Ein Bericht über den politischen Hintergrund der Neuwahlen. Das vieles in Österreich anders ist, zeigt sich dieses Jahr wieder deutlich. Die Regierungskoalition zerbrach und die beiden großen Parteien, SPÖ und ÖVP, liegen Kopf an Kopf. Der Wahlausgang bleibt ebenso spannend wie die möglichen Regierungskoalitionen.
Am 4. Februar 2000 wurde in Wien die Koalition zwischen der konservativen (
ÖVP) und der freiheitlichen (
FPÖ) Partei Österreichs amtlich. Damit kam die populistische FPÖ unter der Führung Jörg Haiders nach 14 jährigem Warten erstmals in den Genuss von Regierungsverantwortung. Nach internationalen Protesten gegen diese Regierungsbeteiligung, am prominentesten die „EU- Sanktionen“ gegen Österreich“, trat Jörg Haider im Mai 2000 von seinem Amt als Parteiobmann zurück, um den Gegnern der Regierung weniger Angriffsfläche zu bieten und die Überlebenschancen seiner Partei in der Regierung zu erhöhen. Haider war Parteiobmann der Freiheitlichen von 1986-2000. Die Partei verdankte ihm aufgrund seines populistischen Kurses einen 22 prozentigen Stimmenzuwachs von rund 5 Prozent 1983, vor Haiders Machtübernahme, auf fast 27 Prozent im Jahr 1999.
Trotz mehrmaliger Beteuerung seines Rückzuges aus der Bundespolitik sorgte Haider jedoch auch nach seinem Rücktritt oft für Aufsehen. So zum Beispiel mit provokanten programmatischen Ansagen gegen die Linie der oft als pragmatisch und gemäßigt bezeichneten Regierungsmannschaft um Vizekanzlerin und neue Parteichefin Susanne Riess-Passer, oder mit Beschimpfungen in- und ausländischer Politiker und seinen dreimaligen Irakreisen, wobei er bei zwei Gelegenheiten mit dem Diktator Saddam Hussein zusammentraf, zuletzt Mitte November, zwei Wochen vor der Nationalratswahl.
Die Spannungen innerhalb der Partei drohten diese zu zerreißen: auf der einen Seite die an pragmatische Sachzwänge gebundene Regierungsmannschaft, auf der anderen Seite der populistische Oppositionsführer Haider, der sich mit seinen Anhängern nun in einer Regierungspartei befand und sich, formal entmachtet, in Ton und Auftreten nicht mäßigen wollte.
Das Scheitern der Koalition im September 2002
Am 9. September 2002 zerbrach diese Regierungskoalition. Die Schlüsselfigur dabei war der Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Kärnten, Jörg Haider. Nach der europaweiten Flutkatastrophe im August, die auch in Österreich enorme Schäden verursachte, beschloss die Regierung zur Finanzierung der Folgekosten eine Verschiebung der für 2003 geplanten Steuerreform. Haider, selbsternannter „Anwalt des kleinen Mannes“, bestand auf einer Steuerentlastung kleiner Einkommen im Jahr 2003. Zudem forderte Haider, die 2.4 Milliarden Euro für eine Steuersenkung zu verwenden, die für den nach kontroversen Diskussionen ob dessen Notwendigkeit beschlossenen Kauf von 24 neuen Abfangjägern vorgesehen waren.
Die FPÖ- Regierungsriege bestand auf ihren Beschlüssen zum Kauf der Abfangjäger und der Verschiebung der Steuerreform, woraufhin Haider seinen immer noch enormen Einfluss in der Partei nutzte, um eine massive Bewegung der Parteibasis gegen die FPÖ-Regierungsmannschaft und deren Pläne zu mobilisieren.
Als mehrere Vermittlungsversuche zwischen den beiden innerparteilichen Lagern scheiterten, trat Parteichefin und Vizekanzlerin Susanne Riess- Passer gemeinsam mit Fraktionschef Peter Westenthaler und Finanzminister Karl-Heinz Grasser von ihren Parteiämtern zurück. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) beschloss in Folge der Selbstauflösung seines Koalitionspartners, die Zusammenarbeit zu beenden und rief Neuwahlen aus.
Die Lage in den Umfragen- ein Fotofinish
In der letzten Woche vor der Wahl erinnert die Lage in den Umfragen sehr an die Lage im deutschen Wahlkampffinish. Die beiden großen Parteien, SPÖ und ÖVP, liegen Kopf an Kopf bei 35- 38 Prozent. Die beiden kleinen Parteien, FPÖ und
Grüne, liegen ebenfalls gleich auf bei 10-12 Prozent. Die ÖVP würde nach den Umfragen ihr Ergebnis von 1999 um fast 10 Prozent verbessern und ist möglicherweise in der Lage, nach 35 Jahren wieder stimmenstärkste Partei zu werden. Die FPÖ erreichte 1999 27 Prozent und würde nach den Umfragen 15-17 Prozent verlieren, immerhin fast zwei Drittel ihrer Wähler. Die Grünen sind erstmals in der Lage, sowohl drittstärkste Partei zu werden als auch in die Regierung zu kommen.
Im Unterschied zu Deutschland kann man in Österreich aber nicht von einem Lagerwahlkampf sprechen. Die ÖVP lässt sich alle Optionen offen, die SPÖ lässt sich zwei gleichberechtigte Konstellationen offen (mit ÖVP und Grünen), schließt traditionell die FPÖ als Partner aus und lässt in letzter Zeit auch keine Präferenz mehr für Rot-Grün erkennen. Die Grünen „betteln“ beinahe um eine Festlegung der SPÖ auf Rot-Grün, während die FPÖ sich die Möglichkeit einer Wiederauflage von Schwarz- Blau offen hält (Haupt), sich aber auch schon auf die Opposition festlegt (Haider). Hier ist die Positionierung etwas unklar. Das Rennen ist in den letzten Tagen vor der Wahl nicht nur bezüglich des Wahlergebnisses offen, sondern auch hinsichtlich der Regierungskonstellation.
Erschienen am 21.11.2002
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