Das deutsche Bildungssystem hat Schwachstellen. Darüber herrscht inzwischen bundes- als auch landespolitische Einigkeit. Schwieriger wird es dann, wenn es darum geht, was sich verändern soll und wer eigentlich für die Veränderung zuständig ist. Offene und breite Diskurse darüber sind bisher bundesweit kaum wahrnehmbar.

Nach dem schlechten Abschneiden Baden-Württembergs bei der IQB-Bildungsstudie, einer regionalen Version des PISA-Tests, steht die Grün-Schwarze Landesregierung unter Zugzwang.  Die Antwort des Kultusministeriums Baden-Württemberg auf den Reformbedarf ist das vergangene Woche vorgestellte “Qualitätskonzept für das Bildungssystem Baden-Württembergs”. Darin setzt Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann verstärkt auf Qualitätsstandards, Kontrollmechanismen und klarere Zuständigkeiten. Wenige Antworten hingegen gibt das Konzept noch auf die wichtigen, wenn nicht entscheidenden Fragen: Wofür steht eigentlich Qualität in der Schule, wer entscheidet darüber und welche Anforderungen müssen erfüllt werden?

Deswegen haben wir mit dem Freiburger Realschullehrer, Bildungsreferenten und Blogger Dejan Mihajlovic über das Konzept gesprochen und ihn gefragt, was Politik leisten muss, um zeitgemäße Bildung möglich zu machen.

Herr Mihajlovic, Sie sind Lehrer an einer Freiburger Realschule und engagieren sich innerhalb und außerhalb Ihres Unterrichts auf vielfältige Weise für zeitgemäße Bildung. Zum grundlegenden Verständnis: Was bedeutet zeitgemäße Bildung für Sie? 

Unter zeitgemäßer Bildung verstehe ich, dass man Inhalte und Ziele von Bildung den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend immer wieder neu anpasst. Während der digitale Wandel in einem zunehmenden Tempo alle u.a sozialen, wirtschaftlichen, politischen Lebensräume durchdringt, bleiben die (Hoch-)Schulen davon weitestgehend unberührt. Junge Menschen werden dadurch immer weniger auf die Welt mit den bereits existierenden und immer komplexer werdenden Herausforderungen vorbereitet.

Gestern wurde ein ”Qualitätskonzept für das Bildungssystem Baden-Württemberg” vorgestellt um die “Schulqualität” durch “Bildungsmonitoring” und “datengestützte Schulentwicklung” zu verbessern. Was verstehen Sie unter Schulqualität? 

Unter Schulqualität verstehe ich, dass Schüler_innen die notwendige Unterstützung und maximale Förderung in allen Bereichen des menschlichen Daseins erhalten. Und das in einem Rahmen, in dem sie sich möglichst frei entwickeln können und wohl fühlen. Inwiefern das durch Bildungsmonitoring und datengestützter Schulentwicklung gelingen kann, wird sich zeigen. Auffallend bei der Vorstellung des Qualitätskonzepts erschien mir die vom Kultusministerium häufige Nutzung des Begriffs “Qualität”. In der kurzen Pressemitteilung habe ich ihn ganze 21 Mal gezählt. Auch dass man das eigene Konzept Qualitätskonzept nennt, ist natürlich legitim. Vielleicht sollte ich mich ebenfalls Qualitätslehrer nennen.

Für die Umsetzung von “professionellem Bildungsmonitoring” und “datengestützter Schulentwicklung” plant das Ministerium das “Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung” sowie das “Institut für Bildungsanalyse” einzurichten. Sind das adäquate Maßnahmen um strukturellen Schwachstellen des Bildungssystems in Baden-Württemberg zu begegnen?

Dass es strukturelle Schwachstellen im Bildungssystem Baden-Württembergs gibt, darüber scheinen sich alle Beteiligten einig zu sein. Eine schlankere und übersichtlichere Struktur klingt dabei nach einem vernünftigen Ansatz. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass so eine Schlankheitskur im Bildungssystem nicht selten darauf abzielt, den finanziellen Gürtel etwas enger zu schnallen. Deshalb bin ich auch darauf gespannt, welche Sprache die Zahlen am Ende der Umstrukturierung sprechen werden. Eine strukturelle Schwachstelle, die ich weiterhin unverändert sehe, ist der hierarchische Aufbau des Bildungssystems. Mit steigender Komplexität der Probleme wird kollaboratives Arbeiten auf Augenhöhe für nachhaltig erfolgreiche Lösungen immer notwendiger. Und für mich klingen die geplanten Umstrukturierungen nach mehr Kontrolle und nicht nach mehr Zusammenarbeit. Daten wurden übrigens auch in der Vergangenheit erhoben. Die Schwierigkeiten liegen bei der Interpretation und den daraus abgeleiteten Lösungsansätzen.

Stichwort Daten. Dem Konzept zufolge sollen sich sowohl Unterrichtspraxis als auch Lehrerfortbildung künftig an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Daten orientieren. Bildungsprozesse zu dokumentieren und auf “Wirksamkeit zu überprüfen” klingt doch erst einmal sinnvoll oder? Wo genau liegt das Problem bei diesen Maßnahmen?

Ich begrüße es, „dass sich die Unterrichtspraxis künftig am aktuellen Stand der Wissenschaft und auf der Grundlage abgesicherter Erkenntnisse ausrichtet“. Vielleicht beschleunigt das die notwendigen Reformen im bestehenden Schulsystem, die zeitgemäße Bildung ermöglichen. Was ich bisher nicht erkennen kann, ist die Einbindung des Potentials aller Lehrenden. Das wertvolle Wissen und die kostbaren Erfahrungen des Kollegiums müssen über persönliche Lernnetzwerke ausgetauscht und weiterentwickelt werden. Diese Qualität kann kein Zentrum oder Institut erreichen. Unterricht ist ein komplexer Mikrokosmos, der meiner Meinung nach durch keinen Umfragebogen erfasst und verstanden werden kann. Deshalb erscheinen mir sowohl Monitoring als auch Fortbildungen nur systemisch sinnvoll und wirksam. Die Maßnahmen bezüglich der Bildungsprozesse, die das neu geschaffene Institut für Bildungsanalysen ergreifen soll, ähneln im Übrigen stark dem Aufgabenbereich vom Landesinstitut für Schulentwicklung, das nun aufgelöst wird.

IMG_2354Dejan Mihajlovic ist Realschullehrer, Bildungsreferent bei d64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V. und stellvertretender Vorsitzender des Migrantinnen- und Migrantenbeirats in Freiburg. Der Fokus seiner Arbeit liegt auf der Frage nach der zukünftigen Gestaltung der Bildung. Hierbei liegen ihm besonders die Themen Partizipation und Bildungsgerechtigkeit am Herzen.

Die Daten für die Erstellung von “Qualitätsstandards” für Unterrichtspraxis und Fortbildungen, sollen unter anderem aus “Vergleichsarbeiten” stammen. Zentrale Klassenarbeiten für alle Schularten also, anhand derer “Transparenz bei den Schülerleistungen” hergestellt werden soll.

Dazu:

Ist die Leistung von SchülerInnen ein guter Indikator um die Qualität von Unterricht zu bewerten? 

Mit dem Begriff Qualität lässt sich gut werben. Mir ist er zu schwammig und setzt einen Konsens voraus, den weniger Menschen teilen als man allgemein vermutet. Es gibt sicherlich Merkmale für erfolgreichen Unterricht. Als erfolgreich würde ich ihn bezeichnen, wenn die Ziele der Lehrenden und Lernenden gleichermaßen erreicht werden konnten. Für mich geht es dabei aber mehr um Kommunikation als um Zahlen.

Ist die Standardisierung von Leistungen zu Vergleichszwecken sinnvoll?

Mit kritischem Blick in eine Zukunft, in der alles, was automatisiert werden kann, automatisiert werden wird, machen Leistungsstandards bei Menschen für mich weder für das einzelne Individuum, die Gesellschaft noch die Wirtschaft einen Sinn. Als Verfechter des vier K-Modells des Lernens, bin ich überzeugt, dass junge Menschen dazu befähigt werden müssen, unbekannte Hürden in einem sich ständig wandelndem Feld zu meistern. Statische Größen wie Leistungsstandards sind dabei nicht zielführend. Fähigkeiten wie Kreativität und kritisches Denken nehmen dabei an Bedeutung zu. Das können aus meiner Sicht Standardisierungen nicht leisten.

Sie haben drei Wünsche frei. Was wünschen Sie sich von der baden-württembergischen Bildungspolitik für zeitgemäße Bildung?

Ausreichend finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen, um sich als Schule mit den sich ständig wandelnden Herausforderungen in einem nicht endenden Prozess weiterzuentwickeln, mit dem Ziel, mündige und als Mensch gefestigte Generationen am Ende der Schulzeit verabschieden zu können.

 

Titelbild by: David Malecki on Unsplash

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