McKinsey, stern.de und T-Online mit neuer Methode der Online-Meinungsforschung

Online-Meinungsumfragen liegen im Trend: Sie sind kostengünstig, haben eine große Reichweite und erlauben dadurch differenziertere Aussagen als herkömmliche Umfragen. Der Haken: Online-Umfragen sind nicht repräsentativ. Dieses Problem wollen Wissenschaftler aus den USA und Deutschland nun gelöst haben. Mit der Online-Umfrage “Perspektive Deutschland”, deren Ergebnisse Ende März auf der Bundespressekonferenz präsentiert wurden, feierten die Initiatoren McKinsey, stern.de und T-Online den Durchbruch im Bereich Meinungsumfragen im Internet.

An “Perspektive Deutschland” beteiligten sich knapp 170.000 Personen, die via Onlinefragebogen zur zukünftigen Rolle des Staates, Engagement der Bürger, Arbeitswelt, Bildung und Finanzen befragt wurden. Die Ergebnisse: Jeder neunte Deutsche könnte sich vorstellen, selbständig zu arbeiten, zwei drittel der Bundesbürger sind bereit für verbesserte Hochschulbildung bezahlen, 90 Prozent der Bürger haben die Reform der Altersvorsorge akzeptiert, fast 50 Prozent der Befragten wollen eine erfolgsabhängige Bezahlung, 86 Prozent der berufstätigen Frauen mit Kindern im Vorschulalter möchte mehr arbeiten.

“170.000 Teilnehmer der Umfrage “Perspektive Deutschland”. Das ist eine Stimme, die gehört wird. In diesem Land kann man nicht über Desinteresse oder Verantwortungslosigkeit klagen”, sagte Schirmherr Lothar Späth zum Ergebnis.

Doch ist die Umfrage wirklich repräsentativ und damit aussagekräftig für ganz Deutschland? Glaubt man McKinsey, stern.de und T-Online, dann ja. Das Projekt wurde von einem wissenschaftlichen Beirat betreut, darunter Daniel McFadden, Universitätsprofessor in Berkeley und amerikanischer Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Professor Axel Börsch-Supan aus Mannheim, Professor Hans Gersbach aus Heidelberg und Professor Gerhard Schulze aus Bamberg.

Zusammen entwickelten sie eine Methode, mit der sie Online-Umfragen Repräsentativität verleihen wollen. Parallel zur Online-Umfrage wurden 2.700 Probanden von Infratest Burke Face-to-Face befragt. Auf Grundlage der soziografischen und psychografischen Daten der Offline-Umfrage wurde dann die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins eines Internetzugangs für bestimmte Bevölkerungsgruppen ermittelt. Auf Basis dieser Wahrscheinlichkeit wurden dann die Teilnehmer der Online-Umfrage gewichtet. In einem zweiten Schritt passten dann die Wissenschaftler die Verteilung demographischer Merkmale und Charakteristika an diejenigen der Offline-Umfrage an, um das Problem der Selbstselektion zu lösen und kamen so zu ihren Ergebnissen.

Auf Anfrage bei McKinsey sei das Ziel nicht das Ersetzen von Offline-Umfragen durch Onlineumfragen gewesen. Der große Vorteil eines so großen Gruppe von Befragten seien aber die Detailinformationen. Außerdem habe man die gewonnen Daten immer wieder mit großen und bekannten Bevölkerungsumfragen wie dem Mikrozensus verglichen, um die Qualität und Aussagekraft der Umfrage sicher zu stellen.

In der Wissenschaft und bei anderen Meinungsforschungsinstituten wird “Perspektive Deutschland” jedoch noch nicht als Durchbruch gesehen. “Letztendlich ist die Frage, ob so eine rechnerische Methode auch praktisch funktioniert. Wir benutzen eine ganz ähnliche Methode, um Repräsentativität in der Gruppe der Onlineuser herzustellen. Allerdings haben unsere Versuche mit Wahlanalysen gezeigt, dass sich dies nicht auf die Gesamtbevölkerung übertragen lässt”, sagt Jochen Hirschle, Mitarbeiter des Frankfurter Onlineforschungsinstitutes speedfacts. Auch bei forsa ähnliche Töne: “Prinzipiell lässt sich sagen, dass Onlineumfragen im Internet nicht repräsentativ sind und nicht repräsentativ sein können. In Deutschland geht man mittlerweile von etwa 50 Prozent Onlinenutzern in der Gesamtbevölkerung aus, da muss einfach klar sein, dass hier relevante Gruppen einfach fehlen. Nach meinem Wissen gibt es bis heute keine sozialwissenschaftlich gesicherte Methode, repräsentative Onlineumfragen im Internet durchzuführen”, sagt Thorsten Thierhoff, IT-Leiter von forsa. Auch der Wissenschaftler Bernard Batinic aus Erlangen kann die Aussagen von McKinsey nicht ganz teilen: “Die McKinsey-Studie ist vom Ansatz schon recht gut. Insbesondere der Vergleich einer Offline mit einer Online Stichprobe und das nach- trägliche gewichten der Onliner geht in die richtige Richtung. Jedoch lassen sich so nicht alle Verzerrungen beheben. Daher würde ich den Machern der Untersuchung auch nicht empfehlen sich bezüglich der Repräsentativität so sehr aus dem Fenster zu lehnen.”

Bei McKinsey ist man sich allerdings sicher, die erste repräsentative Online-Umfrage durchgeführt zu haben. Im Moment werden die Umfragedaten nachbereitet, die Vorstellung der Methode in einem der führenden wissenschaftlichen Magazine sei in Kürze geplant.

Erschienen am 02.05.2002