USA-Experte Prof. Filzmaier erläutert das Vorwahlsystem in den USA, das aktuell auf seinen Höhepunkt zusteuert, den Super Tuesday. Und was ist der Junior Tuesday? Hier wird ihnen geholfen.
USA-Experte Prof. Filzmaier erläutert das Vorwahlsystem in den USA, das aktuell auf seinen Höhepunkt zusteuert, den Super Tuesday. Und was ist der Junior Tuesday? Hier wird ihnen geholfen.
Monatelang berichten europäische Medien, wer warum in den USA Präsidentschaftskandidat der Demokraten und Herausforderer von George Bush wird. Das amerikanische Wahlsystem ist aber ungeachtet aller Spekulationen weitgehend unbekannt. Was sind Vorwahlen eigentlich?
Wer darf kandidieren?
Die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten in den USA ist hochkomplex. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, als Kandidat einer Partei nominiert zu werden, oder eine Mindestanzahl von Unterstützungserklärungen zu sammeln. Das Nominierungsrecht (ballot access) der Parteien resultiert aus früheren Wahlergebnissen und kann daher auf manche Bundesstaaten beschränkt sein. Auch die Zahl der erforderlichen Unterschriften divergiert zwischen den Einzelstaaten, so dass sich viele – bundesweit unbekannte – Kandidaten lediglich in einem Staat bzw. oft sogar nur in einem Wahlbezirk der Wahl stellen.
Im Jahr 2000 versuchten beispielsweise 1.205 Personen für mindestens einen Bezirk Präsidentschaftskandidat zu werden. Insgesamt 16 Kandidaten schienen im Hauptwahlgang am 7. November 2000 in zumindest einem Bundesstaat auf den Stimmzetteln auf. Auch 2004 wird es eine vergleichbare Zahl von Kandidaten geben, von denen nur der Republikaner George Bush und sein demokratischer Herausforderer eine Chance haben.
Beide werden im Sommer auf den Bundesparteitagen (national conventions), die in Wahrheit reine Nominierungskonvente sind – bei den Demokraten vom 26. bis zum 29. Juli in Boston, für die Republikaner vom 30. August bis 2. September im Schlüsselstaat New York -, formell gewählt. Während es für Bush keinen parteiinternen Konkurrenten gibt, fällt die Entscheidung der Demokratischen Partei in den aktuellen Vorwahlen.
Machtkontrolle und Vietnam
Das heutige System der Vorwahlen, bei denen Wähler ihre Kandidatenpräferenzen abgeben, entstand als Reaktion auf die unkontrollierte Machtfülle der Parteiführer, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Nominierungskonvente beherrschten. Zum Wunsch nach mehr Demokratie kam nach dem Zweiten Weltkrieg die Einführung des Fernsehens, das Wählern ermöglichte Wahlkämpfe bundesweit zu verfolgen bzw. Kandidaten ermöglichte, Bürger ohne den Umweg über eine Parteiorganisation anzusprechen. John F. Kennedy oder Richard Nixon beispielsweise gelang es in den Vorwahlen gegen die vorherrschende Parteimeinung zu beweisen, dass ein katholischer Kandidat (Kennedy) bzw. ein vor 12 Jahren unterlegender Kandidat (Nixon) durchaus chancenreich sein können.
Definitiver Anlass für weitreichende Reformen war der turbulent verlaufende Nominierungskonvent der Demokratischen Partei 1968. Die Anti-Vietnam-Kriegsbewegung und die Ermordung des favorisierten Robert Kennedy hatten zu einer emotionalisierten Stimmungslage und ausschreitenden Demonstrationen am Rande des Parteitags geführt. Nachdem Vizepräsident Hubert Humphrey, der gar nicht an den Vorwahlen teilgenommen hatte, als Kompromisskandidat der Demokraten gewählt wurde, musste die Parteiführung der teilweise heftigen innerparteilichen Kritik begegnen. Es entstand ein Nominierungsprozess, der eine größere Beteiligung der Öffentlichkeit und höhere Repräsentativität der Kandidaten gewährleisten sollte.
US-Open
In Präsidentschaftswahljahren finden seitdem in den Einzelstaaten von Januar bis Juni die Vorwahlen der Parteien statt, wobei es diesen in jedem Staat freisteht, Modus und Typus der abzuhaltenden Vorwahlen festzulegen. Realiter führt dies zu höchst unterschiedlichen Praktiken, die nicht nur von Staat zu Staat abweichen, sondern auch innerhalb eines Bundesstaates zu unterschiedlichen Vorgangsweisen der Parteien führen können. Die Bevölkerungsgröße der Einzelstaaten bestimmt jedenfalls die Zahl der Delegiertenstimmen für den Nominierungskonvent.
Weitgehend durchgesetzt hat sich das System der primaries. Open primaries, in denen jeder Wähler ungeachtet seiner tatsächlichen Parteizugehörigkeit teilnehmen kann – d.h. sich im Wahllokal entscheidet, ob er an den Vorwahlen der Republikaner oder Demokraten teilnimmt – sind am häufigsten. Je nach Bundesstaat werden Kandidaten direkt gewählt oder Delegierte, die einen Kandidaten unterstützen, für den Bundesparteitag gewählt. In closed primaries sind nur Wähler stimmberechtigt, über ihren Kandidaten und dessen Elektoren zu entscheiden, die sich öffentlich als Anhänger der betreffenden Partei deklariert haben.
Caucuses, d.h. traditionelle Versammlungen von eingetragenen Parteianhängern zur Nominierung der Parteitagsdelegierten, wurden seit den siebziger Jahren zunehmend durch Varianten geschlossener bzw. offener Vorwahlen ersetzt. Bei closed caucuses wählen die registrierten Parteianhänger in einem Wahlsprengel/-bezirk Delegierte für die jeweils nächste Ebene (multi-staged caucus system). Auf der einzelstaatlichen Parteiversammlung wird schließlich über die Delegierten und Stimmen für einen Kandidaten auf dem Bundesparteitag entschieden. Obwohl dadurch der Entscheidungsprozess Monate dauert, wird der Wunschkandidat für das Präsidentenamt auf der untersten Ebene, d.h. in den ersten Parteiversammlungen, festgelegt. Vereinzelt gibt es noch open caucuses, wo nicht registrierte Parteisympathisanten auf einer Parteiversammlung entscheiden, sondern bei öffentlichen Treffen über potenzielle Kandidaten abgestimmt wird.
Offene bzw. geschlossene Vorwahlen können nach dem “winner takes all” Prinzip der relativen Mehrheitswahl durchgeführt werden oder dem Verhältniswahlsystem folgend in einer proportionalen Zuordnung der jeweiligen Delegiertenstimmen resultieren. Weiter können die Ergebnisse der Vorwahlen für die gewählten Parteitagsdelegierten verpflichtend (binding) sein, nur empfehlenden Charakter haben (non-binding) oder ausschließlich Kandidatenpräferenzen zum Ausdruck bringen (“beauty-Contests”).
Rauchige Hinterzimmer
Die von den Reformen 1968 ausgehenden Veränderungen des Vorwahl- und Nominierungsprozesses haben den Stellenwert politischer Parteien weiter verringert. Finanzstarke und schlagkräftig organisierte Bewerber können sich auch gegen den Willen des Partei-Establishment als Vorwahlkandidaten durchsetzen. Das zeigte die Kandidatur von Bob Dole 1996, an dessen Siegchancen führende Parteieliten der Republikaner von Beginn an Zweifel äußerten. Die Öffnung des Nominierungsprozesses bedeutete zugleich das Ende der favorite son-Kandidaturen, die von Parteiführern in den legendären “smoked filled rooms” ausgehandelt wurden. Gleichzeitig haben die Massenmedien eine immer einflussreichere Rolle im Nominierungsprozess, dessen Spielregeln zunehmend der Medienlogik folgen.
Traditionell finden die ersten Vorwahlen mit echtem Testcharakter als primaries in New Hampshire bzw. als caucuses in Iowa statt. Entsprechend intensiv sind daher die Bemühungen um die wenigen Delegiertenstimmen aus New Hampshire, weil das Medienecho und die bundesweite Signalwirkung (New Hampshire-momentum) eines Vorwahlerfolges im traditionell ersten Vorwahl-Staat unverhältnismäßig groß ist. Schließlich gab es 2004 nur 27 bzw. der 0,6 (!) Prozent der Delegiertenstimmen zu gewinnen. Howard Dean als vermeintlicher Favorit verlor aber am 27. Januar in New Hampshire alle Vorschußlorbeeren. John Kerry wurde parallel dazu von einem Tag zum anderen als Siegertyp gepriesen.
Super und Junior Tuesday
Besondere Bedeutung kommt den Vorwahlen in Kalifornien als bevölkerungsreichstem Staat mit rund 34 Millionen Einwohnern zu. Eine (Vor-)Entscheidung fällt daher 2004 spätestens nach dem Super Tuesday, der seit 1988 im März – diesmal am 2. März – stattfindet, und an dem sich Vorwahlen in Kalifornien und insgesamt 10 Einzelstaaten ereignen.
Von 4.322 Stimmen für den Bundesparteitag der Demokraten werden am 2. März fast ein drittel (1.408) vergeben, davon allein 440 in Kalifornien. Ein vom Ergebnis dieses Tages abweichender Vorwahlausgang ist fast nur noch mathematisch-theoretischer Natur. Eine allerletzte Veränderungschance ergibt sich, obwohl die Vorwahlen bis Juni dauern, höchstens noch am 9. März als “Junior Tuesday” mit Vorwahlen in den vier großen Staaten Florida, Louisiana, Mississippi und Texas. Doch spätestens dann kennen wir den Gegner von George Bush.
Der Autor Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Klagenfurt und Autor des Buches Wahlkampf um das Weiße Haus: Präsidentschaftswahlen in den USA (Opladen, Leske&Budrich 2001).