Gerade in Kriegszeiten ist eine ausgewogene Berichterstattung Aufgabe der Medien. Blogger zeichnen dagegen ein anderes, subjektives Bild von der Situation vor Ort und machen den traditionellen Onlinemedien damit die Deutungshoheit streitig. Eine Analyse.

 

„Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“. Bereits Bismarck stellt Kriege als Ausnahmesituationen, als Zeiten der Lüge, dar. Arthur Ponsonby betont sogar die Notwendigkeit der Lüge: In Kriegszeiten sei „die Erklärung der Wahrheit ein Verbrechen“.

Wie können angesichts dieser Lügenszenarien Journalisten agieren, deren erklärtes Ziel es ist, wahrheitsgemäß zu berichten? Die saloppe Antwort eines Regierungssprechers lautet: „Die oberste Regel im Krieg ist: niemals lügen. Die zweite: nie die ganze Wahrheit sagen“.

Was für den Journalismus angesichts seiner politischen und wirtschaftlichen Verstrickungen eine große Herausforderung zu sein scheint, könnte für Warblogs leichter zu realisieren sein: eine authentische Kriegsberichterstattung. So verhilft der jüngste Konflikt zwischen Israel und Libanon den Online-Kriegstagebüchern einmal mehr zum Ruhm.

Eine Bandbreite an Stimmen und Meinungen

Ähnlich wie 2003 im Irak tauschen sich derzeit im Nahen Osten viele Menschen online über den Krieg aus. Die aktuelle Warblog-Szene in der Krisenregion entwickelt sich dabei unter anderen Voraussetzungen als etwa die irakischen Kriegstagebücher. Am Nahostkonflikt sind vor allem Länder beteiligt, in denen zahlreiche Menschen über einen Internetanschluss verfügen. So präsentieren sich hier nicht nur einige vereinzelte Warblogger, sondern eine ganze Bandbreite an Stimmen und Meinungen wird im Internet laut. Kann dieses Potpourri an subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungsberichten eine Alternative zur Berichterstattung traditioneller Onlinemedien sein? Worin unterscheiden sich die Angebote?

Der 13. und 30. Juli 2006 sind ereignisreiche Tage im Nahen Osten. Das schlägt sich auch in den Medien nieder: Am 13.07. dominieren die Berichte über den ersten Großangriff der Israelis auf Beirut und Umgebung. Gut zwei Wochen später erregen die Bomben auf die libanesische Ortschaft Kana weltweite Aufmerksamkeit. Die Onlineausgaben von Süddeutscher Zeitung und Spiegel reagieren mit einer umfangreichen dossierartigen Berichterstattung, die sie noch am selben Tag online stellen.

Die Warblogger hingegen scheinen es mit der Aktualität weniger genau zu nehmen. Viele der Autoren posten nicht mehr am gleichen Tag einen Beitrag zu den Geschehnissen. Häufig bieten sie erst Tage später ausführliche Berichte an. Hinsichtlich der Aktualität laufen die Onlinemedien den Warblogs deswegen wohl den Rang ab.

Die Stärke der Warblogs liegt in den Augenzeugenberichten

Nicht jedoch in der Berichterstattung: sie ist gekennzeichnet durch die Wiedergabe von persönlichen Eindrücken. Die Stärke der Warblogs liegt in den Augenzeugenberichten, die teilweise schonungslos offen gelegt werden. So berichtet das Warblog
Anecdotes from a Banana Republic aus Beirut vor Ort in Kana. Die Bloggerin beschreibt, was er in den Trümmern der zerstörten Häuser gesehen hat: „Babyfotos, …, Handtaschen, …, Joghurtbecher, …, Berge von Mathematik- und Französisch-Hausaufgaben.“ Doch nicht immer sind die Augenzeugenberichte derart emotional besetzt, teilweise liefern sie auch nebensächliche Informationen: „Der Strom fiel für einige Sekunden aus“, schreibt der gleiche Blogger beispielsweise kurz nach Kriegsbeginn aus der libanesischen Hauptstadt.

Die Onlinemedien der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel hingegen berufen sich selten auf Augenzeugen als Quellen. Überwiegend werden dort offizielle Quellen wie Regierungen, Polizei oder Armee zitiert. Überhaupt dominiert die neutrale Art der Berichterstattung die traditionellen Onlinemedien. Die Analysen bei SZ und Spiegel Online zeichnen sich dadurch aus, dass sie den aktuellen Konflikt auf globaler Ebene erläutern und neben Reaktionen aus Europa, Amerika und Russland auch die Folgen für Börse und Tourismus zur Sprache bringen.

Diese Zusammenhänge bieten Warblogs nicht, sie geben Überblicksdarstellungen auf einer individuellen Ebene. Die Erfahrungswelt der Warblogger – und damit auch ihre Analyse – ist subjektiver. Der Konflikt wird in seinen Konsequenzen für den eigenen Alltag oder den der Landsleute analysiert. Durch diesen individuellen Bezug vieler Kriegstagebücher wirken ihre Beschreibungen emotional und wenig distanziert. Die Blogger verleihen dem mit ihren Insider-Informationen ein menschliches Gesicht. Das Warblog
The Muqata etwa berichtet über getötete israelische Soldaten und listet diese namentlich auf. Doch damit nicht genug: Sogar Ort und Datum ihrer Begräbnisfeiern werden veröffentlicht. „Seine Beerdigung findet um 16.30 Uhr auf dem Kiryat Sha’ul Militärfriedhof statt.“

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