TIPP 1: Informieren Sie sich genau über die Spielregeln
Die klassische parlamentarische Geschäftsordnung gilt bei Kandidaten-Foren und -Debatten meistens nicht. Die Spielregeln sind einfacher, aber auch weniger dehnbar. Bei einer streng formalisierten Debatte ist vor allem die Zeit noch strenger rationiert als im Plenarsaal. Rede — Gegenrede — Gegen-Gegenrede oder Frage — Antwort 1 — Antwort 2 — Kommentar 1 zur Antwort 2 sind im Kanzlerduell auf Sekunden genau getaktet. Örtliche Kandidatendebatten sind meist offene moderierte Diskussionen, bei denen das Publikum auch fragen darf.
Wer kein Talent für knackige, kurze Antworten hat, sondern zum Monolog neigt, sollte das Kurzformat üben. Oder sich mit Veranstalter und Gegner auf längere Antwortzeiten verständigen. Neben der Zeitzuteilung noch wichtig: Regeln für Eröffnungs- und Schluss-Statements, Regeln für das Mitbringen (oder Verbot des Mitbringens) von Fotos, Charts, Bildern, Regeln für Notizen, Argumentationskarten, Redemanuskripte, darf das Publikum applaudieren usw.
TIPP 2: Überlassen Sie das Format nicht den anderen
Stehen oder sitzen Sie? Reden Sie am kleinen Rednerpult, oder an einem großen? Oder ist es ein Bistrotisch mit Barhockern? Oder nur ein wackliger Notenständer? Reden Sie am Tisch mit Rollsesseln? Ohne Tisch in Ohrensesseln? Oder sitzen Sie gar auf des Talkmasters Sofa?
Wer wählt den Moderator aus? Wer ist der Moderator, und welche Rolle hat er — moderiert er das Streitgespräch ZWISCHEN den Teilnehmern, oder hat er das alleinige Fragerecht?
Oder gibt es — wie bei Hauser und Kienzles ZDF-“Nachtduell” oder “RTL Im Kreuzfeuer” zwei scharfzüngige, provokante Moderatoren, die beide parteiisch sind und überkreuz fragen?
Dürfen Sie Gäste für das Publikum einladen? Welche Regeln gelten für das Publikum? Ist Applaus erlaubt? Sind Fragen aus dem Saal erlaubt, und wenn ja, werden die Fragesteller vorher ausgesucht? Von wem? Wird Radio oder Fernsehen der Mitschnitt erlaubt oder gar die Live-Übertragung, und sei es nur im Bürgerfunkkanal?
Nicht immer kann man auf solche Entscheidungen Einfluss nehmen. Aber auf keinen Fall sollten Sie sie automatisch den Veranstaltern oder gar dem Gegner überlassen. Reden Sie mit, verhandeln Sie!
TIPP 3: Starten Sie stark und schließen Sie stark!
Ob es förmliche Eröffnungs- und Schlussstatements gibt oder nicht: Wer richtig stark und aggressiv startet, kann die Debatte prägen: Thematisch, in der Tonlage, im Stil. Wer am Ende elegant oder autoritativ den Schlusspunkt setzt, punktet noch einmal. Darum lohnt es sich, an geeigneten Sätzen für diese beiden Phasen so lange zu drechseln und sie zu üben, bis sie richtig sitzen und locker kommen. Spontaneität ist etwas für talentierte Könner. Alle anderen bereiten sich besser vor.
Denken Sie auch an die Presseberichte am nächsten Tag: Wie soll im Idealfall die Schlagzeile lauten, wenn der Redakteur Sie zitiert?
TIPP 4: Erwarten Sie fiese Fragen und schwierige Themen
Was der Gegner sagen wird, wissen Sie ja wahrscheinlich sowieso. Und was die brisanten Themen und Fallen sind, vermutlich auch. Überlegen Sie also, wie Sie damit umgehen und manövrieren, ob Sie ausweichen, zurückschlagen, ab- oder umlenken.
Je knackiger und selbstbewusster Ihr Statement ausfällt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie in die Defensive geraten. Aber es gibt auch Situationen, in denen Sie allein gegen Moderator, Gegner und einen Teil des Publikums stehen. Was, wenn diese gemeinsam über Sie herfallen? Überlegen Sie vorher, ob die Kontroverse an bestimmten Stellen eskalieren kann — und wie weit.
Selbst wenn Sie den Moderator für völlig fair halten — überlegen Sie, wie Sie reagieren wollen, wenn er offensichtlich, bewusst oder unbewusst, Ihnen gegenüber unfair ist. Können Sie damit umgehen?
TIPP 5: Den Gegner direkt angehen
In den meisten Fällen haben Sie die Chance, dem Gegner Fragen zu stellen oder zu einem Statement aufzufordern oder auf sein Statement direkt zu antworten. Überlegen Sie, welches Verhalten Ihr Gegner Ihnen gegenüber an den Tag legen wird: Wird er höflich oder ausfallend sein, distanziert oder involviert, wird er direkt mit Ihnen reden oder an Ihnen vorbei zu Moderator oder Publikum?
TIPP 3 lautete: Eröffnen und schließen Sie stark. Dazwischen liegt wahrscheinlich ein Auf und Ab. Aber wenn Sie dem Gegner schon zu Anfang zeigen, dass Sie nicht nett zu ihm sein werden und ihn dominieren wollen, dann kann es auch gelingen. Wenn Ihr Gegner schon in der ersten Runde auf Sie reagieren muss, statt seine eigenen vorbereiteten Statements zu verbreiten, dann haben Sie ihn schon da, wo Sie ihn hinhaben wollen: in der Defensive.
Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht nur um Sachargumente. Sondern auch um die innere Einstellung, dem Gegner keinen Zentimeter kampflos zu überlassen.
Wenn Sie können, stellen Sie ihm eine Falle — aber lassen Sie diese nicht zu früh zuschnappen, bevor er es merkt. Arbeiten Sie mit seinem Lieblingsthema oder seinen Lieblingsfloskeln, um einen Köder zu legen. Berücksichtigen Sie Ihr Zeitlimit bzw. Ihre Möglichkeit zum Nachlegen oder Nachfragen.
Und wenn Sie erfolgreich zugeschlagen haben, treten Sie nicht unnötig nach: Sie können aggressiv vorgehen, aber werden Sie nicht brutal — (es sei denn, Ihr Gegenüber ist ein allseits verabscheutes Ekel). Es fällt sonst schnell auf Sie selbst zurück.
Erhitztes Sich-in-Rage-reden ist hier übrigens nicht zu empfehlen. Leidenschaft zu zeigen ist in Ordnung, und in der Sache sollte es bei einem starken Gegner auch hart zugehen, aber: Brüllen Sie nicht, gestikulieren Sie nicht wild, und rollen Sie nicht laut schnaufend mit den Augen. Spielen Sie kein Theater, schon gar kein Empörungsstadl. Bewahren Sie Contenance. Bleiben Sie die meiste Zeit cool und höflich.
TIPP 6: Auch blöde und abseitige Fragen sind zu beantworten
Das professionelle Beantworten von Bürger-, Journalisten- und Parlamentsfragen gehört zu dem, was ein Politiker beherrschen sollte. Aber gewohnt, komplexe Sachverhalte zu erläutern, sind selbst die ausgebufften Dampfredner manchmal baff, wenn eine völlig ungewohnte, weil einfache, abseitige oder schräge Frage aufkommt. Wer bei der Frage “Warum soll ich Sie wählen” oder “Wissen Sie eigentlich, wieviel ein Viertelpfund Butter kostet” eine halbe Minute grübeln muss, hat schon verloren. Ähnlich ist es mit sehr persönlichen Fragen — ob nach Kirchgang, Haarefärben, Lieblingsfernsehserie oder Unterwäsche.
TIPP 7: Zanken Sie nicht mit dem Moderator
Selbst wenn Sie unfair behandelt werden, machen Sie gute Miene. Sie können ohnehin nicht mehr viel daran ändern — höchstens auf dem Einhalten der Spielregeln bestehen. Aber wenn Sie minutenlang über die richtige Interpretation der Regeln streiten, stehen Sie (und nicht der Moderator) als Verlierertyp, Nervensäge oder Pedant da. Und Ihr Gegner grinst dazu.
Wenn Sie mit anderen Kandidaten zu einer Expertenrunde zu einem Thema eingeladen werden, lassen Sie es auch nicht auf einen Zank mit den anwesenden Sachverständigen ankommen — egal, ob Gewerkschaftsfunktionär, Elternratsvorsitzender, Schraubenfabrikant, Pfarrer oder Professor. Deren Glaubwürdigkeit ist im Zweifelsfall immer höher als Ihre. Aber wenn Ihr Gegner sich mit denen streiten will, lassen Sie ihn — dann dürfen Sie auch mal Öl ins Feuer gießen.
TIPP 8: Immer ans Publikum denken
Suchen Sie Blickkontakt zum Publikum; versuchen Sie, in den Gesichtern zu lesen. Natürlich müssen Sie sich auf die Statements Ihres Gegners konzentrieren und zuhören. Aber wenn Sie selbst reden, beschäftigen Sie sich nur den kleineren Teil Ihrer Redezeit mit dem Gegner — kommunizieren Sie mit dem Publikum im Saal (und dem in den Medien, insbesondere bei Liveübertragungen oder Mitschnitten). Das ist ein wichtiger Unterschied zur klassischen Parlamentsdebatte — statt Politikern beim Diskutieren zuzusehen, können sich die Zuhörer und Zuschauer selbst angesprochen fühlen.
TIPP 9: Reden Sie vorher und hinterher mit der Presse
Sie und Ihre Leute sollten sich vor und nach der Veranstaltung die Reporter vornehmen. Spielen Sie Spin Doctor, interpretieren Sie das Geschehen, fragen Sie nach den Meinungen der Journalisten und geben Sie deren Interpretationen möglichst einen Spin zu Ihren Gunsten. Im Gespräch untereinander und mit Teilnehmern und Zuhörern bilden sich die Pressevertreter häufig erst ihre Meinung, bevor sie sie senden oder drucken. Diese Chance sollten sie nutzen.
TIPP 10: Duell oder große Runde — achten Sie auf Ihre Rolle
In einem Duell zwischen zwei Kandidaten ziehen Sie die Aufmerksamkeit automatisch auf sich, bei drei, vier oder noch mehr Teilnehmern ist das viel schwieriger. In einer großen Runde haben Sie selbst bei 60 oder 90 Minuten Gesamtzeit oft nur wenige Minuten für Inhalt und Selbstdarstellung. Es kann vorteilhaft sein, entweder besonders in die Offensive zu gehen, in dem Sie einzelne andere attackieren, oder aber — wenn andere sich heftig streiten — den Konsensvermittler oder ausgleichenden Übervater zu geben. Sie müssen ständig hellwach nach Möglichkeiten nutzen, zurück in das Geschehen zu kommen — wenn Sie nur auf den Moderator warten, kommen Sie vielleicht gar nicht mit ihren wichtigsten Aussagen zum Zuge.
Vorsicht, wenn Sie derjenige sind, der als Amtsinhaber seine Regierungsbilanz oder die letzte Wahlperiode verteidigen muss: Sie laufen Gefahr, kräftig Klassenkeile zu beziehen, wenn die anderen sich zu einig werden. Spielen Sie die anderen gegeneinander aus, treiben Sie einen Keil zwischen sie. Und versuchen Sie gleichzeitig, sich in Habitus und Stil staatsmännischer zu geben — Sie haben die demokratische Legitimität des Gewählten, nutzen Sie dieses Kapital.
Dr. disc. pol. Marco Althaus, M.A. (USA), Diplom-Politologe, ist Leiter der Pressestelle des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr.
Erschienen am 22.08.2002
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