Wie US-Wahlkampfmanager Dick Morris auf den Marler Tagen der Medienkultur den deutschen Wahlkampf kritisiert
„Da stehen wir vor dem typischen Medienproblem: das Event schlägt die Substanz“, sagt der Leiter des
Adolf-Grimme-Instituts Bernd Gäbler. Hatte er zuvor noch der Politik vorgeworfen, sich allzu „distanzlos dem Fernsehen zu unterwerfen, weil es ihr an Substanz mangelt“, wurden die Tagungsteilnehmer der Marler Tage der Medienkultur nun Zeugen dieses Medienphänomens. Schon frühzeitig hatte Gäbler den weltweit wohl bekanntesten Spin-Doctor Dick Morris, Ex-Wahlkampfmanager von Bill Clinton und Vorbild vieler deutscher Politikberater und Wahlkampfstrategen, zur Konferenz „TV-Duelle, Spin-Doktoren und Guidomobil – Medien und Politik im Wahlkampf“ nach Marl eingeladen.
Am 6. September 2002 äußert sich Morris erstmals vor laufenden Kameras zum Bundestagswahlkampf 2002 in Deutschland und unterzieht beide Spitzenkandidaten von SPD und CDU sowie deren Themenwahl einer provozierenden Kritik. Der US-Starberater erläutert seine Aussagen in einer sehr einfachen, bildhaften Sprache. „Der Wahlkampf in Deutschland ist so langweilig“, meint Morris. „Denn es gibt zwei Kandidaten, die nicht wissen, wie ihre Botschaften bei den Wählern ankommen.“ Weder Schröder noch Stoiber hätten verstanden, worin der Knackpunkt aller Politik in diesem Jahrzehnt eigentlich liegt. Morris erklärt: „Wirtschaft und Politik entwickeln sich immer stärker auseinander. Den Wählern ist klar, dass weder der deutsche Bundeskanzler, noch der französische oder der amerikanische Präsident wirklichen Einfluss auf die globalisierte Ökonomie haben. Die wird von internationalen Banken, Top-Managern und Behörden bestimmt, und von Märkten, die niemand kontrolliert.“
Der strategische Ex-Berater Bill Clintons
Dick Morris war leitender Wahlkampfmanager vor der zweiten Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. 1996 wurde er von Clinton wegen einer Affäre entlassen. Heute arbeitet er als Kommentator für Fox News Channel und freier Autor. Er schreibt wöchentlich für die New York Post und betreibt eine eigene Internetseite
www.vote.com.
Wie die Regenmacher
Und was ist das Problem? „Die Wähler begreifen, dass ein Politiker, der Arbeitsplätze verspricht, genauso gut Regen versprechen könnte. Er verspricht, was er nicht halten kann“, so Morris. Nach seiner Ansicht sollten Schröder und Stoiber stattdessen folgende Themen in den Vordergrund rücken: „Umwelt, Bildung, Gesundheit, Renten, Kriminalität, Einwanderung und andere nicht-ökonomische Fragen, die sie auch tatsächlich beeinflussen können.“ Als Chirac Kriminalität zum Wahlkampfthema in Frankreich machte, sei er gewählt worden. Als Jospin über gerechtere Einkommen gesprochen habe, schaffte er es nicht einmal in die Endrunde. Als die britische Labour Party Arbeitsplätze und Einkommen thematisierte, habe sie verloren. Aber als Tony Blair das Gesundheitswesen, Bildung und Kriminalität in den Vordergrund gestellt habe, gewann er seine Wahl in Großbritannien.
Überaus erstaunlich an der freien Rede des US-Spin Doctors war, dass ausgerechnet ein amerikanischer Starberater die übertriebene politische Inszenierung der beiden Spitzenkandidaten im Wahlkampf 2002 scharf angriff. „Es sieht aus wie ein Schönheitswettbewerb“, kritisiert Morris. In der Politik gehe es aber um Inhalte, nicht um die Verpackung. Nicht auf Stil und Image komme es an, sondern auf die Themen und die intellektuelle Substanz der politischen Botschaft.
Ein letzter Hinweis an Schröder und Stoiber, um laut Morris die Bundestagswahl am 22. September 2002 zu gewinnen: „Shut up about economy!“ Im
tacheles.02 spezial Chatduell zum „zweiten TV-Duell“ mit Jo Groebel und Christoph Bieber (
Transcript des Chats) wurde bereits von den Experten bemerkt, das zumindest Schröder die Kritik Morris wahr genommen zu haben scheint. In knapp einer Woche wird sich zeigen, ob Morris Auftritt eine bloße Inszenierung des kleinen, großen Mannes selbst war oder die Substanz seiner Strategie wirklich zum Event für den derzeitigen Bundeskanzler führt.
In seiner aktuellen Buchveröffentlichung „Power Plays“ fasst er seine Strategien wie Kochrezepte zusammen und unterlegt diese mit Beispielen bedeutender Politiker wie Churchill bis Bush. Ganz sicher ist Morris davon überzeugt, dass das Internet die politische Landschaft in Zukunft stärker prägen wird als alle anderen Medien.
Erschienen am 12.09.2002
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