Bei der Einführung der TV-Duelle wurde demokratisches Potenzial verschenkt
Seit vergangener Woche ist es amtlich – auch Deutschland tritt ein in den Kreis der Länder, deren politische Medienkultur ein “Fernsehduell” hervor gebracht hat. Mit diesem Premiumformat des Politainment verbindet sich allenthalben die Hoffnung auf einen perfekt inszenierten Showdown der Spitzenkandidaten, der Politikern und Medien in der heißen Vorwahlzeit im Herbst Spitzenquoten bescheren soll: zunächst auf dem Schirm, danach an der Urne. In der zuletzt eifrig geführten Debatte um Themen, Teilnehmer und Termine wurde häufig der Vergleich mit dem Mutterland der TV-Duelle gezogen – ein ganz wesentliches Element der US-amerikanischen Debattenkultur blieb dabei allerdings außer acht. Die glitzernde Fassade der generalstabsmäßig durchorganisierten und durchgestylten “Presidential Debates” hat offenbar den Blick verstellt auf die dahinter liegende Organisationsform: die “Commission on Presidential Debates” (CPD).
Seit 1987 gestaltet, koordiniert und entwickelt diese überparteiliche Non-Profit-Organisation sämtliche Fernsehdebatten im Rahmen der Präsidentschaftswahlen – und übernimmt gleichzeitig die Suche nach Sponsoren, sie führt eine umfangreiche Begleitforschung durch und berät darüber hinaus interessierte Staaten bei der Etablierung eigener Debattenformate – Brasilien, Südafrika, Taiwan oder Namibia gehörten laut
CPD-Website zu den Ratsuchenden. Deutschland offenbar nicht, denn das mühsame Tauziehen zwischen Wahlkampf- und Medienmanagern um Sendezeiten und -formate hätte dann wohl gar nicht stattgefunden.
Die vielen Vergleiche, die zurzeit hierzulande mit historischen Events der Debattengeschichte gezogen werden, beschränken sich stets auf das am Bildschirm sichtbare Endprodukt und die einstudierten “Actings” der sich bis in Frisur und Krawatte gleichenden Kombattanten am Redepult. Auch die Agenten der Fernsehsender haben sich bei ihrer “Feldforschung” auf die Formalia beschränkt, etwa auf die Länge des rigiden Frage-Antwort-Schemas, Anzahl der Moderatoren, die Gestaltung des Ambientes oder die ergonomische Positionierung der Hauptdarsteller. Offenbar unbeachtet blieb jedoch die formale Einbettung der Debatten in den Wahlkampf durch die Schaffung einer zentralen Koordinierungsstelle.
Die Basis für die Gründung der “Commission on Presidential Debates” wurde gelegt in zwei Studien, die Mitte der 80er Jahre entstanden sind und Empfehlungen für die weitere Organisation und Durchführung dieses zunehmend wichtigen Wahlkampfereignisses aussprachen. Hauptargumente für die Institutionalisierung der TV-Debatten waren die Tatsache, “dass Kandidatenforen schon im Nominierungsprozess ein Fakt des politischen Lebens” geworden seien, “als wichtiger Faktor” im Wahlkampf “von den amerikanischen Bürgern erwartet werden” und mit den TV-Duellen “das Interesse der Öffentlichkeit an der Wahl” gesteigert werden könne. Von nicht unerheblicher Bedeutung war dabei die besondere historische Situation von 1988, als zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht Amtsinhaber und Herausforderer, sondern zwei Neulinge um das höchste Amt im Staate konkurrierten.
Während die CPD also zunächst als eine Art “joint venture” zwischen republikanischer und demokratischer Großpartei konzipiert war, hat sich die Kommission inzwischen zu einem ausbalancierten Gremium innerhalb der auch in den USA komplexer gewordenen Parteienlandschaft entwickelt. Neben der Verantwortung für Organisation, Durchführung und Finanzierung der Debatten hat die CPD präzise Regularien für die Zusammensetzung der Diskussionen, deren Terminierung und TV-gerechte Aufbereitung bis hin zur Auswahl der Veranstaltungsorte entwickelt.
Dabei werden etwa im “Candidate Selection Process” im Vierjahresrhythmus neue Kriterien für die Zusammensetzung der Debatten entwickelt. Im Jahr 2000 galten neben der verfassungsmäßigen Wählbarkeit der Nachweis des “Ballot Access”, also des Erscheinens auf einer ausreichenden Zahl von Wahlzetteln, sowie Indikatoren für eine Unterstützung von mindestens 15 Prozent der Wählerschaft. Dieses wohl wichtigste Kriterium wurde anhand der Prognosen von fünf ausgewählten Meinungsforschungsinstituten ermittelt.
Neben der akkuraten Normierung der TV-Events kümmert sich die CPD aber auch um die Nutzung der Rededuelle als Vehikel für eine reichweitenstarke Wählerbildung. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Nutzung des prominenten Medienereignisses für die Mobilisierung der beständig politikmüder werdenden Wählerschaft. Zudem überwacht die CPD auch die Resultate der eigenen Arbeit – Studien, Konferenzen und Gutachten reflektieren die Rolle der Debatten im politischen Prozess und bereiten Anpassungen, Korrekturen und Modernisierungen vor.
Mit Blick auf Organisationsstruktur und institutionelle Verankerung im politischen System erscheinen die Fernsehduelle durchaus in einem anderen Licht. Sie sind weit mehr als nur glatte Präsentationen der Spitzenkandidaten, selbst wenn diese in ihren Auftritten nichts anderes vermitteln können. Die mediale Gegenüberstellung der politischen Konkurrenten im konstruierten Redestreit ist ein durchaus authentisches Erzeugnis des amerikanischen politischen Systems, gefiltert, formatiert und eingespeist in die US-amerikanische Landschaft der “TV-Networks”. In ihrer formalen Organisation sind die “Debates” Ausdruck gegenwärtiger Verflechtungen von Politik und Medien: die Konstruiertheit gibt aktuelle Mechanismen von Herstellung, Darstellung und Vermittlung politischer Personen und Inhalte wider. Die Einschaltung eines überparteilichen Gremiums folgt dabei einer verbreiteten amerikanischen Regulierungspraxis, auch in vielen anderen Bereichen überwachen vergleichsweise kleine Behörden die Spielregeln wichtiger politischer und auch ökonomischer Prozesse.
Und genau an dieser Stelle liegen wichtige Gründe für die holprige Einführung eines Fernsehduells zwischen Kanzler und Kandidat. Lässt man die sattsam bekannten Unterschiede der beiden Wahlsysteme – die Amerikaner stimmen tatsächlich über ihren Präsidenten ab, die Deutschen wählen zunächst einmal “nur” ihr Parlament – einmal außen vor, so gewährt das Prozedere der letzten Wochen deutliche Einblicke in die Verfasstheit des politisch-medialen Komplexes. Hierzulande ist die Organisation der vermutlich größten TV-Ereignisse nach der Fußball-WM ein abgekartetes Spiel. Die Verhandlungen wurden geführt von den Unterhändlern der beiden “großen” Volksparteien und Vertretern öffentlich-rechtlicher sowie privater Medienanbieter. Dass nur diese Akteure um die Modalitäten der Inszenierung stritten, weist auf einen Abschottungsreflex gegenüber der breiten Öffentlichkeit hin. Fernsehdebatten gelten in Deutschland wohl nicht in erster Linie als notwendiges Element des Wahlkampfs mit positiven Folgen für Wahlbeteiligung und Wählerinformation, sondern vor allem als Vehikel für die Darstellung der parteilichen Protagonisten und als Quotengarant für die Sendeanstalten. Die Vorfreude nicht nur der Medienschaffenden auf einen “spannenden Abend” spricht Bände – etabliert werden soll hier ein neues Unterhaltungsformat und nicht etwa eine politische Meinungsbildungsveranstaltung.
Die Klüngelei der Beteiligten ist dabei eine aktuelle Illustration dessen, was häufig als “symbiotische Beziehung zwischen Politik und Medien” bezeichnet wird. Auf der von den Medien bereit gestellten Bühne üben sich die Politikdarsteller im Schaulaufen und drängen dabei auch die Konkurrenz aus dem eigenen Lager an den Rand. Dass Guido Westerwelle so hartnäckig das Duell zwischen Schröder und Stoiber sprengen möchte, folgt einer nur zu gut verständlichen Logik der Aufmerksamkeitsgewinnung.
Das Fehlen einheitlicher Kriterien für die Durchführung der Veranstaltung und das inzestuöse Verhältnis der “Organisatoren” fügen dem Format des Fernsehduells dabei erheblichen Schaden zu, bevor dieser Supertanker des Politainment überhaupt vom Stapel gelaufen ist. In beinahe typischer Art und Weise sind Medien und Politik hier in einer “Amerikanisierungsfalle” gefangen: ohne einen Blick auf die systematische Verankerung eines Phänomens moderner Medienpolitik zu werfen, sollte die Adaption eines vermeintlich innovativen TV-Formats für Belebung im Wahlkampf sorgen.
Dass sich hinter der auf Hochglanz polierten Oberfläche auch eine veritable Entwicklungsgeschichte der Darstellung von Politik und ihrer Vermittlung an die Wählerschaft verbirgt, wurde übersehen. Zumindest für den aktuellen Wahlkampf wurden damit auch die Chancen für eine Anpassung der TV-Duelle an die Erfordernisse des politischen Systems der Bundesrepublik bereits vertan. Die Verhinderung einer demokratisch kontrollierten Organisation der Debatte sowie deren bürgerorientierte Ausrichtung nehmen die beteiligten Akteure beiläufig in Kauf.
Zuerst erschienen in: grimme, Zeitschrift für Programm, Forschung und Medienproduktion, Heft 3/2002. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung beim
Adolf-Grimme-Institut und beim Autor.
Erschienen am 11.09.2002
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