Der Wortwitz ist zurückgekehrt. Im Wahlkampf des Jahres 2013 bemühen sich fast alle Parteien, Hape Kerkelings Weisheit, wonach „Witzischkeit“ keine Grenzen kenne und kein Pardon, aufs Schärfste zu bestätigen. Oder eher zu widerlegen? Sorgt der Appell ans Zwerchfell für die richtige Entscheidung? Treiben Lächeln und Schmunzeln in die Wahlkabinen? Stützen sie die freie Gesellschaft?

Diese Frage gilt es unbedingt zu stellen. Gar zu neckisch präsentieren sich die Parteien. Demokratie – so die Botschaft – kann Spaß machen, darum sind wir, die Politiker, lustige Gesellen, für jeden Schabernack zu haben. Der gemeinsame Feind der Parteien ist der Bierernst. Die große Koalition der Komiker regiert mit absoluter Mehrheit. Leicht soll daher kommen, was oft nur anbiedernd flapsig ist. Cool will man sein um jeden Preis. Die einst den Deutschen nachgesagte Schwere und Gedankentiefe wurden gründlich exkommuniziert.
FDP-Spitzenmann Rainer Brüderle hält im Werbespot seine Wahlrede in einem gemütlichen Café. Der Lebemann aus der Pfalz schmiert Butter auf eine Scheibe Schwarzbrot und sagt treuherzig, „Menschen, die hart arbeiten – denen darf man nicht die Butter vom Brot nehmen.“ Er führt ein Löffelchen vom Frühstücksei zum Munde und erklärt, „Rot-rot-grün ist nicht das Gelbe vom Ei“. Beide Redewendungen werden zu komischen Zwecken aus der uneigentlichen in die eigentliche Bedeutung zurückgeführt.

“Licht aus, Spot an”, so heißt das Motto unserer Kolumnenreihe “Wahlspots”, in der ausgewählte Autoren ihren Fokus auf spannende Phänomene und Geschichten des aktuellen Bundestags-wahlkampfs richten. Wöchentlich erscheinen die Texte sowohl auf politik-digital.de als auch auf cicero.de.

Nach demselben Muster verfährt die bayrische SPD. Auch sie nimmt einen uneigentlichen Ausdruck wörtlich. Sie zeigt in einer Plakatkampagne, die breiten Spott erntete, Menschen, die die rot eingefärbte Buchstabenfolge W-O-R-T halten. Anlass des Bilderrätsels: Spitzenkandidat Christian Ude verspricht, sein Wort zu geben, sein Wort zu halten. Und also gab man den berühmten „Menschen da draußen“ eine Laubsägearbeit mit dem Schriftzug „Wort“ in die Hände. Der Schuss ging nach hinten los und könnte die SPD weit unter die 20-Prozent-Marke drücken. Man lacht über diese alberne Idee des Nebenerwerbskabarettisten Ude, man lacht nicht mit ihm über die anderen Politiker, die solchermaßen als wort- und verantwortungs- und humorlos gebrandmarkt werden soll.
Humor ist der gefährlichste Sprengstoff im Wahlkampf. Wo er explodiert, welche Instinkte er weckt, ist kaum kalkulierbar. Andererseits sind die Parteien und ihre Berater versessen auf den humoralen Rohstoff, kann er doch Kandidat und Bürger ohne den Umweg über das Argument aneinander ketten. Er kann sogar, im Idealfall, Botenstoff der Argumente sein und diese in Kopf und Nervensystem zugleich verankern. Wer über den eierköpfenden Brüderle immer wieder schmunzeln muss, hat vielleicht die Warnung vor Rot-rot-grün tief abgespeichert, jenseits des Cerebrums.
Auch die „Grünen“ sind mit ihrem angestrengten Versuch, einen Wortwitz zu verbildlichen, sehr kurz gesprungen. Sie fordern „Mensch vor Bank“ und zeigen dazu einen Mensch, der übellaunig vor einer Parkbank steht. Das simple Phänomen des Homonyms soll die Lachmuskeln reizen und ist doch nur ein Studentenulk. Dass er es auf die offiziellen Plakate geschafft hat, zeigt einmal mehr: Zum Ernsten, Schweren haben die Parteien kein Verhältnis. Sie wollen nur spielen. Das gilt auch von den „Piraten“, die in Berlin mit einem fülligen Spitzenmann werben und dem Motto „Big Brother is watching you“. Unter Gerwald Claus-Brunners Fittiche soll man gerne fliehen, so die spaßig gemeinte Drohung.
Unernst gibt sich – wenngleich rein verbal – die Linkspartei auf volkspädagogisch anmutenden Schrifttafeln: „Teilen macht Spaß: Millionäre besteuern!“ Schmunzeln soll der linke Sympathisant über den Begriffstausch von Zwangsabgabe und Teilen, das hier natürlich das Teilen der anderen meint und den eigenen Beutel ungeschoren lässt. Den Restmut zum Ernsten haben sich lediglich SPD und CDU bewahrt, wenn sie dekretieren: „Das Wir entscheidet. Sie haben es in der Hand“ und „Weil jeder zählt. Das Ganze im Blick.“ Die Sprechblase ersetzt den Klamauk.
Deutschland in der Mitte Europas steht vor enormen Herausforderungen. Es könnten die größten sein seit Gründung der Bundesrepublik. Die Verantwortung der Parteien, die den künftigen Bundestag dominieren, wird immens sein. Einstweilen aber erleben wir die letzten Ausläufer der kommoden Republik, eines idyllischen Fleckchens Land, sommerlich beschienen, im gewohnten Gleis der Behäbigkeit. Dieses Klima bilden die Parteien im Wahlkampf ab. Spaß soll herrschen, ein letztes Mal. Der Unterscheid zwischen dem, was auf dem Spiel steht, und der Rhetorik der wichtigen Spieler kann nicht größer sein. Nach der Wahl wird sich die Schere schließen. Dann ist Schluss mit lustig.
Alexander Kissler ist Ressortleiter Kultur beim Monatsmagazin „Cicero
Bilder: m.p.3. via flickr, Rainer Sturm via pixelio.de