Im Rahmen des „Wirtschaftsdialogs zur Bekämpfung der Internetpiraterie“ werden am kommenden Donnerstag die Ergebnisse einer Anfang Februar veröffentlichen Warnhinweisstudie präsentiert. Dazu lädt das Bundeswirtschaftsministerium zunächst nur Rechteinhaber und Diensteanbieter ein. Verbraucher und Nutzer stehen nicht auf der Gästeliste.
Die Warnhinweisstudie wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) in Auftrag gegeben und von der Fachhochschule Köln unter der Leitung von Prof. Rudolf Schwartmann ausgearbeitet. Inhalt der Studie sind u.a. Vorschläge zur Umsetzung von Warnhinweismodellen bei Urheberrechtsverletzungen auf in Deutschland betriebenen Internetseiten. Darunter ist die Vorlage zur Einführung einer „Two-Strikes“ Regel. Demnach würde der Nutzer beim ersten Vergehen eine Verwarnung erhalten und bereits beim zweiten Mal mit Sanktionen rechnen müssen. Vorbilder dafür sind Länder wie Irland und Frankreich, die bereits etliche Einschränkungen für private Netzwerke vorgenommen haben, oder Großbritannien, wo die Vorratsdatenspeicherung gar gesetzlich festgelegt ist. Zudem werden die Provider dort vermehrt zur Verantwortung gezogen, denn sie müssen nach Verstößen der Nutzer suchen, um diese umgehend verwarnen zu können.
Die Reaktionen auf die Warnhinweisstudie fallen unterschiedlich aus. Im Lager der Befürworter finden sich große Medienkonzerne wie Sky Deutschland, Verwertungsgesellschaften wie die Gema und politische Vertreter der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Gegen Warnhinweise wehren sich insbesondere Verbraucherschützer und zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Digitale Gesellschaft e.V. und iRights.info sowie unabhängige Experten.
Warnhinweise als wirkungsvolles Mittel gegen Internetpiraterie?
Prof. Schwartmann kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass – wie man aus den gesammelten Erfahrungen schließen könne – Warnhinweise ein wirkungsvolles Mittel gegen Internetpiraterie sind. Eine offizielle schriftliche Verwarnung an die Verletzer von Urheberrechten im Netz sieht er als eine gute Möglichkeit, die Nutzer aufzuklären und gleichzeitig zu verwarnen.
In einer Pressemitteilung unterstützt der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Hans-Joachim Otto diese Einschätzung: “Die Studie ist eine wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion in puncto Bekämpfung der Internetpiraterie. Wir werden auf Basis der mit dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse den Dialog mit den Beteiligten aufnehmen und wollen noch im ersten Halbjahr 2012 zu einer Entscheidung kommen”.
Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU Günter Kings begrüßte die Studie der Kölner Forschungsstelle. Provider und Rechteinhaber sollten sich nun zügig auf ein praktikables Warnhinweismodell einigen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stehe hinter den zivilstrafrechtlichen Konsequenzen für die Internetnutzer ebenso wie hinter der Stärkung von Möglichkeiten der Selbstregulierung von Rechteinhabern und Internet-Serviceprovidern.
Gegenstudie: Warnhinweise rechtswidrig?
Strikter Gegner der Studie ist die Digitale Gesellschaft e.V. In einem Schattenbericht zur Studie warnt sie vor den Risiken derartiger Beschränkungen im Internet. Markus Beckedahl, Vorsitzender der Digitalen Gesellschaft meint: „Die Einführung einer Warnmodell-Infrastruktur ist vollkommen unsinnig und schafft eine gefährliche Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Internetanbieter und Hoster werden damit gleichzeitig zu Richtern und Hilfspolizisten in Personalunion gemacht“. In ihrem Bericht weist die Digitale Gesellschaft darauf hin, dass die bereits etablierten Warnmodelle im europäischen Ausland grund- und datenschutzrechtliche Probleme aufweisen. Ferner schlägt Beckedahl vor, die Energie statt in die Bestrafung der Nutzer lieber in den Aufbau von niedrigschwelligen und attraktiven Angeboten im Internet zu investieren.
In einer Gegenstudie, die am 1. März im Rahmen einer Veranstaltung des Branchenverbandes „eco“ mit dem Titel “Der verwarnte Nutzer – sollen Provider ihre Kunden maßregeln?” präsentiert wurde, kommt Prof. Hoeren von der Universität Münster zu dem Schluss, dass die angesprochenen Warnhinweismodelle aus vielfältigen Gründen rechtswidrig seien. Obendrein bestünden zahlreiche politische, praktische, technische sowie rechtliche Bedenken. „Zweifelhaft“ sei auch die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht, insbesondere jedoch mit deutschem Recht.
In einer YouTube-Videobotschaft hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Zusammenhang mit den ACTA-Diskussionen bereits am 8. Februar sinngemäß gesagt, dass von Internetsperren und Warnhinweisen abgesehen werden solle und es keinen Anlass gebe, das Urheberrecht diesbezüglich zu ändern. Demnach sollten auch nicht die Internetprovider zur Verantwortungen gezogen werden.
Weitere Stellungnahmen sind im Blog der Digitalen Linken zusammenfassend dargestellt.
Bis Donnerstag will Staatssekräter Otto die Vorschläge der Studie mit den betroffenen Unternehmen diskutieren. Laut einer Ankündigung des BMWi soll es im ersten Halbjahr 2012 zu einer Entscheidung kommen, in der dann die umfangreichen rechtlichen Fragen genauer geklärt und ausgelegt werden sollen. Konstantin von Notz schreib auf gruen-digital.de, dass die Bundesregierung an der konkreten Prüfung der Warnhinweismodelle und dem bisherigen Zeitplan festhalte.
Für die Provider und Hoster könnten die Folgen unangenehm werden. Mehrkosten und die Gefahr, sich dauerhaft bei den Nutzern zu unbeliebt machen, sind dabei nicht die einzigen Probleme. Sie riskieren vor allem ihre privilegierte Stellung in Haftungsfragen. Versäumen sie es künftig, bei einer Rechtsverletzung durch den Nutzer Verwarnungen zu verschicken, könnten sie im Rahmen der Störerhaftung selbst zur Verantwortung gezogen werden. Hoster müssten zudem illegale Inhalte schnellstmöglich löschen, sofern sie davon Kenntnis genommen hätten.
Update vom 16.03.2012: Ein vorerst befriedigendes Ergebnis
Gemeinsam mit Staatssekretär Hans-Joachim Otto vom BMWi konnten sich die Rechteinhaber und Diensteanbieter gestern Abend nicht auf ein Warnhinweismodell bei Urheberrechtsverletzungen auf freiwilliger Basis einigen. Konsens herrschte allerdings darüber, dass man nicht untätig bleiben dürfe und die Gespräche über Möglichkeiten zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Internet unbedingt fortgesetzt werden müssen.
Auf Grundlage von zehn potenziellen Maßnahmen für einen besseren Schutz des geistigen Eigentums sollen Aufklärungskampagnen der beteiligten Wirtschaftskreise und prominenter Künstler durchgeführt werden. Internetnutzer können vorerst aufatmen, denn einig war man sich darin, die Bekämpfung von Internetpiraterie primär an den Anbietern illegaler Inhalte festzumachen und nicht an den Usern. Dafür soll vor allem die internationale Ermittlungsarbeit verbessert werden, um gezielter gegen organisierte länderübergreifende Kriminalität vorzugehen. Begrüßt wurde auch eine Initiative der Rechteinhaber und der Werbewirtschaft für eine Verringerung von Werbung auf Portalen mit vermehrt illegalem Inhalt.