Was in den US-amerikanischen Wahlkämpfen längst gang und gäbe ist, findet im Bundestagswahlkampf 2002 auch Eingang in die Deutsche Politik – das große Duell der Kanzlerkandidaten. Am 28. August treffen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bei den privaten Sendern RTL und SAT1, am 8. September bei den öffentlich-rechtlichen Sendern aufeinander.

Es ist das erste TV-Duell der Kanzlerkandidaten in Deutschland und dieser Premiere wird große Bedeutung zugemessen. „Vielleicht können die in dieser Form neuen TV-Duelle von Bundeskanzler und Kanzlerkandidat noch etwas bewirken“, sagt Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen gegenüber dem SPIEGEL ONLINE. Meinungsforscher sehen den Ausgang der Wahl noch als offen an – trotz des großen Abstandes zwischen Union und SPD und verweisen auf den Widerspruch in der Einschätzung von Partei- und Kanzlerpräferenz. Im Zuge der Flutkatastrophe hat sich der Abstand zwischen den zwei Partein zudem verringert.

Auch wenn es im Vorfeld der TV-Duelle viele Debatten gegeben hat – Wer überträgt wann? An welchen Terminen sollen die Duelle stattfinden? Wer moderiert? Wer darf daran teilnehmen?, so bleibt es im Web bislang ruhig. Onlinespezifische Angebote gibt es bis jetzt kaum. Die
Rhein-Zeitung-Online bietet ein Meinungsforum an, in der newsgroup “de.talk.tagesgeschehen“ gab es Ende April eine kurze Debatte. Doch insgesamt scheint es nur vereinzelt Ansätze für eine kritische Beleuchtung oder Begleitung der Duelle mit typischen Online-Formaten zu geben. Wer Aktivitäten plant tut dies kurzfristig – drei Tage vor dem Duell ist noch vieles offen.

Kommission zu den Kanzlerdebatten

Kritische Auseinandersetzung in den traditionellen Medien gibt es jedoch. Das Adolf Grimme Institut und vier weitere medien- und politikwissenschaftliche Institute werden in der „Kommission zu den Kanzler-Debatten“ die TV-Duelle verfolgen und analysieren. Mit dabei sind der Juryvorsitzende des Deutschen Fernsehpreises, Dr. Lutz Hachmeister; Bernd Gäbler vom Adolf Grimme Institut, Prof. Dr. Claus Leggewie vom Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen, Prof. Christine Landfried vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg und Roland Schatz vom Bonner Institut für Medienanalysen. Unmittelbar nach dem ersten Fernsehduell will er für die Kommission schon Charts mit sauberen Daten über den Anteil der Sachpolitik, der Aussagen zum jeweiligen politischen Gegner und der Fairness der Fragen vorlegenÄhnlich wie bei der „Commission on Presidential Debates“ in den USA geht es auch hierbei um die kritische Begleitung des Medienwahlkampfes. „Unsere Aktivitäten sind kritische Anmerkungen für die Öffentlichkeit, Vorschläge für den Diskurs, Denkanstöße für alle Wähler, die nicht allein Zuschauer bleiben sollen“, erklärt die Beobachtergruppe. Die Analyse der Kommission wird am 28. August ab 21.30 Uhr live im
Deutschlandfunk übertragen und ins Netz gestreamt, der Tagesspiegel als zweiter Medienpartner übernimmt die journalistische Betreuung der Kommission. T-Online wird einen Mitschnitt der Deutschlandfunkübertragung im Netz als Audio on demand zur Verfügung stellen.

Die
Innofact AG plant parallel zur Debatte eine Echtzeitbefragung von 500 Personen zum Verlauf des Duells durchzuführen. Die Ergebnisse werden aber exklusiv für den Auftraggeber der Studie zur Verfügung gestellt und sind für die User nicht direkt nachverfolgbar. Aktuell ist man noch mit mehreren möglichen Auftraggebern im Gespräch, eine endgültige Klärung, ob die Befragung stattfindet, wird es auch hier sehr kurzfristig geben.

Veranstalter und Teilnehmer

Wenig überraschend ist, dass zumindest Veranstalter und Teilnehmer versuchen, cross- mediale Synergieeffekte für sich zu nützen.

Dennoch reagiert das Leitmedium Fernsehen relativ einfallslos auf das mediale Großevent. Fast schient es, als ob man befürchtete, man könnte Zuseher an andere Medien verlieren. Genutzt wird das Medium Internet hauptsächlich als verlängerter Arm des Fernsehens: auf
RTL und
Sat1 wird das gesamte Rede-Duell live ins Internet gestreamt – „…für Zuseher, die nicht in Deutschland sind,“ so Matthias Rump, Channelmanager bei Sat1. RTL bietet zusätzlich einen thematishc gegliederten Mitschnitt der Debatte als Video on demand an. Schon am Morgen des Debattentages startet der Sender ein Online-Forum zum Thema.

Andere Sender, wie beispielsweise NTV und die großen Zeitungen planen keinerlei Online-Aktionen zum Kanzlerduell. NTV hat jedoch die Generalsekretäre Franz Müntefering und Laurenz Meyer am Montag zu einem Chat eingeladen. Auch ARD und ZDF lassen das TV-Duell auf den privat Sendern relativ unberücksichtigt vorbeiziehen – für den Konkurrenz soll keine Werbung gemacht werden.


Was tut sich auf den Parteiseiten?

Ähnlich zögerlich wie die Online-Abteilungen der Medien greifen auch die Online-Redaktionen der Parteien das Thema auf. Von der
FDP-Portalseite kann man schon seit einiger Zeit Ecards an das ZDF schicken und damit dagegen protestieren, dass Guido Westerwelle nicht zum Kanzlerduell eingeladen wurde. Weiter ist jedoch nichts geplant. Auch die GRÜNEN und die PDS werden das Kanzlerduell nicht in ihrer Online-Kommunikation aufgreifen. Die
SPD plant zwar Aktivitäten, hält sich jedoch bedeckt und will im Vorfeld nicht bekannt geben, was genau stattfinden wird. “Wir gehen erst Freitag damit an die Presse”,“ so Kajo Wasserhövel, Leiter des Arbeitsbereiches Online-Campaigning der SPD.

Die CDU zeigte sich gesprächiger. Auf
www.wahlfakten.de, dem rapid-response-tool (
politik-digital.de berichtete) der CDU werden während der Debatte jeweils Ergänzungen zu den Argumenten von Herrn Stoiber geliefert. „Wenn die gelbe Lampe ausgeht und die Redezeit vorbei ist, liefern wir im Netz zusätzliche Informationen“, erklärt Stefan Scholz, Teamleiter Online Services der CDU. Die knapp bemessene Sendezeit in den Kanzlerduellen wird dadurch virtuell verlängert. Registrierte User können im Mitgliedernetz außerdem an einem Chat zum Kanzlerduell teilnehmen.


I
st das alles?

Insgesamt wird es also überraschend wenig online-spezifische Aktivitäten geben. „Vielleicht weil das Internet hier lediglich als Begleitmedium dienen kann,“ meint Frau Corbach vom Grimme Institut. Existierende Angebote kommen hauptsächlich von den Veranstaltern und den Beteiligten selbst. Doch alles ist das natürlich noch nicht! Auf politik-digital wird es am Sonntag von 19.30 Uhr bis 23.15 Uhr einen
Live-Chat zum TV-Duell geben. Der Titel des Chat ist “Kanzler vs. Kandidat: Ist das Medium die Botschaft?”. Politk- und Medienexperten kommentieren die Debatte live und diskutieren mit den Usern.

Live-chat zum TV-Duell am Sonntag, dem 25.August ab 19.30 Uhr bei
politik-digital.de.

Erschienen am 22.08.2002