bewahrt, in simple Gut/Böse-Kategorien zu verfallen.
Es beginnt wie „Mission: Impossible“. Regisseur Alex Gibney vermengt Interviews und Archivmaterial zu einem Auftakt, der auch aus einem Thriller stammen könnte, so sehr erfüllt er die Regeln des Spannungskinos: Die NASA bereitet Ende der 1980er einen Raketenstart vor, um das Raumschiff „Galileo“ ins All zu befördern. Dessen Energieantrieb basiert auf Plutonium und bringt Anti-Atomkraft-Aktivisten in Rage. Plötzlich leuchtet ein Schriftzug auf den NASA-Computern: WANK, das heißt „Worms against nuclear killers“. Eine Gruppe australischer Hacker hat sich Zugang zu einem der leistungsfähigsten Rechnersysteme der Welt verschafft! Eines ihrer Mitglieder soll zwanzig Jahre später zur Ikone all derjenigen werden, die daran glauben, dass das Knacken von Programmcodes auch Regierungen knackt: Julian Assange.
So steckt das zweite Charakteristikum der Doku ebenfalls schon im Intro, nämlich die
Konzentration auf die sichtbaren Köpfe von Wikileaks, zuallererst auf den Gründer Julian Assange. Er wird als hackender Heilsbringer eingeführt, der den nach 9/11 zunehmend omnipotenten US-Geheimdiensten seine radikale Freiheitsvision entgegensetzt: Wikileaks soll „erster Geheimdienst des Volkes“ werden. Assange, das weiß Gibney, trägt alle Merkmale von Wikileaks bereits in seiner Persönlichkeit. Er ist intelligent, kritisch gegenüber Großmächten, aber nie ganz zu fassen – ständig in Bewegung und charakterlich ambivalent, wie mit fortlaufender Filmdauer unübersehbar wird.
Die ganze Welt schaut zu
„We Steal Secrets“ ist chronologisch aufgebaut. Assanges Hacker-Pubertät, von einer dreijährigen Bewährungsstrafe gekrönt, folgt die Gründungsphase Wikileaks, inklusive der ersten Enthüllungen: Ein Leak brachte die Korruption in der Familie eines ehemaligen kenianischen Präsidenten an die Öffentlichkeit, ein anderer zeigt unverantwortliche Geschäftspraktiken der größten isländischen Bank kurz vor der Finanzkrise. Island ist ohnehin ein wichtiger Schauplatz, denn hier schnitten Wikileaks-Aktivisten das als „Collateral Murder“ bekannte Video, auf dem US-amerikanische Soldaten von einem Helikopter aus irakische Zivilisten töten. Doch die Filmaufnahmen waren nur Teil einer noch viel größeren Enthüllung. Im selben Jahr – 2010 – stellte Wikileaks mit den „Afghan War Diarys“ und den „Iraq War Logs“ die bisher größte Sammlung von öffentlich gemachten Kriegsdokumenten online. Sie belegen US-amerikanisch verantwortete Folter und zivile Opfer.
In Gibneys Doku markiert der wohl berühmteste Leak einen Wendepunkt. Mit dem Whistleblower Bradley Manning bekommt der Film eine neue Hauptperson – und er bekommt Tiefe, da sich die Frage nach der Verantwortung von Enthüllern stellt.
Angst vorm Leak
Bradley Manning war zum Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme mit Wikileaks gerade mal Anfang 20. Er arbeitete als Militäranalyst in Bagdad. Da der aktuelle Prozess vor einem Militärtribunal noch läuft, steht eine abschließende Bewertung seiner Rolle aus. Alles deutet jedoch darauf hin, dass er die Quelle für Wikileaks folgenreichste Publizierung ist. Diese Sicht vertritt auch Gibney. Er lässt Manning durch Zitate aus Chats zu Wort kommen, in denen sich der junge Mann dem Hacker Adrian Lamo anvertraute – der ihn an die US-Behörden verriet. So entsteht das intimste Porträt des Films. Ob es nötig war, auch den Identitätskonflikt Mannings auszuleuchten – der homosexuelle Mann möchte lieber als Frau leben -, sei dahingestellt. In jedem Fall belegt der Chat, dass Manning schwer mit sich haderte, die von ihm sichergestellten Dateien weiterzureichen. Es ist nicht leicht, das Richtige zu tun, wenn es die Freiheit kosten kann.
Nach Mannings Verhaftung verkomplizierte sich die Frage noch weiter – und für Gibneys Film spricht, dass dieser Punkt nicht übergangen wird: Sollte Wikileaks jetzt, da jedes Dokument prozessrelevant sein könnte, weiteres Manning-Material öffentlich machen? Assange entschied sich dafür. Aber was ist mit den Namen der in den Akten genannten Informanten, die den Amerikanern Hinweise gegeben hatten? Sollten die geschwärzt werden? Laut Gibney drängten New York Times, Guardian und Spiegel, die Wikileaks bei der Auswertung halfen, auf eine Schwärzung. Doch aus Zeitmangel sei Assange der Bitte nicht vollumfänglich nachgekommen – und habe einem Guardian-Reporter zufolge gar gesagt, Kollaborateure verdienten sowieso den Tod.
Die Realität ist grau
Spätestens nach dem Guardian-Zitat dürften Assanges leidenschaftlichste Anhänger Grund genug haben, im Kino die Vorstellung zu sprengen (oder wenigstens das Smartphone zu zücken und „We Steal Secrets“ in der Filmdatenbank imdb die niedrigste Wertung zu verpassen). Die Apologeten, unter denen sich Wikieleaks selbst befinden, ignorieren jedoch das Bemühen Gibneys um Ausgewogenheit. Ein Dokumentarfilmer kann, will er möglichst objektiv sein, nicht mehr tun, als unterschiedliche Stimmen einzufangen. Daran hält sich Gibney. Wenn dann drei ehemalige Weggefährten Assanges unabhängig voneinander zu dem Schluss kommen, dass sie u. a. aufgrund dessen autoritären Verhaltens nicht weiter mit ihm arbeiten wollen, darf Gibney das nicht unter den Tisch kehren. Im Übrigen hat er Assange nach eigenem Bekunden mehrmals erfolglos um ein Interview gebeten, für das dieser aber eine fürstliche Entlohnung eingefordert hätte – oder die Bespitzelung anderer Interviewpartner.
Viel Neues erfährt der kundige Zuschauer insgesamt jedoch nicht. Gibney hatte genug Arbeit, das Bekannte auf gut zwei Stunden Filmdauer zu komprimieren, was eine erhöhte Aufmerksamkeit auch auf Seiten des informierten Publikums verlangt. Das Geflecht von Personen, Orten und Ereignissen ist weit verzweigt und damit naturgemäß unübersichtlich. Je mehr Gibney aber seinen Film weitet, desto mehr stellt sich die Frage nach dem Wahrheitsgehalt. Ist „We Steal Secrets“ der Weisheit letzter Schluss in Sachen „Wikileaks“? Nein, natürlich nicht. Wer eine Doku daran misst, dass sie „die Wahrheit“ bietet, handelt vermessen. Gibneys Auseinandersetzung gebührt Lob, weil er sich der Wahrheit zumindest nähert. Seine Methode: Komplexität zulassen, trotz Personenfokus und Dramatisierung. So sieht Transparenz aus, die mit den Mitteln des Kinos gewonnen wird.
Und weil die Wikileaks-Geschichte geradezu danach schreit, auch im fiktionalen Kino Verwertung zu finden, wurde sie längst entsprechend adaptiert. Im Oktober dieses Jahres erscheint „Inside Wikileaks“ mit Daniel Brühl und Benedict „Sherlock“ Cumberbatch.
Ein Film über den anderen großen Enthüller unserer Zeit, Edward Snowden, liegt ebenfalls in der Luft. Produzent Nico Hofmann („Unsere Mütter, unsere Väter“) kann sich solch ein Projekt gut vorstellen – Amateurfilmer haben auf youtube schon mal vorgelegt.
Bild: thierry ehrmann (CC BY 2.0)