Internetnutzer vertreten stärker linke und neoliberale Positionen als die Gesamtheit der Wähler.

Was Wahlforschung im Internet betrifft, so scheint sie auf den ersten Blick eher Experiment als Instrument zu sein: zu groß sind die Unterschiede zwischen allen Wahlberechtigten und denen, die man im Internet findet, als dass man mit Hilfe von Internetbefragungen ernsthafte Wahlprognosen ins Auge fassen könnte. Doch tatsächlich ändern sich mit der zunehmenden Bedeutung von Images von Parteien und Persönlichkeiten für die Wahlentscheidung die Ansätze und Anforderungen an die Wahlforscher. Während die Prognose der tatsächlichen Wahlentscheidung am Wahltag medienwirksames Prestigeinstrument aufwendiger und teurer Untersuchungen darstellt, geht es auf der Ebene der Wahlkampfstrategien um die Auffindung angehbarer Zielgruppen, die durch bestimmte Programminhalte, Darstellungsformen oder Politikerpersönlichkeiten sich kurzfristig gegen oder für eine Partei entscheiden können und damit den Wahlausgang mit entscheiden.

Die Stärke des Internet liegt genau in jenem zuletzt genannten Bereich: Befragungen lassen sich schnell, kostengünstig und zielgenau auf bestimmte Zielgruppen einstellen und die Qualität der Daten steht unter Berücksichtigung bestimmter methodischer Vorgaben bei der Stichprobenerstellung denen von Offline erhobenen Daten in nichts nach.

Dieser Beitrag zeigt die Grundzüge der Vorgehensweise der Internet-Wahlforschung auf und behandelt einige Ergebnisse, die die
Speedfacts GmbH im Auftrag von der
freenet AG analysiert hat.

Stichprobenverfahren

Empirische Untersuchungen mit Hilfe von Internetbefragungen weisen gegenüber telefonisch durchgeführten Untersuchungen in erster Linie einen grundlegenden Unterschied auf: Da gegenwärtig nur etwa 44 Prozent aller Deutschen (über 17 Jahren) das Internet nutzen und die Internetnutzer gleichzeitig z.B. gemäß ihrer Bildungs- und Altersstruktur gegenüber den Nichtnutzern erhebliche Differenzen aufweisen, können die Ergebnisse von Online-Befragungen nicht auf die Grundgesamtheit aller Deutschen übertragen werden. Diese triviale Erkenntnis ist insbesondere für Wahlprognosen relevant: Die Ergebnisse etwa der Sonntagsfrage (“Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären?”) aus online erhobenen Befragungen sind nicht dazu geeignet, den tatsächlichen Ausgang der Wahl zu prognostizieren.

Befragungen, die im Internet angelegt sind, können jedoch Ergebnisse liefern, die auf die Grundgesamtheit der Internetnutzer übertragbar sind. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es jedoch erforderlich, bei der Zusammenstellung der zu befragenden Stichprobe, eine Reihe methodischer Vorgaben zu berücksichtigen.

Üblicherweise werden in der Online Marktforschung Online-Panel eingesetzt, aus denen die Stichproben für Befragungen gezogen werden. Ein Online Panel besteht aus einer Vielzahl von Personen, die sich als Probanden für Online-Befragungen zur Verfügung gestellt haben. Diese Personen sind in einer Datenbank mit einer Reihe soziodemographischer Angaben und der E-Mail Adresse, unter der sie zu Befragungen geladen werden können, verzeichnet. Qualitätskriterium eines Panels stellt u.a. die Rekrutierungsform der Probanden dar: sie können offline und online, telefonisch oder per Pop-up im Internet zur Teilnahme an einem Panel eingeladen werden. Entscheidend für die Qualität der Rekrutierung ist dabei die Streuung der geladenen Nutzer.

Trotz dieser Anstrengungen sind die registrierten Mitglieder innerhalb eines Panels in ihrer Zusammensetzung keineswegs identisch mit der Grundgesamtheit aller Internetnutzer. Das Panel dient deshalb als Probandenpool, aus dem man für jede Befragung eine bestimmte Stichprobe ziehen und einladen kann. Strukturdaten der deutschen Internetnutzer werden dabei als Vergleichsbasis herangezogen, damit die Stichprobe in ihrer Struktur identisch mit der Grundgesamtheit der deutschen Internetnutzer ist. Nach Abschluss der Feldphase erfolgt der Feinschliff: die Daten werden noch einmal gemäß den Strukturvorgaben aus der Telefonstudie gewichtet, um mögliche Verzerrungen, die durch uneinheitlichen Rücklauf entstehen können, zu justieren. Leider gibt es unter den Instituten noch keine Einigung auf einheitliche Strukturdaten, diese ist aber dringend notwendig, um Internetbefragungen in ihren Ergebnissen vergleichbar zu machen.

Ergebnisse aus der Online Wahlforschung

Die deutschen Internetnutzer stellen gegenüber allen Deutschen eine selektive Gruppe dar, die im Durchschnitt sowohl eine höhere formale Bildung aufweist, als auch wesentlich jünger ist. Diese und andere Merkmale spiegeln sich deutlich in der politischen Haltung dieser Gruppe wider. Vergleicht man etwa die Ergebnisse der Sonntagsfrage aus Internetuntersuchungen mit offline durchgeführten Studien, so stellt man einen Hang der Internutzer ins linke und neoliberale Lager fest, der sich in einer verstärkten Präferenz der kleinen Parteien niederschlägt. Diese Zugewinne von Bündnis 90/Grüne, FDP und PDS gehen dabei eindeutig zu Lasten der CDU/CSU, die gegenüber den Offline-Erhebungen rund 10 Prozentpunkte zurückliegt.

Die verstärkte Neigung der Internetnutzer, sich den kleinen Parteien zuzuwenden, stellt jedoch weniger eine stabile Disposition, als vielmehr einen zeitlich geprägten Trend dar: die Untersuchung, für welche Partei die Internetnutzer bei der letzten Bundestagswahl gestimmt haben, macht deutlich, dass zwar der hohe Anteil an Grünen-Wähler stabil scheint, die hohen Stimmenanteile für die FDP und die PDS jedoch eine neue Entwicklung darstellen. Während bei der letzten Bundestagswahl nur 3,8 Prozent der Internetnutzer FDP gewählt haben (amtliches Endergebnis war 6,2 Prozent) und 4,2 Prozent PDS wählten (amtliches Endergebnis: 5,1 Prozent), geben im April 2002 immerhin fast 9 Prozent an, der FDP die Stimme geben zu wollen und 7,7 Prozent wollen die PDS wählen.

Erhebliche Verluste gegenüber 1998 erleidet hingegen die SPD. CDU/CSU gewinnt zwar auch unter den Internetnutzern im Vergleich zu 98 leicht hinzu – bleibt aber dennoch hinter der SPD zurück.

Die Zahlen zeigen, dass die Wahlforschung im Internet nur einen Ausschnitt aus der Gesamtbevölkerung analysieren kann. Dennoch scheint es sich um einen für die Parteien heute immer bedeutender werdenden Anteil der Bundesbevölkerung zu handeln: je mehr sich die Cleavages innerhalb der Bevölkerung auflösen, d.h. die traditionellen, klassenmäßigen Zugehörigkeiten an verhaltenssteuernder Bedeutung verlieren, umso größer wird jene Gruppe der Wechselwähler, die weniger der Tradition der Partei, als dem aktuellen Parteiprogramm und dem medienvermittelten Image verbunden ist. Diese Personengruppe findet sich verstärkt im Internet. Verstärkt ausgeblendet werden hingegen jene Milieus der Stammwähler, die sich durch eher niedrige Bildung und hohes Alter auszeichnen: etwa das traditionelle Arbeitermilieu.

Als Erhebungsinstrument für Wahlanalysen eignet sich das Internet in erster Linie zur Untersuchung bestimmter Zielgruppen: etwa den Wechselwählern, Erstwählern oder jenen bildungsprivilegierten Gruppen, die sich im Internet überdurchschnittlich häufig finden. Die Vorteile von Interneterhebungen liegen zum einen in der kostengünstigen Umsetzung von Befragungen, zum anderen in der Möglichkeit der Einbindung von Multimediadateien, deren Einsatz in Telefonstudien unmöglich ist. So lassen sich z.B. zuverlässige Profile von Politikern erstellen, die mit Foto eingeblendet ein vergleichsweise reales Abbild dessen liefern, was im TV-Wahlkampf Wirklichkeit ist. Darüber hinaus ist das Internet aber auch selbst längst Plattform des Wahlkampfs geworden, so dass sich für viele Untersuchungen, etwa jene, die eben den Wahlkampf im Internet betreffen, das Problem der gesamtheitlichen Repräsentativität ohnehin nicht stellt.

Erschienen am 02.05.2002