Über den Handel mit Wählerstimmen im Internet

Auf den letzten Metern vor der Wahlurne haben Berichte über Verkaufsangebote für Wählerstimmen nicht nur die Bundeswahlleitung aufgeschreckt. Über das Internet sind in den vergangenen Wochen gleich mehrere Varianten innovativer „Zweitstimmenkampagnen“ aufgetaucht. Bisher dominierten dabei eher plumpe Aufrufe zum Tausch „Stimme gegen Geld“, die Empörung und Besorgnis ausgelöst hatten. Angenehmerweise wurde dabei nicht der Überbringer der bösen Botschaft – das Internet – zur Rechenschaft gezogen. Tatsächlich eignet sich aber die neue Medienumgebung in hervorragender Art und Weise zum Handel mit Wählerstimmen. Besteht nun auch in Deutschland das Potenzial für einen florierenden Handel mit der kostbaren Währung der Demokratie?

Der Fall „Fortschritt“

Der schillernde Fall des Kieler Unternehmens „Fortschritt“ brachte es an die breite Öffentlichkeit – Wählerstimmen in Paketen von 1000 oder 10.000 Stimmen wurden im Internet über die Website
cashvote.com zum Kauf angeboten – zu haben für satte vier- bis fünfstellige Euro-Beträge. Der offenbar organisierte Handel mit vakanten Wählervoten wurde noch in der vergangenen Woche von Bundeswahlleiter Johann Hahlen als „pervers und hochkriminell“ eingestuft, konfligierten die Angebote doch mit einschlägigen Paragrafen des Strafgesetzbuches, die die Beeinflussung der Wahlentscheidung mittels Geld- oder sonstigen Geschenken untersagen (vgl. dazu
bei spiegel.de). Aber zu guter letzt entpuppte sich das unmoralische Angebot doch noch als naseweises Satireprojekt – zumindest stellt es sich als solcher auf der noch immer aktiven Website dar.

Schon vor der Cashvote-Aktion hatte es bereits Einzelofferten von Privatpersonen gegeben, die dazu Versteigerungsplattformen wie ebay.de genutzt hatten – und sich dadurch den Zorn der Anbieter zuzogen. Scheinbar ratlose Bürger wollten angesichts der „allgemeinen politischen Lage“ ihre Stimme meistbietend versteigern und nutzten dazu die praktische Internet-Plattform als Schaufenster für ihre politische Verzweiflungstat. Beinahe ebenso unvermittelt wie die Angebote zum bezahlten Ankreuzen erschienen waren, hatte das Online-Auktionshaus die umstrittenen Artikel wieder vom Netz genommen.

Vorbilder in den USA und GB

Dabei handelten die deutschen Online-Versteigerer in guter Tradition: auch in den USA und Großbritannien waren solche Stimm-Auktionen in den letzten Wochen vor Präsidentschafts- oder Unterhauswahlen an der Tagesordnung. Den Anfang machten vor zwei Jahren die US-Amerikaner. Bei der noch heute denkwürdigen Wahl von George W. Bush ins Weiße Haus hatte es bereits im Sommer 2000 über die Adresse „
voteauction.com“ Online-Offerten für Stimmenpakete in Einzelstaaten gegeben – die Aktion entpuppte sich jedoch als effektvolle „Performance“ des österreichischer Netzkünstlers Hans Bernhard aus dem Umfeld der Internet-Aktivistengruppe „eToy“. Ganz offenbar stand dieses Projekt Pate für die Kieler „cashvote“-Aktion.

Etwas mehr als einen Monat vor dem traditionellen Wahltermin im November 2000 hatte dann allerdings der Internet-gestützte Tausch von Wählerstimmen, das so genannte „Vote-Swapping“, seinen Lauf genommen: dabei wurden über verschiedene nicht-kommerzielle Online-Plattformen Wählervoten quer zu den Einzelstaaten vermittelt. Der wichtigste Unterschied zu den schnöden Stimmversteigerungen war das Tauschmedium: gehandelt werden sollten nicht Stimmen gegen Geld, sondern Stimmen gegen Stimmen. Genau diese feine Abweichung machte aus einem offensichtlichen Wahlbetrug eine subtil-subversive Form demokratischer Partizipation (vgl. zum
amerikanischen Vote-Swapping).

Ein zu erwartendes Echo dieser Ereignisse war im vergangenen Jahr in Großbritannien zu beobachten – aufgrund einer ähnlichen Wahlsystematik mit starrem Mehrheitswahlsystem bei einem stabilen Konkurrenzverhältnis zwischen „Labour Party“ und Conservative Party“ mit sporadischem Drittparteivorkommen hatte es hier ähnlich profitable Konstellationen gegeben. Folgerichtig hatten sich auch hier einige „Swapping-Sites“ gebildet, die das überalterte „First-Past-the-Post“-Verfahren kreativ kritisierten: Angebote wie tacticalvoter.net oder votedorset.net widmeten sich der Vermittlung von Wählerstimmen zur Unterwanderung des Wahlverfahrens und der „Umwertung“ verlorener Stimmpotenziale erzielen (vgl. zum
„Tactical Voting“ in Großbritannien).

Stimmenhandel in Deutschland?

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich nun wohl die Frage, wie hierzulande die Erfolgschancen für ein „Vote-Swapping“ stehen. Zunächst spricht vor allem der zeitliche Rahmen gegen das kollektive Wählen per digitalem Stimmentausch – um den Handel mit Wählerstimmen über „Peer-to-Peer“-Angebote noch etablieren zu können, ist es längst zu spät. Die Beispiele aus den USA und Großbritannien haben gezeigt, dass etwa ein Zeitraum von sechs bis acht Wochen nötig ist, um überhaupt messbare Effekte zu erzielen.

Ein anderer, weitaus wichtiger Hinderungsgrund ist selbstverständlich das komplexere deutsche Wahlsystem, das auf eine Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht setzt. „Tauschfähig“ wären hierzulande lediglich die Erststimmen für die Mehrheitswahl der Direktkandidaten im Wahlkreis, die nach dem Verhältniswahlrecht zu vergebende Zweitstimme ist nicht im Sinne des anglo-amerikanischen „Vote-Swappings“ übertragbar. Dies gilt selbstverständlich nur für die bei der Bundestagswahl angewendete Melange aus Verhältnis- und Mehrheitswahl – bei Wahlverfahren wie etwa den mehrstufigen Direktwahlen um Bürgermeisterposten wäre eine solche Stimmenvermittlung durchaus praktikabel.

Ein Beispiel

Mit etwas Phantasie wäre aber doch ein Anwendungsfeld für einen Stimmentausch zur Bundestagswahl denkbar, wenngleich die besondere Konstellation den Wählern erhebliche Flexibilität und viel Vertrauen aufnötigen würde. Ein denkbarer Ansatzpunkt wären nämlich die drei Direktmandate, die die PDS im Falle des Verfehlens der Fünf-Prozent-Hürde erringen müsste, um doch in den Bundestag einzuziehen.

Mit dem Wissen der inflationär auftretenden Umfragen und vor allem den offiziellen Daten der Bundeswahlleitung lassen sich mehrere aussichtsreiche Wahlkreise ermitteln, in denen die PDS-Direktkandidaten auf Tauschstimmen hoffen könnten – solche Wahlkreise liegen insbesondere im Osten Berlins, in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt (vgl. dazu die
Berechnungen der Bundeswahlleitung).

Erfolg versprechend wären dabei Vermittlungen innerhalb des linken politischen Spektrums – so könnte etwa ein Anhänger der Grünen in einem für die PDS aussichtsreichen Wahlkreis seine Erststimme der PDS zur Verfügung stellen. Zum quasi-paritätischen Ausgleich müsste im Gegenzug ein PDS-Wähler in einem anderen Wahlkreis seine Zweitstimme an die Grünen vergeben und so deren Stellung gegenüber der FDP stärken. Ähnliches gilt prinzipiell auch für einen SPD-Anhänger, sofern der Eigenkandidat im fraglichen Wahlkreis nicht selbst eine Chance auf das Direktmandat hat. Die genannten Beispiele zeigen, dass außerdem die unterschiedliche Bedeutung von Erst- und Zweitstimme den Tausch erschwert – schließlich entscheidet lediglich die Zweitstimme über die Verteilung der Bundestagsmandate, die Erststimme stellt nur eine ergänzende und personalisierende Komponente dar.

Für den Prozess des Stimmentauschs wäre die besondere Leistung der Online-Plattformen einerseits die Bekanntmachung entsprechender Konstellationen und umstrittener Wahlkreise, sowie außerdem die Kontaktherstellung zwischen interessierten Bürgern, die alle weiteren Absprachen dann direkt übernehmen müssten. Rechtlichen Problemen und Anfechtungen könnte dabei mit dem Verweis auf den informellen „Abmachungscharakter“ begegnet werden – aus diesem Grund waren auch die amerikanischen Tausch-Websites weniger als „Interventionsplattformen“ ausgelegt, sondern eher als „politische Kontaktbörsen“ getarnt.

Wahlartistische Fähigkeiten

Anhand solcher Überlegungen wird deutlich, dass der digitale Stimmentausch gewisse wahlartistische Fähigkeiten erfordert – und ein hohes Maß an Vertrauen zum Tauschpartner. In den USA und Großbritannien haben die wenigen Untersuchungen zum „Vote-Swapping“ gezeigt, dass ein solches Vertrauen tatsächlich oft in den Tauschakt eingebracht wurde. Darüber hinaus haben die Tauschplattformen vor allem einen Beitrag zur politischen Bildung und Aktivierung geleistet. Teilnehmende oder auch nur interessierte Bürger frischten auf diese Weise ihre Kenntnis des politischen Systems und des Wahlverfahrens auf. Als Resümee der anglo-amerikanischen Erfahrungen ist bislang fest zu halten, dass dem „Vote-Swapping“ als zwar risikoreichem, prinzipiell aber hoch-rationalem Wählerverhalten durchaus Zukunftschancen eingeräumt werden können.

Ähnliches hätte wohl auch hierzulande geschehen können, doch ist die Zeit dafür bereits abgelaufen. Die plumpen Versuche des Stimmenhandels über Internet-Auktionen werden vermutlich als kurze, für manchen auch teure Episode enden. Dennoch dürfte die auch bei zukünftigen Wahlen bevor stehende Diskussion um den Handel mit Wählerstimmen via Internet ein Vorgeschmack sein auf kommende Verwicklungen – insbesondere angesichts der Neueinteilung der Wahlkreise und der damit verbundenen, teilweise massiven Verschiebungen der Wählerpotenziale. Insofern könnte der profitorientierte Handel mit Stimmenpaketen auch ein Startsignal für kreative Überlegungen sein, ob es nicht doch Einsatzfelder für den digital vermittelten Stimmentausch gibt und damit eine legitime Modifikation der Stimmenverteilung innerhalb des personalisierten Verhältniswahlrechts möglich ist.

Ein ausführlicher Artikel von Christoph Bieber über den Stimmenhandel in den USA, Großbritannien und Deutschland erscheint am 20.9.2002 auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau.

Erschienen am 19.09.2002